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Schwedische Literatur ist in Deutschland präsent

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat sich an diesem Wochenende zu ihrer Frühjahrstagung in Stockholm versammelt. Themen unter anderen: die deutsche Schriftstellervereinigung Gruppe 47 sowie deutsche und schwedische Autoren in den jeweils anderen Ländern.

Klaus Reichert im Gespräch mit Beytrix Novy | 15.05.2011
    Beatrix Novy: Bald beginnt die Buchmesse in Göteborg, die ihren Schwerpunkt dieses Jahr auf deutsche Literatur gelegt hat. Das ist aber nur ein Anknüpfungspunkt für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, deren Mitglieder sich an diesem Wochenende zu ihrer Frühjahrstagung versammelt haben in Stockholm. Schweden war auch für eine andere deutsche Schriftstellervereinigung, die Gruppe 47, von großer Bedeutung; die tagte nämlich 1964 im schwedischen Sigtuna. Mehr über die Frühjahrstagung der Akademie und was sie sonst noch nach Schweden eigentlich gebracht hat, das werden wir jetzt erfahren vom Präsidenten der Akademie, von Klaus Reichert.

    Klaus Reichert: Ja. Was hat uns dazu gebracht? – Es gibt oder gab früher eine enge Beziehung zwischen der deutschen und der schwedischen oder überhaupt den skandinavischen Literaturen, die nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen ist und ganz langsam wieder in Gang kam in den 50er-Jahren. Es gab wichtige Zwischeninformanten sozusagen, einerseits Nelly Sachs, andererseits Peter Weiss, mit denen junge Lyriker in den 50er-Jahren, Hans-Magnus Enzensberger, Paul Celan in Paris, Peter Hamm, Kontakt aufgenommen haben, durch die sie die schwedische Literatur kennengelernt haben, und allmählich ist sie tatsächlich wieder präsent in Deutschland. Sehr viele Lyriker sind übersetzt und einige Prosaisten. Es begann im Grunde mit der Tagung, die große Wahrnehmung deutscher Literatur in Schweden und umgekehrt begann mit der Tagung der Gruppe 47 im September 1964 in Sigtuna.

    Novy: Also genau vor 47 Jahren?

    Reichert: Genau! Und das war ein Anlass, einer der Anlässe, weshalb wir dachten, gut, jetzt fahren wir wieder mal hier her und sehen, was sich im Verlauf dieser Jahre abgespielt hat. Wichtig waren junge Autoren, die damals aufgetreten sind wie Lars Gustafsson zum Beispiel, von dem ein wichtiger Gedichtband, Die Maschinen, damals erschien. Gustafsson ist quasi ein deutscher Autor geworden, jedes seiner Bücher ist in Deutschland verlegt worden. P. O. Enquist ist inzwischen in Deutschland mindestens so prominent wie in Schweden selber. Das waren alles so Voraussetzungen, Anknüpfungspunkte gewesen.

    Novy: Die Tagung in Sigtuna war ja auch ein Thema.

    Reichert: Ja.

    Novy: Dort sind auch Zeitzeugen aufgetreten.

    Reichert: Natürlich!

    Novy: Wer hat denn darüber noch berichten können?

    Reichert: Berichtet hat der, der damals diese Tagung ausgerichtet hat, Gustav Korlen, der große Mann der schwedischen Germanistik. Der hat uns ein Eingangsreferat gehalten. Er ist inzwischen 97 Jahre alt und es war faszinierend, diesem alten Mann mit seinen Erinnerungen zuzuhören. Dann war auf dem Podium Lars Gustafsson, der damals ein junger Autor war, nächste Woche 75 wird. Der berichtete, Peter Hamm berichtete, Friedrich-Christian Delius berichtete, der ein junger Autor war, der damals vorgetragen hat.

    Novy: Haben diese Zeitzeugen das damals alles als einen Aufbruch, eine Hoffnung erlebt, oder waren schon Auflösungserscheinungen innerhalb der Gruppe 47 virulent bei dieser Tagung, denn es war ja drei Jahre später dann zu Ende damit?

    Reichert: Nein, nein, nein. Das war eigentlich ein großer Erfolg, obwohl es politisch große Probleme gab, weil die deutsche Politik protestiert hat. Der deutsche Botschafter sagte, diese Revoluzzer wollen wir hier nicht als Repräsentanten der deutschen Kultur haben, sodass es zu Boykottaufrufen kam von Martin Walser zum Beispiel. In der Praxis kamen dann doch sehr viele Autoren, wie ja auch Grass, der vorher auch dagegen gewesen ist. Also es war eine sehr kontroverse Tagung und erst im Nachhinein stellte sich dann heraus, wie das ja häufig der Fall ist, wie wichtig diese Tagung gewesen ist.

    Novy: ... für das Verhältnis von schwedischer und deutscher Literatur und Lesern auch?

    Reichert: Für das Verhältnis schwedischer und deutscher Literatur, genau.

    Novy: Ein weiteres Thema der Tagung waren die Exil-Literaten. Schweden ist Exil-Land und von Politikern bis zu Schriftstellern waren sehr viele dort. Sie haben einige ja eben schon genannt. Das ist ein Thema, das seit den 70er-Jahren ja stark erforscht worden ist. Gab es bei Ihrer Tagung etwas Neues, was jetzt in Stockholm zutage kam?

    Reichert: Es gab für die Nichtspezialisten, die wir ja sind, viel Neues. Wir hörten viele Namen von Lyrikern, von Erzählern deutscher Herkunft, deren Namen wir nicht kannten. Wir haben auch eine kleine Lesung gemacht. Das war für uns neu, und etwas anderes war auch ganz besonders wichtig, weil das mit großem Aufwand stattfand, nämlich wir waren Gäste der Schwedischen Akademie, also die Akademie, die den Nobelpreis vergibt, und wir durften uns in dem berühmten Börsensaal der Schwedischen Akademie vorstellen. Sibylle Lewitscharoff, Martin Mosebach haben über den Roman gesprochen, Ilma Rakusa hat gesprochen über die Literatur der Migranten, die ja immer wichtiger wird in der deutschen Literatur. Ein gewisses Problem, wenn ich das noch sagen darf, ist, dass schwedische Literatur, die Gegenwartsliteratur, relativ gut übersetzt ist ins Deutsche, bekannt ist, gelesen wird, während es umgekehrt im Augenblick noch nicht richtig klappt. Die deutsche Gegenwartsliteratur ist nicht so präsent.

    Novy: Kleiner Wermutstropfen in einem ansonsten doch gelungenen Verhältnis. Das war Klaus Reichert von der Akademie für Sprache und Dichtung, derzeit noch in Stockholm.