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Schweinegrippe: Die Ruhe vor dem Sturm?

Um die Schweinegrippe ist es ruhig geworden. Die Zahl der Erkrankten in Deutschland ebbt seit zwei Wochen ab, der Verlauf bei denjenigen, die das Virus hatten, war vergleichsweise milde. Ist die Alarmstufe Rot, die die Weltgesundheitsorganisation WHO ausgerufen hat, also übertrieben?

Von Carsten Schroeder | 15.12.2009
    Die Virologen misstrauen der scheinbaren Ruhe um das Schweinegrippe-Virus, und die Tatsache, dass der Verlauf in Deutschland bislang vergleichsweise milde war, kann ihre Sorgen nicht dämpfen, denn, so ihre Überzeugung, das Virus bleibt gefährlich:

    "Wenn wir uns dieses Virus im Tierversuch anschauen und das vergleichen mit zurückliegenden Viren, muss man sagen, dieses Virus ist überhaupt nicht harmlos! Dieses Schweingerippe-Virus ist im Tierversuch eher gefährlicher als beispielsweise das Virus, das bislang zirkuliert hat, das H3N2 – Virus."

    Professor Christian Drosten, Entdecker des SARS-Erregers und Leiter des neuen Instituts für Virologie an der Universitätsklinik Bonn. Dass das Schweinegrippe-Virus bislang trotzdem nur wenige Todesfälle verursacht hat, führt Drosten darauf zurück, dass das neue Virus so neu gar nicht ist, sondern eng verwandt ist mit dem Virus, das die Spanische Grippe von 1918 verursacht hat, gegen das die menschliche Immunabwehr sich aber mittlerweile verteidigen kann. Auch dieses Virus war vom Typ H1N1 und zirkulierte noch bis 1957, bevor es dann offenbar verschwand:

    "Was man mehr und mehr jetzt sieht, ist, dass die Personen, die Kontakt hatten mit dem alten H1N1-Virus, das bis zum Jahr 1957 zirkulierte, doch relativ gut geschützt sind gegen das neue Virus. Da scheint es doch eine Verwandtschaft im Schutz zu geben, eine Kreuzreaktion in der Immunologie, das ist die eine Besonderheit.

    Die andere Besonderheit ist, dass dieses Virus, das eigentlich wäre das ganz natürlich verlaufen, das eigentlich seit dem Jahr 1957 nicht mehr hätte zirkulieren dürfen, dass dieses Virus im Jahr 1977 ein zweites Mal wiederaufgetaucht ist. Mit großer Wahrscheinlichkeit als Folge eines Unfalls in einem Labor."

    In einem russischen Labor. Dort nämlich war eine Probe des H1N1-Virus der Spanischen Grippe über viele Jahre tiefgefroren aufbewahrt worden. Beim Auftauen infizierte sich ein Labormitarbeiter daran, in der Folge kam es zur Ausbreitung der sogenannten "Russischen Grippe". Die hat sich zwar nie zu einer gefährlichen Pandemie entwickelt, dennoch kursiert das Virus auch heute noch. Wer davon einmal betroffen war, scheint geschützt zu sein. Das sind aber nur wenige. Den weitaus umfassenderen Schutz hat dagegen die ältere Generation, meint Christian Drosten:

    "Diejenigen, die vor 1957 geboren sind, die hatten ihren Erstkontakt mit Influenza mit einem Virus, und das ist reiner Zufall, mit einem Virus, das eine gewisse Verwandtschaft hat mit diesem Schweingrippe-Virus, und die scheinen bis heute davon zu profitieren, die scheinen geschützt zu sein."

    Gefahr droht dagegen jüngeren Menschen. Wenn jetzt während der bevorstehenden Weihnachtstage bei Familienbesuchen oder Kurzurlauben, aber auch beim Gedränge in den Einkaufsstraßen der Innenstädte, die Deutschen ihre Viren noch einmal kräftig durchmischen, scheint eine zweite Welle unausweichlich. Wie in Frankreich, wo diese Welle bereits begonnen hat, könnte sie erheblich heftiger ausfallen als die erste. Dann aber würde das Medizinsystem heillos überfordert werden, meint Professor Georg Peters, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Münster. Er befürchtet, dass die Betten auf den Intensivstationen nicht ausreichen werden:

    "Wir haben zwar relativ wenige Todesfälle, etwa plus/minus 100 zurzeit, die sind alle im jüngeren Bereich. Das ist das Erste, was aufmerksam macht, das Zweite ist aber, dass wir immer mehr schwerkranke Patienten haben, solche, vor allem solche, die unter 50 Jahren sind, auch in noch wesentlich jüngeren Segmenten, die beatmet werden müssen, die teilweise sogar extrakorporal oxygeniert werden müssen, also an eine Sauerstoffversorgung außerhalb der Lunge kommen müssen. Diese Plätze sind sehr rar, höchste Intensivmedizin, die sind alle besetzt mit diesen Patienten. Das heißt, das wird die Hochleistungskrankenhäuser in den nächsten Wochen vor dramatische Situationen stellen. In manchen Universitätskliniken ist das schon so, dass diese Hochintensivplätze alle durch H1N1-Kranke besetzt sind. Das kriegt die Öffentlichkeit nicht mit. Darüber gibt es auch wenig gute Zahlen."