Freitag, 29. März 2024

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Schweden und der Ernstfall (4/5)
Ab in die Kaserne

Schweden hat die Wehrpflicht wieder eingeführt. Die Freiwilligenarmee fand nicht mehr ausreichend junge Rekruten. Die Bedrohung aus dem Osten dagegen wächst. Und so legte die rot-grüne Regierung den Schalter wieder um und verschickte Einberufungsbescheide.

Von Gunnar Köhne | 12.07.2018
    Ein schwedischer Soldat mit schwedischer Flagge
    Schweden hat die Wehrpflicht wieder eingeführt - für die Freiwilligenarmee hatten sich zu wenige gemeldet (picture alliance/ dpa/ Jochen Luebke)
    Der Stockholmer Stadtteil Sickla war einmal ein Industrievorort. Hier wurde Leder gegerbt und Dieselmotoren wurden montiert. Das ist lange her. In den roten Klinkerhallen befinden sich heute Modeboutiquen, schicke Bars und eine Designhochschule. Am Rande eines Platzes, der an seinen Seiten mit modernen Bürogebäuden eingefasst ist, sitzen die dazugehörigen Angestellten mit dunklen Sonnenbrillen und hochgekrempelten Ärmeln in der warmen Frühlingssonne und nippen an ihrem Café Latte.
    Sally und ihr Freund Moses werfen ihre Umhängetaschen ab und fläzen sich in eine Sitzecke aus Korb. Sie kommen vom Gymnasium gegenüber, Abiturklasse. Die 19-Jährige Sally – halblanges blondes Haar, verschmitztes Mädchenlächeln – ist schon seit Wochen gut drauf, erzählt sie. Denn sie weiß nun, was sie nach dem Abi machen wird: ihren Militärdienst.
    "Alle wussten ja, dass der Einberufungsbescheid kommen wird. Man konnte sich darauf einstellen. Und ich fand von Anfang an, dass das eine coole Sache ist. Ich wollte den Dienst absolvieren. Das hat mich schon als kleines Mädchen interessiert. Neugier? Ja, kann man sagen. Außerdem passt es einfach, weil ich eh noch nicht weiß, was ich nach dem Abi machen soll."
    Sally (rechts) und ihr Freund Moses in einem Café in Stockholm
    Sally aus Stockholm beginnt diesen Sommer ihren Wehrdienst in der schwedischen Armee. Ihr Freund Moses begrüßt die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Schweden. (Deutschlandradio/ Gunnar Köhne)
    Jugend in die Kasernen
    Sally lächelt ihren Freund an. Den könnte man mit seinen langen, zum Pferdeschwanz zusammen gebundenen Haaren für einen linken Pazifisten halten. Aber er schüttelt den Kopf:
    "Ich fand es richtig, die Wehrpflicht wiedereinzuführen. Wenn es Krieg gibt, sollten wir uns wehren können. Im Augenblick sind wir schlecht vorbereitet."
    Selbst die Linkspartei hat die Wiedereinführung der Wehrpflicht begrüßt. Dabei war sie erst 2010 abgeschafft worden. Eine Freiwilligenarmee sollte es stattdessen richten. Doch es meldeten sich zu wenige. Sally musste darum mit rund hunderttausend anderen jungen Männern und Frauen der Jahrgänge 1999 und 2000 einen Fragebogen zur Vormusterung ausfüllen. Unter denen wurden dann 13.000 für einen weiteren Eignungstest ausgewählt. Auch den hat die sportbegeisterte Abiturientin mühelos bestanden. Nun tritt sie gemeinsam mit rund 4.000 jungen Schweden ihren Dienst an.
    Drücken wäre einfach gewesen
    "Manche meiner Freunde haben überhaupt nicht verstanden, was ich daran toll finden könne. Nur im Bekanntenkreis meiner Eltern, da gab's richtig viel Lob. Die Wehrpflicht finde ich eine sehr gute Sache. Freiwillig hätte ich es vielleicht nicht gemacht. Diejenigen, die wirklich wollen, werden ja auch meistens genommen. Wer nicht will, der braucht meistens am Ende auch nicht. Man muss sich in dem Fragebogen nur absichtlich als untauglich darstellen. Sich davor zu drücken ist ziemlich einfach."
    "Wir hatten gerade in der Schule eine Diskussion über die Wehrpflicht. Da gab es dann so Sprüche wie: 'Wenn es in Schweden Krieg gibt, haue ich nach Island ab'. Selbst viele derjenigen, die für die Wehrpflicht sind, würden doch selbst keine Waffe in die Hand nehmen."
    "Und dann sagen manche auch, wenn Russland Schweden angreifen sollte, dann haben wir doch eh keine Chance. Warum also Wehrpflicht, wenn sie uns nicht schützt?"
    Cyberkrieg oder Grabenkrieg
    Da war es wieder, das Wort Russland. Einen anderen potentiellen Feind, gegen den man sich verteidigen müsste, können sich auch diese beiden lange nach dem Kalten Krieg geborenen Stockholmer Schüler nicht vorstellen. Moses ist sich aber nicht sicher, ob seine Freundin im Ernstfall auch gebraucht würde:
    "Eine konventionelle Armee muss es vielleicht weiterhin geben. Aber wir müssen doch vor allem gegen die moderne Kriegsführung mit Cyberattacken gewappnet sein."
    "Oh, das ist bloß eine Sprengung für den Straßenbau. Über den ernsten Hintergrund des Wehrdienstes habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht so sehr nachgedacht. Schon gar nicht über die Frage, ob es in Schweden Krieg geben könnte."
    Noch ein paar Wochen, dann rückt Sally in eine Kaserne in Mittelschweden ein. Eine Unterscheidung von Männern und Frauen wird es dort nicht geben, das verbieten die schwedischen Gleichstellungsgesetze. Das heißt: gemeinsame Grundausbildung, gemischte Stuben. Sally schiebt ihre Haare hinter ihre großen silbernen Ohrringe und lächelt wieder:
    "Das wird ein anderer Alltag dort, ganz bestimmt. Ich rücke im Juli ein, das ist ja eigentlich die Ferienzeit mit ihren hellen, durchfeierten Nächten. Und dann stattdessen in eine Kaserne. Das wird bestimmt eine Umstellung."