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"Schwarzer Freitag"

"Wall Street legt ein Ei" spottete das US Unterhaltungsmagazin "Variety" am Morgen des 25. Oktober 1929. Da sahen die ersten Panikverkäufe nur nach Gewitter aus, doch schon wenige Stunden später bebte in Manhattans Finanzdistrikt die Erde : Tausende um ihre Ersparnisse bangende, in wachsende Wut und Panik geratene New Yorker setzten zum Sturm auf die Börse an. Die Wochenschau:

Von Barbara Jentzsch | 25.10.2004
    The tremendous crowds which you see gathered outside the stock exchange are due to the biggest crash in the history of the New York stock exchange.

    Der 25. Oktober ist als "Schwarzer Freitag" in die Finanzgeschichte eingegangen. "Black Friday" war ein ökonomisches Pearl Harbor. Der Zusammenbruch der größten Börse der Welt beendete schlagartig die "Roaring Twenties", die in unternehmerischer Euphorie und heißem Spekulationsfieber glühenden Zwanziger Jahre. Aus der Traum vom großen, schnellen Geld, vom Anspruch auf ewigen Reichtum, große Vermögen auf billigen Kredit.

    Präsident Hoover versuchte, den Schwarzen Freitag noch schönzumalen:

    Die amerikanische Wirtschaft, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, ist grundsätzlich stabil und gewinnbringend…

    Tönte Hoover, fern der Realität im Weißen Haus in Washington. Drei Tage versuchten Wallstreet-Strategen verzweifelt, die ständig sinkenden Kurse zu halten, doch am 29. Oktober, am Schwarzen Dienstag, hatte der Markt 30 Prozent seines Wertes eingebüßt. Zehn Milliarden Dollar hatten sich in Luft aufgelöst, fast doppelt soviel Geld, wie damals im Umlauf war. Ein schockiertes Amerika sah die goldene Ära vermeintlich grenzenlosen Reichtums in ein schwarzes Loch entschwinden, das alles und alle verschlang: Klein- und Grossaktionäre, die gigantischen Gewinne erfolgreicher Spekulanten, Millionäre und Milliardäre, Banken und Investmentgesellschaften. Der Schwarze Freitag und der darauf folgende Schwarze Dienstag markierten Amerikas abrupten Abstieg in Angst und Hoffnungslosigkeit, in Massenarmut und Massenarbeitslosigkeit. Es waren die Symptome der Grossen Depression - die Vorboten der Weltwirtschaftskrise. Das spiegelte sich sogar in Liedtexten:

    Everywhere you go, everyone you meet, all they talk about is this depression

    Im Rückblick, nach 75 Jahren, wird klar, dass der Schwarze Freitag der Anlass, aber nicht der eigentliche Grund für den plötzlichen wirtschaftlichen Zusammenbruch war, der Amerikas "Great Depression" herbeiführte. Schon lange deuteten eine ganze Reihe wirtschaftlicher Daten auf ein Ende des seit 1924 andauernden Aktienmarkt-Booms: die anhaltende Landwirtschaftskrise, verursacht durch sinkende Agrarpreise. Überkapazitäten, die aus der Investitionskonjunktur der vorangegangenen Jahre stammten und mangels Nachfrage nicht abgebaut werden konnten, und hinzu kam dann die annähernde Verdoppelung des US-Diskontsatzes zwischen Januar und August 1928 von 3,5 auf sechs Prozent. Gerüchte aus dem Kongress, die Außenzölle zu erhöhen, um Importe zu reduzieren, wirkten auf den nervösen Aktienmarkt wie ein zusätzliches Gift.

    Der Wirtschaftswissenschaftler Roger Bapson hatte den Crash kommen sehen. Bapson schrieb im September 1929 in der New York Times:

    Schönes Wetter kann nicht ewig andauern. Die Wirtschaftszyklen sind heute genau so gültig wie früher. Das Federal Reserve System hat die Banken gestärkt, aber es hat nicht die Natur der Menschen verändert. Die Leute machen Schulden und spekulieren wie nie zuvor in unserer Geschichte. Früher oder später wird der Crash kommen, und er kann schrecklich werden.

    Es wurde schrecklich. Charles Curtis, Präsident Hoovers Vize, verstieg sich zwar zu der Behauptung "Prosperity is just around the corner" - "der Wohlstand wartet an der nächsten Ecke" - aber vor der nächsten Ecke klaffte der Abgrund: Die Agrarpreise brachen zusammen, die Industrieproduktion sank um 46%, hunderttausende Geschäfte und zehntausende Fabriken meldeten Bankrott an. Fünfzehn Millionen Amerikaner wurden arbeitslos, es gab keine Arbeitslosenversicherung, das Sozialprodukt sank um 57%, die Reallöhne um 6o% und selbst Vollbeschäftigte verdienten nicht mehr als das Existenzminimum.

    Der Börsenkrach von 1929 führte in den USA schnurstracks in die Große Depression, weltweit in die Weltwirtschaftskrise, die in Deutschland den Aufstieg der Nationalsozialisten begünstigte. Es sollte 25 Jahre dauern bevor der Dow Jones Index wieder auf 386 Punkte kletterte, den Wert, den er vor dem Schwarzen Freitag verzeichnete.