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Schutz von Kindern hätte mehr Mühe verdient

Der versteckte Titel "Wo sind" auf dem Debütalbum von Xavas sorgte diese Woche wegen seiner möglichen homophoben Deutungsebene für Aufruhr. Trotz diverser Strafanzeigen werden juristische Konsequenzen wohl ausbleiben. Inzwischen haben auch beide Künstler ihre Sympathie für Schwule und Lesben bekundet.

Von Fabian Elsäßer | 17.11.2012
    Es ist ein ehrbares Unterfangen, wenn ein Künstler einen Missstand anprangern will. Doch gerade wenn es um Gewalt geht, ist der Vorwurf der Gewaltverherrlichung nicht weit. Er haftet an ungezählten Kriegsfilmen, deren Schöpfer doch – wie sie sagen – das Grauen nur zeigen, um davor zu warnen. Das umstrittene Lied des Duos Xavas ist eine Lehrstunde dafür, wie weit gute Absicht und misslungene Ausführung auseinanderklaffen können.

    Das beginnt schon mit der Darreichung als "Hidden Track". Den stellt ein Künstler entweder auf ein Album, weil er seine Fans fürs Hören belohnen will, weil es sich um einen musikalischen Scherz handelt, oder aber, weil der Inhalt bedenklich ist. Und bedenklich ist der Text von "Wo sind sie jetzt" zweifelsohne. Nicht nur wegen der vulgären Wortwahl, auch wegen der kruden Bezüge, in denen sie steht. Über den Vorwurf der Homophobie dürfen sich der Urheber Xavier Naidoo und sein Rap-Partner Kool Savas da nicht wundern.

    Sie werden ihn auch mit ihren jetzt veröffentlichten Sympathie-Bekundungen für Homosexuelle nicht vollends entkräften können. Nun ist Homophobie keine Straftat. Und auch Textzeilen wie "Ich hack Euch jetzt mal die Arme und die Beine ab" erfüllen nach Ansicht der Mannheimer Staatsanwaltschaft nicht den Tatbestand der Volksverhetzung oder der Aufforderung zu Gewalttaten. Die Meinungsfreiheit des Artikel 5 schützt manche Entgleisung, aber das muss eine Zivilgesellschaft aushalten können. In der Welt der Rapper, in der Kool Savas zu Hause ist, entspricht die Wortwahl des so umstrittenen Titels übrigens einem gewöhnlichen "Diss", also einer Schmähung anderer Rapper. Davon sind auf frei verkäuflichen CDs bei weitem schlimmere zu finden als im Fall Xavas.

    Wer Xavier Naidoo schon einmal persönlich getroffen hat, ist geneigt, den guten Willen hinter diesen Rohheiten zu glauben. Wer seine Diskografie kennt, entdeckt trotz anderer Inhalte sogar stilistische Stringenz: da ist immer viel Pathos, ein ins Maßlose strebendes Sendungsbewusstsein und eine bisweilen bestürzende reimerische Ungeschicklichkeit. Dennoch: wenn Naidoo wirklich etwa für die Sache hätte bewirken wollen, er hätte besser noch einmal mehr nachgedacht, unverfänglicher getextet und den Titel als ernst zu nehmende Mahnung ganz offen auf die CD gebracht.

    Noch sinnvoller wäre es gewesen, im Begleitheft auf Hilfsorganisationen für Kinder und Verbrechensopfer hinzuweisen. Und am glaubwürdigsten, wenn er sich auch finanziell dafür einsetzte, etwa in Form einer Stiftung. Die Entschuldigung bei Schwulen und Lesben wiederum wäre erst dann richtig glaubhaft, wenn er das fragliche Stück vom Album nehmen würde. So bleiben nur platte Phrasen. Das, worum es doch angeblich ging, ist im dichten Rauch des gerade abgefackelten medialen Feuerwerks ohnehin völlig verschwunden: der Schutz von Kindern und die Verfolgung bestialischer Straftaten. Der Name Naidoo hingegen ist präsenter denn je. Und neuerdings auch der einer bislang nahezu nicht beachteten linken Jugendorganisation.