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"Schwer nachvollziehbar, was dort im Detail gelaufen ist"

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, begrüßt die geplanten Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Er fordert aber, dass der Linksextremismus miteinbezogen werde.

Bernhard Witthaut im Gespräch mit Martin Zagatta | 19.11.2011
    Martin Zagatta: Ich spreche nun mit Bernhard Witthaut, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei. Herr Witthaut, ein Zentrum, ein weitere Datenbank und eine Arbeitsgruppe - ist das ein Ausdruck von Hilflosigkeit?

    Bernhard Witthaut: Also zuerst begrüße ich natürlich, dass dies gemeinsame Abwehrzentrum gegen den Rechtsextremismus aufgebaut wird. Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass das insgesamt auch den Linksextremismus mit einnimmt, denn wir haben ja sowohl auf der rechten offensichtlich als auch auf der linken Seite Menschen, die mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung überhaupt nicht einverstanden sind, und dann natürlich auch eben halt zur Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt anwenden wollen und Sprengstoffattentate, aber auch möglicherweise Menschen ermorden wollen. Deswegen ist das ein kleiner Versuch, ja.

    Zagatta: Wie hilft dieses Zentrum jetzt oder diese Datenbank, wie hilft das der Polizei jetzt weiter? Was hätte das verhindert, wenn man das früher gehabt hätte?

    Witthaut: Also okay, die Verbunddateien, die jetzt geschaltet werden sollen, ist ja im Prinzip der Zugriff auf die Einzeldateien, die in den Behörden, in den Ländern bereits vorliegen. Im Übrigen: Wenn wir das vor einigen Jahren gefordert hätten, dann hätten sowohl die Datenschützer als auch alle anderen möglicherweise uns in der Luft zerrissen, deswegen ist ja aus meiner Sicht zumindest auch dringend erforderlich, dass den Sicherheitsbehörden die entsprechenden Instrumente auch gegeben werden. Das ist, da gebe ich Ihnen recht, momentan zumindest erst mal nur ein Zusammenführen der vorhandenen Dateien, und deswegen ist es also auch keine Weiterentwicklung.

    Zagatta: Also das hilft gar nicht sonderlich weiter?

    Witthaut: Also ich bin davon überzeugt, dass wir jetzt Daten kriegen, aber entscheidend ist ja, was man mit diesen Daten macht und wie man sie auswertet, und wie insbesondere dann natürlich die Konsequenzen gezogen werden.

    Zagatta: Herr Witthaut, die mutmaßlichen Mörder jetzt sind doch gar nicht so auffällig geworden, dass man sie dieser Mordserie verdächtigt hat. Das heißt, mit einer neuen Datei oder mit den anderen jetzt angekündigten Maßnahmen wären Sie denen doch auch nicht auf die Schliche gekommen, oder sehe ich das falsch?

    Witthaut: Nein, das sehen Sie richtig, weil insbesondere - das ist ja auch ein neues Phänomen - diese Zelle ja sehr, sehr, sehr zurückhaltend mit Informationen gewesen ist. Es gibt überhaupt kein Bekennerschreiben, es gibt keine weiteren Informationen, sie haben auch ihre Taten momentan, zumindest nach meinem Wissensstand, nicht propagiert, und alles andere, was ja im Prinzip eben Täter und kleine Zellen und auch andere, Terroristen möglicherweise, gemacht haben, haben sie überhaupt nicht getan. Und deswegen ist es auch so schwierig, ihnen auf die Schliche zu kommen.

    Zagatta: Ja, im Nachhinein sind wir natürlich schlauer, aber bei einer solchen Mordserie - da ermorden Neonazis neun Ausländer in einem Land wie Deutschland mit einem so riesigen Sicherheitsapparat -, solch eine Mordserie aufzuklären, brauche ich da überhaupt den Verfassungsschutz oder hätte das eine funktionierende Polizei nicht ohnehin leisten müssen?

