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Schwedische Akademie
Literaturnobelpreise für Peter Handke und Olga Tokarczuk

Der Literaturnobelpreis 2019 geht an den Österreicher Peter Handke. Zugleich vergab die neue Jury den Preis für vergangenes Jahr an die Polin Olga Tokarczuk. 2018 musste die Preisvergabe skandalbedingt ausfallen.

10.10.2019
Montage Porträt von Olga Tokarczuk und Peter Handke
Der Literaturnobelpreis wurde dieses Jahr doppelt vergeben - der Preisträger für 2019 heißt Peter Handke, die Preisträgerin für 2018 Olga Tokarczuk. (picture alliance / Barbara Gindl / APA / picturedesk / NurPhoto / Deutschlandradio)
Die Nobelpreise für Literatur für die Jahre 2019 und 2018 gehen an Peter Handke und Olga Tokarczuk. Das gab ein Sprecher der neu formierten Jury am 10. Oktober 2019 in der Schwedischen Akademie in Stockholm bekannt. Beide Preisträger erhalten jeweils neun Millionen schwedische Kronen.
Der produktive Österreicher Handke (geboren 1942, u.a. "Die Publikumsbeschimpfung", "Wunschloses Unglück") wird ausgezeichnet "für ein einflussreiches Werk, das mit sprachlicher Genialität die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung erforscht". "Ist es wahr?", habe er gesagt, als das Komitee ihn am Telefon erreichte.
Schriftsteller Peter Handke auf der Pressekonferenz zum Literaturnobelpreis am 5. Dezember in Stockholm. Ein älterer Herr sitzt auf einem Stuhl, hat den Kopf gesenkt und hat die Augen geschlossen.
Literaturnobelpreis für Peter Handke - Die Verantwortung des Schriftstellers
Die "Mütter von Srebrenica" wollen gegen die Auszeichnung von Peter Handke protestieren. Kritik an seinen Äußerungen zum Jugoslawienkrieg weist der Schriftsteller zurück. Damit mache er es sich zu leicht, meint der Journalist René Aguigah.
Die polnische Autorin Olga Tokarczuk (geboren 1962, u.a. "Ur und andere Zeiten", "Die Jakobsbücher") wird ausgezeichnet "für eine erzählerische Imagination, die mit enzyklopädischer Leidenschaft die Grenzüberschreitung als eine Lebensform darstellt".
Pressekonferenz zu den Literaturnobelpreisen - Der große Krach blieb aus
Peter Handke und Olga Tokarczuk haben sich in Stockholm den Fragen von Journalisten gestellt. Der Österreicher blockierte, ignorierte einige Fragen, die polnische Autorin bekundete ihren Stolz.
Olga Tokarczuk - "melancholische Hingabe an die Welt"
"Olga Tokarczuk hat ein Grundanliegen, die große Geschichte religiös, mythisch, mystisch zu erzählen", sagt der Dlf-Literaturredakteur Hubert Winkels über die Preisträgerin für 2018. Die Autorin verarbeitet oft historische Stoffe. "Im neuen Buch, das gerade jetzt in Deutschland erschienen ist, 'Die Jakobsbücher', ist es das 18. Jahrhundert, als Polen und Litauen noch gerade eine Weltmacht waren, aber zugrunde gingen." Dabei gehe es um mehr als die bloße Handlung, alles sei grundiert von "so einem düster-mythischen All-Einheits-Denken", sagt Winkels. Er sieht darin eine Art "kryptoreligiöse Tiefenströmung, die Tokarczuks Prosa schwer, melancholisch, sehr meditativ teilweise macht. Es ist eine melancholische Hingabe an die Welt".
Die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk erhält den nachgeholten Literaturnobelpreis für das Jahr 2018. (Archivbild)
Olga Tokarczuk - "Eine mahnende Stimme im PiS-regierten Polen"
Tokarczuk siedle Geschichten in der Provinz an, sei aber niemals provinziell, sagt Dlf-Redakteurin Sabine Adler: Eine vielseitige Autorin, die oft historische Romane schreibt, dabei aber immer den Zeitgeist aufgreift.
Die polnische Literaturkritikerin Marta Kijowska sagt im "Büchermarkt"-Gespräch mit Tanya Lieske: "Olga Tokarczuk war eigentlich von Anfang an eine literarische Erscheinung besonderer Art. (...) Sie wurde oft mit dem Begriff Magischer Realismus in Verbindung gebracht. Tokarczuk debütierte mit sogleich zwei Büchern, nämlich mit dem Roman ‚Ur und andere Zeiten’ und mit dem Erzählband ‚Der Schrank’. Diesen beiden Büchern konnte man schon anmerken, dass ihre Prosa nicht von den historischen Umwälzungen oder den gegenwärtigen politischen Ereignissen bestimmt wird, sondern von fundamentalen Zyklen wie beispielsweise Geburt und Tod, und dass sie versucht, in ihrer Prosa die mythologische Ordnung der Welt wiederzugeben."
