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Schweiz
Um die Wette jodeln

Alles muss auswendig gespielt werden, und wer nicht in Tracht kommt, wird disqualifiziert: In der Schweiz hat die Saison der Jodlerfeste und Volksmusikfestivals begonnen. Der Wettbewerb ist den Mitgliedern des Eidgenössischen Jodlerverbands enorm wichtig.

Von Stefanie Müller-Frank | 10.06.2016
    Ein Sportplatz etwas oberhalb der Gemeinde Rothrist im Kanton Aargau: Ein Gartenzwerg mit Alphorn weist den Weg zum Wettblasen, die Jury hat sich unter einem Regendach in Stellung gebracht. Auch Priska Schneitter ist gleich an der Reihe. Sie spielt die zweite Stimme im Alphorn Trio "Solodurum". Schon seit vielen Jahren fährt sie zu Wettbewerben, aber noch immer ist sie aufgeregt vorher.
    "Und jedes Mal daheim denke ich: Heute passiert mir das nicht. Dass ich mich aufrege. Aber kaum kommst du hierher, fängt das an. Vielleicht würde ein Schnaps helfen. Aber dann weißt du vielleicht nicht, wo du bist und wie es weitergeht. Wäre ja auch blöd."
    Die Regeln sind streng: Alles muss auswendig gespielt werden, der Vortrag darf maximal vier Minuten lang sein, ein Schirm ist nur bei starkem Regen erlaubt. Und für Auftritte bei Jodlerfesten ist Tracht Pflicht. Wer das missachtet, wird vom Wettbewerb ausgeschlossen.
    "Dann wirst du disqualifiziert. Ist schon passiert. Also nicht bei uns, aber ich habe schon erlebt, dass jemand disqualifiziert wurde. Weil die hatten einfach so Kutten an – und das geht nicht."
    Mitglieder wollen partout um die Wette spielen
    Diese Regeln sind überall in der Schweiz gleich, ebenso wie die Kriterien für die Bewertung eines Vortrags. Dafür sorgt der Eidgenössische Jodlerverband. Und dessen Mitglieder wollen partout um die Wette spielen, erzählt Karin Niederberger, Zentralpräsidentin des Verbands.
    "Der wird ja immer wieder diskutiert: Ist das wirklich wichtig? Aber wir fragen alle zwei Jahre: Wollt ihr das Eidgenössische Jodlerfest mit dieser Bewertung? Und das wollen sie. Sie wollen gemessen werden. Man kann sich dadurch ja auch weiterentwickeln."
    Jodeln, Alphornblasen und Fahnenschwingen sind Inbegriff des Schweizer Brauchtums, die Jodlerfeste in den Bergen werden jeden Sommer auch von vielen ausländischen Touristen besucht und bestaunt. Was viele nicht wissen: Diese angeblich alte Tradition wurde eigens erfunden. Erst zur Identitätsstiftung unter den Eidgenossen, dann als gezielte Standortwerbung.
    "Das war um das Jahr 1800, dass man in Unspunnen, das ist in der Nähe von Bern, in einer sehr schönen Landschaft, ein Volkskulturfest veranstaltet hat, um die Schweiz wieder zu vereinen. Die Schweiz war in der damaligen Zeit, in der Folge von Napoleon, als ganz in Europa neu reguliert wurde, hat auch die Schweiz eine Identität gesucht. Und die Schweiz war ja ein Vielvölkerstaat par excellence."
    Alles, nur keine "Tirolerei"
    Johannes Rühl ist Ethnologe und hat kürzlich ein Buch veröffentlicht über die neue Volksmusikszene in der Schweiz. Dabei hat er auch nach den Ursprüngen geforscht.
    "Dazu kommt noch, dass man das Schweizer Jodeln schützen wollte vor der sogenannten "Tirolerei". Tirolerei war ein sehr freies Jodeln. Warum das so hieß? Weil man das Jodeln eben doch eher in Österreich verortet hat, das Jodeln wurde nicht so sehr als schweizerisch empfunden. Umso mehr der Druck, sich von dem abzusetzen."
    Johannes Rühl ist auch künstlerischer Leiter des Alpentöne Festivals im Innerschweizer Kanton Uri. Alle zwei Jahre Mitte August lädt dieses Festival Musiker aus dem gesamten europäischen Alpenraum ein, ihre Interpretation von Volksmusik auf die Bühne zu bringen. Das Ergebnis klingt dann meist experimenteller als bei Jodlerfesten. Und alles andere als einheitlich.
    "Je weiter Sie weg sind von den Alpen, umso mehr empfinden Sie das als eine Einheit. Und je näher Sie dran sind, umso vielfältiger wird es. Also die österreichische Volksmusik ist sehr anders als die schweizerische – und die bayerische auch."