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Schutz für Frauen
Gesetz gegen Gewalt in Tunesien verabschiedet

In Tunesien ist ein Gesetzt zum verabschiedet worden, dass Frauen vor sexueller und körperlicher Gewalt schützen soll - ist das Land in der arabischen Welt Vorreiter. Im Vorfeld hatte es heftige Einwände mit religiösen Begründungen gegeben. Die Hoffnung ist, dass sich nun nicht nur die Rechtsprechung ändert, sondern auch die Mentalität in Sachen Gewalt gegen Frauen.

Von Jens Borchers | 28.07.2017
    Tunesierinnen demonstrieren am internationalen Frauentag 2014 in Tunis für mehr Rechte. (8.3.2014)
    Tunesierinnen bei einer Demonstration für mehr Frauenrechte: Ein nun verabschiedetes Gesetz soll sie besser vor körperlicher und sexueller Gewalt schützen. (dpa/ picture alliance / Mohamed Messara)
    "Hajer, was hast du gemacht", fragte der Fernseh-Moderator die schluchzende junge Frau immer wieder – vor laufender Kamera in einer tunesischen Talkshow. Die junge Frau war schwanger. Sie wurde vergewaltigt - von drei Familienmitgliedern, immer wieder, seit sie 14 Jahre alt war. Als ihr Vater von der Schwangerschaft erfuhr, hatte er sie aus dem Haus geworfen. Der Fernseh-Moderator meinte allerdings, die junge Frau, also das Opfer, solle sich bei seinem Vater entschuldigen.
    Diese Talkshow sorgte im vergangenen Jahr für einen riesigen Skandal in Tunesien. Aber vielleicht half sie sogar das neue Gesetz in Sachen Gewalt gegen Frauen voranzubringen. Weil dadurch Übergriffe und Vergewaltigungen in tunesischen Familien öffentlich zum Thema wurden.
    "Die Statistiken zeigen, dass es enorm viel Gewalt in Paar-Beziehungen und in den Familien gibt. Und sexuellen Missbrauch von Kindern in den Familien."
    Das sagt Monia Ben Jemia, Uniprofessorin und Präsidentin der Frauenrechtsorganisation ATFD. Sie forderte schon lange, dass dagegen etwas geschehen muss.
    Ab welchem Alter sind junge Mädchen sexuell mündig?
    146 Abgeordnete des tunesischen Parlamentes haben jetzt für ein Gesetz gestimmt, dass Gewalt gegen Frauen unter Strafe stellt. Die Reform betrifft Bestimmungen, die aus dem Jahr 1958 stammten. Dazu gehörte auch ein Paragraf, der junge Mädchen im Alter von 13 Jahren für sexuell mündig erklärte. Künftig gilt das erst für junge Frauen ab 16 Jahren. Nicht zuletzt um diesen Punkt gab es noch einmal heftige Debatten. Abgeordnete der islamischen Ennahda-Partei hielten die alte Regelung für ausreichend. Manche argumentierten, eine Veränderung widerspreche den Werten arabischer Muslime. Das gefährde die Familie. Mehrezia Laabidi, selbst Abgeordnete der islamisch orientierten Ennahda-Fraktion, stellte fest:
    "Wenn es um Frauenfragen geht, insbesondere in unserer Gesellschaft – oh là là!"
    Jetzt stellt das neue Gesetz jegliche Gewalt gegen Frauen – körperliche, seelische und sexuelle Gewalt - unter Strafe. Abgeordnete verschiedener Fraktionen betonen: Damit wird das Thema von einer Privatangelegenheit zur Sache des Staates. Ganz egal, in welcher Beziehung Täter und Opfer zueinander stehen. Bisher galt: Wer eine Minderjährige vergewaltigte konnte einer Strafe entgehen, wenn er das Opfer heiratete. Damit ist Schluss.
    Neues Gesetz soll Opfern sexueller Gewalt Mut machen
    Monia Ben Jemia, Uniprofessorin und Präsidentin der Frauenrechtsorganisation ATFD, sagt, auch Gewalt in Ehe und Partnerschaften ist künftig strafbar:
    "Jetzt ist präzise festgelegt, dass so etwas verboten ist. Das bedeutet: Auch eine Vergewaltigung in der Ehe wird strafrechtlich verfolgt und kann bestraft werden."
    Ermittlungen soll es jetzt auch dann weitergehen, wenn ein Vergewaltigungsopfer seine Anzeige zurückziehen sollte. In der Praxis beklagen Frauenverbände in Tunesien bisher, dass viele Betroffene erst gar keine Anzeige erstatten. Und sie hoffen, dass das neue Gesetz den Opfern mehr Mut macht, sich gegen sexuelle Gewalt zu wehren.
    Aus formalen Gründen treten die neuen Bestimmungen frühestens Anfang 2018 in Kraft.