    Witthaut: Also natürlich muss eine funktionierende Polizei, und die funktioniert, Morde aufklären, aber wenn Sie keine Ermittlungsansätze haben - und wir wissen ja von den Ermittlern, die damals sowohl in Köln als auch woanders ermittelt haben, dass man auch nach rechts geschaut hat -, dann können Sie natürlich als Polizei in dem Sinne gar nichts machen. Deswegen ist auch die Diskussion um den Verfassungsschutz aus meiner Sicht zurzeit viel, viel zu früh. Einige nehmen das jetzt als günstige Gelegenheit, ihre alten Forderungen umzusetzen. Aber wir brauchen auch das Instrument der V-Leute. Das sind ja Leute, die in der Szene sind. Wir müssen nur gemeinsame Richtlinien haben und wir müssen Ansatzpunkte vernünftig bewerten.

    Zagatta: Also Sie halten Forderungen, den Verfassungsschutz ganz abzuschaffen, weil der ja mehr schade als nutze, nicht für gerechtfertigt? Also aus Polizeisicht brauchen wir den Dienst immer noch?

    Witthaut: Also ich bin davon überzeugt, dass wir auch einen Schutz brauchen, der unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung schützt. Das kann die Polizei nicht. Wir haben das Trennungsgebot. Das muss auch beibehalten werden.

    Zagatta: In Thüringen haben der Verfassungsschutz und offenbar ja auch die Regierung, so ist jetzt bekannt geworden, der Polizei gewaltig misstraut bei der Suche nach diesen Neonazis. Sind das nicht unhaltbare Zustände?

    Witthaut: Das ist richtig. Wenn bei der Aufarbeitung dieser ganzen einzelnen Details, die jetzt so nach und nach rauskommen, wir feststellen, dass dort ein gegenseitiges Misstrauen wohl vorhanden war oder vorhanden sein sollte, dann ist das etwas, was nicht in Ordnung ist. Wir müssen auch überprüfen, inwieweit die Politik da vielleicht noch die Hände im Spiel hatte, denn wir wissen ja, dass Aussagen, Anweisungen, Anordnungen des Innenministers von der Polizei mit umgesetzt werden müssen. Deswegen muss das auch aufgearbeitet werden, und es muss auf jeden Fall alles, was hier falsch gelaufen ist, muss korrigiert werden. Das sind wir also sowohl den Opfern schuldig, aber das sind wir auch uns als Polizei schuldig.

    Zagatta: Was ist denn aus Ihrer Sicht dran an Vorwürfen, dass viele Polizisten gerade in Ostdeutschland mit der rechtsextremen Szene sympathisieren? Kann man das so sagen?

    Witthaut: Also ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, ob das so von der Formulierung her richtig ist, wir wissen aber auf der anderen Seite, dass natürlich Menschen in den ostdeutschen Ländern möglicherweise eher in diese Richtung tendieren. Das wissen wir aus den Zahlen, das wissen wir auch von den Umfragen.

    Zagatta: Ist das ein Problem bei der Polizei speziell auch?

    Witthaut: Also ich bin nicht davon überzeugt, dass das ein spezielles Problem bei der Polizei ist, sondern das wird sich im Grunde genommen quer durch die Bevölkerung ziehen. Aber wir müssen natürlich als Polizei alles tun, damit das nicht so ist. Das ist das Entscheidende.

    Zagatta: Wird das getan?

    Witthaut: Also ich weiß, dass es also viele Programme gibt, sowohl in allen anderen Bundesländern, aber insbesondere auch in den fünf neuen Ländern, wenn ich das mal so formulieren darf, dass natürlich wir auch erkennen, wenn solche Tendenzen da liegen, dass solche Kolleginnen und Kollegen also eigentlich in der Polizei so nichts zu suchen haben.

