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Schweden
Ja oder Nej zur NATO-Mitgliedschaft

Schweden ist nicht in der NATO. Doch vor allem Russlands Militäraktionen haben dazu geführt, dass die Debatte über einen NATO-Beitritt heiß geführt wird. Doch allein über eine engere Zusammenarbeit, die bald im Parlament beschlossen werden soll, gehen die Meinungen bereits weit auseinander.

Von Victoria Reith | 09.02.2016
    Flagge Schweden
    Ein NATO-Beitritt des eigentlich allianzfreien Schweden ist umstritten. (picture alliance / Hinrich Bäsemann)
    Eine Veranstaltung folgt auf die nächste. Fast täglich wird derzeit in Stockholm über einen möglichen NATO-Beitritt diskutiert. Im Radio und in Zeitungen, bei Unterschriftenaktionen und Abendveranstaltungen. Gegner und Befürworter bleiben dabei allerdings manchmal unter sich. Im Haus der Arbeiterbildung haben sich Schwedinnen und Schweden versammelt, die schon eine engere Zusammenarbeit mit der NATO kritisch betrachten. Die sogenannte Host-Nation-Support-Vereinbarung sieht vor, dass Schweden in Krisensituationen von der NATO unterstützt wird. Im Gegenzug soll es für die Allianz einfacher werden, schwedisches Gebiet zu nutzen.
    Die meisten der Anwesenden sind bereits ergraut, wie eine Teilnehmerin selbstironisch bemerkt. Die schwedische Friedensbewegung ist etwas in die Jahre gekommen.
    Seit 200 Jahren ist Schweden neutral. Und das sei eine effektive und gute Politik gewesen, so die ehemalige sozialdemokratische Abgeordnete Maj-Britt Theorin. Sie befürchtet, dass es vom Abkommen nur noch ein kleiner Schritt zum NATO-Beitritt wäre:
    "Die Vereinbarung birgt in den Augen vieler von uns ein großes Risiko. Sie wurde von Militärs unterzeichnet und beinhaltet Unklarheiten. Das könnte dazu führen, dass wir in einen Krieg hineingezogen werden und dass die NATO Stützpunkte auf schwedischem Territorium bekommt. Damit wäre es auch möglich, hier Kernwaffen zu stationieren."
    Diskussionen zum NATO-Beitritt, von links: Anna Ek, die Vorsitzende der Friedensbewegung in Schweden, dann die ehemalige schwedische Abgeordnete Maj-Britt Theorin, Jurist Lars-Gunnar Liljestrand und Moderator Gunnar Lassinantti
    Diskussionen zum NATO-Beitritt, von links: Anna Ek, die Vorsitzende der Friedensbewegung in Schweden, dann die ehemalige schwedische Abgeordnete Maj-Britt Theorin, Jurist Lars-Gunnar Liljestrand und Moderator Gunnar Lassinantti (Deutschlandradio - Victoria Reith)
    Die Host-Nation-Support-Vereinbarung wurde im September 2014 beim NATO-Gipfel unterzeichnet, sie soll noch im Frühjahr vom schwedischen Parlament beschlossen werden. Die russische Annexion der Krim, die Kämpfe in der Ostukraine, russische Kampfflugzeuge über schwedischem Luftraum - all das befeuert die Debatte.
    Theorin: "Die Spannungen sind um Schweden herum deutlich gestiegen. Das liegt an der russischen Aggressivität, das wollen wir nicht leugnen. Aber diese Spannungen muss man dämpfen. Und mit der NATO oder der Host-Nation-Support-Vereinbarung geht das nicht, weil die Russen das als einen feindlichen Akt sehen werden."
    Schwedische Regierung tritt für engere Zusammenarbeit ein
    Die schwedische Regierung tritt zwar für die Vereinbarung ein und damit für eine engere Zusammenarbeit mit der NATO. Der Beitritt selbst stehe jedoch nicht zur Debatte, beteuert der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven. Doch das reicht Maj-Britt Theorin nicht: Sollte eine bürgerliche Regierung an die Macht kommen, fürchtet sie, könnte Schweden doch NATO-Mitglied werden. Denn die vier bürgerlichen Parteien sind dafür. Die Vorsitzende der schwedischen Friedensbewegung, Anna Ek, warnt vor allem vor den Kernwaffen der NATO:
    "Auch wenn nur drei NATO-Länder Kernwaffen haben, baut ja die ganze Verteidigungsdoktrin auf der Abschreckung durch Kernwaffen auf. Und die umfasst alle Mitgliedsländer."
    Nur einen Tag nach der Podiumsdiskussion wird eine kritische Untersuchung über die Zusammenarbeit mit der NATO im Stockholmer Nobelmuseum vorgestellt. Auch der frühere schwedische Außenminister Hans Blix hat sich daran beteiligt:
    "Wir müssen verhindern, dass wir die Konflikte mit Russland verschärfen, indem wir uns in die Verteidigungsstrukturen der NATO begeben. Schweden wird sonst zur Abschussrampe, die auf Russland gerichtet ist."
    Bevölkerung ist beim NATO-Beitritt gespalten
    Während eine ältere Generation von Sozialdemokraten, Linken, Grünen sowie der Liberale Hans Blix gegen den NATO-Beitritt argumentieren, befürworten zum Beispiel viele schwedische Diplomaten den Beitritt zur Allianz. Umfragen sehen in der Bevölkerung mal die Befürworter vorne, mal die Gegner. Beiden Seiten kommt das in ihrer Argumentation zupass. Henrik Edin gehört derselben Partei wie Hans Blix an, allerdings ist er 61 Jahre jünger, Vorsitzender der Jungliberalen und anderer Meinung:
    "Schweden ist nicht bündnisfrei. Der Lissabon-Vertrag besagt, dass die EU-Mitgliedsstaaten einander in Krisen helfen sollen. Schweden beteiligt sich häufiger an NATO-Operationen als viele NATO-Mitglieder. Einsätze in Libyen, Afghanistan - die Argumentation, dass Schweden bündnisfrei sei, zog vielleicht vor 50 Jahren, heute ist sie aber unglaubwürdig."
    Schweden gebe seine Souveränität mit einem NATO-Beitritt nicht auf, sagt der 26-Jährige. Im Gegenteil:
    "Eine Allianz mit demokratischen Staaten ist besser, als einer halbwegs autoritären Person in Russland zu vertrauen und ihrer Willkür ausgesetzt zu sein, ob sie jetzt angreift oder nicht."
    Henrik Edin ist sich sicher, dass der Reichstag der Host-Nation-Support-Vereinbarung zustimmen wird. Und dass auch die regierenden Sozialdemokraten den NATO-Beitritt eines Tages befürworten werden.
    Ob im Arbeiterbildungsverein, im Nobelmuseum oder in der Parteizentrale der Jungliberalen: Überall wird um Schwedens Rolle in der NATO gerungen. Bis zur Abstimmung im Reichstag wird das so bleiben.