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Schwacher Strom

Informationstechnik. - Computerfestplatten sind in den vergangenen Jahren drastisch leistungsfähiger geworden, doch langsam scheint die Grenze der Optimierung erreicht zu sein. Die Industrie sucht daher nach neuen Technologien, um die Datenspeicher zu neuen Höchstleistungen zu treiben. Ein Forscherteam aus München und Köln stellt heute in "Science" ein Experiment vor, auf dessen Grundlage man Festplatten künftig deutlich schneller und effektiver beschreiben könnte – nämlich elektrisch statt magnetisch.

Von Frank Grotelüschen | 17.12.2010
    "Wenn man sie anschaut und sie liegen auf dem Tisch – das ist ein Klumpen Metall."

    Der Stoff, aus dem die Träume von Christian Pfleiderer sind, wirkt nicht gerade aufregend: matt, dunkelgrau, wie der Schotter zwischen Bahngleisen. Es ist eine Verbindung aus Mangan und Silizium, wie man sie ansonsten zum Beispiel für die Herstellung von Spezialstählen verwendet.

    "Sieht also völlig unspektakulär aus. Hat vielleicht die Größe von sagen wir einem Kubikzentimeter."

    Doch das unscheinbare Material hat es in sich. Das dämmerte Pfleiderer, Physiker an der TU München, schon im letzten Jahr. Da nämlich entdeckte sein Team, dass Mangansilizium auf höchst eigenartige Weise magnetisch ist: Die vielen winzigen Kompassnadeln, aus denen man sich einen Magneten zusammengesetzt vorstellen kann, zeigten eine gänzlich neue Anordnung.

    "Das ist wie ein Wirbel. Wenn man sich einen Wasserwirbel vorstellt, ist es so, dass die kleinen magnetischen Kompassnadeln im Kreis herumlaufen. Und in diesem speziellen Material sind lauter solche Wirbel nebeneinander angeordnet."

    Kaum war die Entdeckung gemacht, kam Pfleiderer und seinen Leuten schon die nächste Idee: Lassen sich die magnetischen Wirbel womöglich durch elektrischen Strom beeinflussen, vielleicht sogar gezielt kontrollieren? Um das zu beantworten, schickten die Physiker schwache, wohldosierte Strompulse durch ihre dunkelgrauen Metallproben. Was im Inneren passierte, beobachteten sie mit einer speziellen Technik – mit Neutronen aus dem Forschungsreaktor FRM II in Garching. Neutronen sind winzige Kernteilchen, die selber als winzige Kompassnadeln fungieren und deshalb das magnetische Innenleben eines Materials präzise abbilden können. Das Ergebnis verblüffte sogar den Experten. Pfleiderer:

    "Bei spektakulär kleinen Stromflüssen sehen wir, dass diese magnetische Strukturen anfangen sich zu verändern."

    Kleine Strompulse genügen, um die Magnetwirbel im Mangansilizium zu verschieben – wahrscheinlich die Folge eines komplexen Quanteneffekts. Das Spektakuläre: Die Stärke der Strompulse ist nur ein Millionstel dessen, was man bislang brauchte, um ein Magnetfeld mit Strom umzuschalten. Ein neuer Weltrekord, der nicht nur wissenschaftlich interessant ist, sondern auch praktische Folgen haben könnte, und zwar für die Festplatte der Zukunft. Bislang werden die Daten auf einer Festplatte mit einem magnetischen Schreibkopf geschrieben. Doch dieser magnetische Schreibvorgang lässt sich kaum noch miniaturisieren – was nötig wäre, um Festplatten mit größerer Kapazität zu entwickeln. Das Schreiben mit elektrischem Strom verspricht deutlich mehr, meint Christian Pfleiderer:

    "Es wäre sehr viel präziser und kompakter. Das, was versucht wird, ist sehr viel kompaktere, dichtere Speichermedien zu bauen."

    Bislang aber erschien so eine elektrisch beschreibbare Festplatte als reine Utopie. Denn die Ströme, die es gebraucht hätte, um Daten auf diese Platte zu schreiben, waren schlicht viel zu groß. Anders beim Mechanismus, den Pfleiderer und seine Kollegen aus Köln und Utrecht nun entdeckt haben: Mit ihm scheint eine elektrisch beschreibbare Festplatte endlich möglich.

    "In unserem Fall ist das erst mal ein ganz großer, konzeptioneller Schritt, dass wir realisiert haben: Es gibt Materialien, die unter bestimmten Bedingungen so verrückte Eigenschaften zeigen."

    Mangansilizium allerdings taugt nicht als Festplatten-Material. Stattdessen bräuchte es Stoffe, bei denen sich die Magnetwirbel auf der Oberfläche bilden und nicht im Inneren. Pfleiderer hofft, dass man solche Materialien bald finden wird. Der Industrie jedenfalls hat er seine Ideen schon vorgestellt, namentlich dem Computerkonzern IBM.

    "Das ist auf relativ großes Interesse gestoßen. Wir haben ganz intensiv diskutiert. Ich gehe davon aus, dass das gar in nicht allzu langer Zukunft schon sehr konkrete Konsequenzen hat."