    Zagatta: Herr Witthaut, welchen Schaden hat dieser Fall jetzt angerichtet, dass es da ja so aussieht, die Polizei oder die Sicherheitsbehörden haben es nicht geschafft, nach neun Morden auch noch diesen Mördern auf die Spur zu kommen? Ist das nicht ein riesiger Vertrauensverlust, der jetzt da auch entstanden ist oder entsteht, ein Vertrauensverlust auch in die Polizei?

    Witthaut: Also es ist natürlich für mich zumindest eben halt zurzeit auch sehr, sehr schwer nachvollziehbar, was dort im Detail gelaufen ist. Deswegen möchte ich mich jetzt mit einer Stellungnahme dazu auch so ein bisschen zurückhalten. Ich plädiere aber dringendst dafür, dass das aufgearbeitet wird, dass das auch öffentlich aufgearbeitet wird, denn das wäre fatal, wenn das Vertrauen in die Polizei, in die Arbeit der Polizei dann durch solche Dinge beeinträchtigt würde. Unsere Aufgabe ist es, Straftaten und Morde aufzuklären, und deswegen finde ich auch zum Beispiel so eine Forderung, wir fordern auf, Morde aufzuklären -, das ist unsere ständige Arbeit, das tun wir jeden Tag.

    Zagatta: Glauben Sie, dass es zu dieser Aufklärung kommt? Das gestern, so beurteilen das heute die meisten Zeitungen, war ja ein sehr vorsichtiger Schritt, um es vorsichtig auszudrücken, was Bund und Länder da beschlossen haben.

    Witthaut: Sie müssen alle davon überzeugt sein, dass in solch einer Situation wir nicht von einer Sekunde zur anderen alle Probleme lösen können. Dazu ist es aus meiner Sicht wirklich dringend erforderlich, alle Fakten auf den Tisch zu legen, und das muss wirklich passieren, und dazu ist auch dringend erforderlich, diese Dinge auszuwerten. Das muss auch durch die Öffentlichkeit geschehen, das muss auch unsere Gesellschaft mitmachen, denn ansonsten es abzuschieben auf Innen- und Justizministerkonferenz oder möglicherweise nur auf die entsprechenden Organisationsstrukturen innerhalb des Verfassungsschutzes, das ist mir zu kurz gesprungen.

    Hier ist ganz dringend erforderlich, dass unsere Kolleginnen und Kollegen sicher sind: Sie haben das Vertrauen in der Gesellschaft, sie haben das Vertrauen von der Bevölkerung. Und deswegen ist es aus meiner Sicht zumindest wirklich verfrüht, dort frühe Konsequenzen zu ziehen. Und noch mal: Es gibt ja Menschen, die sind bei uns Bundestagsabgeordnete, es gibt ja Menschen, die sind Landtagsabgeordnete, die werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Dass die jetzt versuchen, alles in Zweifel zu ziehen, das ist natürlich aus meiner Sicht auch zu kurz gesprungen.

    Zagatta: Ja, wobei die natürlich dann sich zu Recht vielleicht auch beschweren: Sie werden überwacht und auf der anderen Seite kann man da neun Morde unbehelligt begehen.

    Witthaut: Da haben Sie Recht, da haben Sie Recht, deswegen ist aus meiner Sicht zumindest auch noch dringend erforderlich, uns jetzt nicht nur auf Rechts zu stürzen, sondern wir müssen auch den Linksextremismus da mit einbeziehen, und deswegen wäre aus meiner Sicht so ein gemeinsames Abwehrzentrum gegen den Extremismus, gegen Terrorismus viel besser gewesen. Ich hätte es auch integriert in das gemeinsame Abwehrzentrum der terroristischen Bekämpfung, was wir schon haben. Und dies GTAZ, so ist die Abkürzung, leistet ja gute Arbeit.

    Zagatta: Herr Witthaut, wir hätten noch viele Fragen, aber die Zeit für das Interview ist vorbei. Bernhard Witthaut war das, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Witthaut, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Witthaut: Bitte schön, Herr Zagatta!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.