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Schweiz
Spagat für die Wirtschaft

Schnell zieht die EU die ersten Konsequenzen aus dem Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung. Für die dortige Wirtschaft ist der Druck jetzt schon hoch. In der Schweizer Grenzregion sind Arbeitgeber dringend auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen.

Von Stefanie Müller-Frank | 18.02.2014
    Ein Schild an der schweizerisch-deutschen Landesgrenze
    Das Referendum der Schweiz zur Zuwanderung verursachte massive Kritik aus der EU. (dpa / picture-alliance / Patrick Seeger)
    Jens Eckstein ist leitender Arzt für Innere Medizin am Universitätsspital Basel. Jeden Morgen pendelt der 44- Jährige von Freiburg in die Schweiz. Dass er keinen Schweizer Pass besitzt, hatte nie eine Rolle gespielt im Kollegenkreis. Bis zum Volksentscheid vorige Woche. In den Tagen danach herrschte plötzlich eine seltsame Stimmung in der Kantine, erzählt Eckstein.
    "Da begann das dann das erste Mal, dass man sich überlegt so: Moment, wer ist jetzt Schweizer und wer nicht? Und das war für mich ein ganz unangenehmes Gefühl."
    6.300 Personen arbeiten am Unispital Basel, 45 Prozent von ihnen sind Ausländer. Unter den Ärzten liegt der Anteil sogar bei 52 Prozent. Viele fragen sich jetzt, ob sie hier überhaupt willkommen sind – ja, ob ihre Stellen in Zukunft mit Schweizern besetzt werden müssen. Für Personalchef Mario da Rugna eine heikle Situation:
    "Ich habe einzelne Mails erhalten von Mitarbeitenden, die nachgefragt haben. Die wirklich verunsichert waren. Und da haben wir rasch reagiert."
    Wertschätzung für ausländische Ärzte und Pflegekräfte
    In einer Stellungnahme drückte die Krankenhausleitung ihre Wertschätzung für die ausländischen Ärzte und Pflegekräfte aus – ebenso wie ihre Sorge um den zukünftigen Personalbedarf. Wie das Unispital Basel sind viele Unternehmen in der Nordwestschweiz dringend auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen – vor allem in der Pharmaindustrie, im Hotel- und Gastgewerbe, in der Landwirtschaft und im Gesundheitswesen. Wenn deren Zahl in Zukunft begrenzt werden muss, fürchten Personalchefs, stünde den Firmen ein Kampf um die Kontingente bevor.
    "Kampf würde ich nicht sagen, aber das wird eine Gratwanderung, meint Barbara Gutzwiller, Direktorin des Arbeitgeberverbands Basel.
    "Ich denke, dass viel davon abhängen wird, ob es gelingt, die Berechtigung zur Zuteilung der Kontingente auf die kantonale Ebene zu verlagern. Ich bezweifle, dass der Bund in Bern besser Bescheid weiß als die Unternehmen, wer was benötig."
    Weniger Kellner und mehr Pfleger
    Irgendwo aber wird gekürzt werden müssen. Also lieber weniger Kellner und mehr Pfleger? Oder vielleicht weniger Ärzte, dafür mehr Forscher? Die Initiative gegen Masseneinwanderung hatte diese Fragen, ebenso wie genaue Zahlen zur Höhe der Kontingente, bewusst offen gelassen. Auch der Arbeitgeberverband will sich nicht festlegen.
    "Ich plädiere einfach dafür – weder in den Branchen noch in den Regionen – das eine gegen das andere auszuspielen."
    Bereits jetzt gilt die Kontingentregelung – wenn auch nur für Fachkräfte aus Dritt – sprich: Nicht-EU-Staaten. Alles also nur eine Frage der Umsetzung?
    "Theoretisch kein Problem, praktisch schon. Weil die bürokratischen Hürden hoch sind. Das schafft für alle Firmen, allen voran die mittleren und kleinen Betriebe – eine riesige administrative Belastung."
    Mehr Bürokratie und weniger Fachkräfte
    Mehr Bürokratie und weniger Fachkräfte, Inländervorrang bei Stellenbesetzungen sowie Rechtsunsicherheit in Bezug auf die EU-Verträge; und jetzt setzt Brüssel auch noch die Verhandlungen aus – all das spricht nicht gerade für den Standort Schweiz. Ökonomen der Crédit Suisse schätzen, dass aufgrund der begrenzten Zuwanderung in den nächsten Jahren rund 80.000 Stellen pro Jahr weniger geschaffen werden und damit auch das Wirtschaftswachstum nach unten korrigiert werden muss. Könnte man in Zukunft denn genügend eigene Fachkräfte ausbilden? Barbara Gutzwiller vom Arbeitgeberverband stutzt kurz.
    "Ganz generell? Bei uns in der Schweiz? Nein. Undenkbar. Aber nicht erst seit dem Sonntag, sondern seit Jahrzehnten. Das wäre nicht möglich."

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