Peter Handke - "kantig, exzentrisch und besonders"
Der Nobelpreis für Peter Handke? "Man wundert sich ein wenig, dass das jetzt passiert, warum das überhaupt passiert", sagt Hubert Winkels aus der Dlf-Literaturredaktion zur Auszeichnung des zwischenzeitlich umstrittenen Österreichers. "Er ist dann doch so kantig, exzentrisch und besonders, dass man es zumindest positiv verstehen kann." Auch ihm schreibt Winkels einen "kryptoreligiösen Zug" zu, wenn der Autor darüber schreibt, "in die Wälder zu gehen, Pilze zu suchen, sich von der falschen illusorischen Welt abzuwenden".
Berlin: Museumsbesucher betrachten am 23.01.2001 das Gemälde"Judith enthauptet Holofernes" von Caravaggio in die Berliner Nationalgalerie. Das 1598/99 entstandene Meisterwerk ist eine Leihgabe aus dem Palazzo Barberini in Rom und wird erstmalig in Deutschland gezeigt. 
Thea Dorn vs. Till Briegleb - Muss Kunst moralisch sein?
Die anstößigen Äußerungen Peter Handkes zu den Balkan-Kriegen werfen Fragen auf: Dürfen Dichter alles? Darf die Kunst nur, was polizeilich erlaubt ist, oder hat sie die Lizenz zur Amoralität? Lassen sich Werk und Person trennen?
Der österreichische Schriftsteller Peter Handke bei der Überreichung des Iffland-Rings im Wiener Burgtheater an den deutschen Schauspieler Jens Harzer - 20190616_PD1957 |
Peter Handke - "Ein Spieler, ein theatralischer Typ voller Widersprüche"
In über 50 Jahren habe es viele Handkes gegeben, sagt der Autor und Kritiker Helmut Böttiger. Was Handke ausmache, sei sein "Blick auf Randzonen" und sein Schreiben über "Epiphanien des Alltags".
Winkels unterteilt das immense Werk Handkes in eine sprachskeptische Frühphase ("Publikumsbeschimpfung", "Kaspar Hauser"), nach welcher er gemeinsam mit dem Regisseur Wim Wenders ("Der Himmel über Berlin") in eine Art "Späthippie-Langsamkeits-Ekstase als Antidot gegen die moderne Welt" kam. Ab seiner Tetralogie um 1980 (u.a. "Langsame Heimkehr") seien in Handkes Prosa der Erzähler und der Autor nicht mehr unterscheidbar. Später äußerte sich der Autor auch politisch, zur Zeit der Bürgerkriege in Jugoslawien, und erntete dafür viel Kritik.
Skandal um Jury verhinderte Preisvergabe 2018
Der Literaturnobelpreis wurde diesmal für zwei Jahre vergeben, nachdem die Vergabe 2018 ausgesetzt worden war. Grund dafür war ein Skandal um Jean-Claude Arnault, den Ehemann von Katarina Frostenson, Akademiemitglied und Dichterin. Zahlreiche Frauen warfen Arnault vor, sie missbraucht zu haben.
Zudem gab es Vorwürfe gegen das Ehepaar wegen persönlicher Vorteilnahme und Verrat der Preisträgernamen vor der Bekanntgabe. Einige Akademiemitglieder legten aus Protest ihre Arbeit nieder.
Thomas Steinfeld , aufgenommen am 10.10.2010 auf der 62. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main. | Verwendung weltweit
Thomas Steinfeld: Skandal hat den Literaturnobelpreis im Wert gesenkt
Die Schwedische Akademie und das Ansehen des Literaturpreises hätten durch den Skandal um sexuelle Übergriffe und Korruption schwer gelitten, sagte der Journalist, Übersetzer und Schriftsteller Thomas Steinfeld im Dlf.
Gemischtes Doppel nach langem Männerüberhang
Leer ging auch bei der diesjährigen Preisvergabe die immer wieder gehandelte Kanadierin Margret Atwood (u.a. "Der Bericht der Magd", "Die Zeuginnen") aus. Als vielversprechende Kandidatinnen wurden ferner Atwoods Landsfrau Anne Carson gehandelt, ferner Can Xue aus China, Scholastique Mukasonga aus Ruanda und die karibikstämmige Französin Maryse Condé.
Im Vorfeld der Preisvergabe gab es Kritik, es würden überdurchschnittlich viele Männer und Schriftsteller aus Europa ausgezeichnet.
Hubert Winkels, Journalist, Literaturkritiker, Frankfurter Buchmesse 2016.
Literaturnobelpreis 2019 - Preis gerettet, Akademie angeschlagen
Für Dlf-Literaturkritiker Hubert Winkels hätte sich nach dem Skandal um den Literaturnobelpreis mehr ändern müssen. Man hätte sich mit gleichem Namen neu erfinden müssen. Das sei aber nicht geschehen.