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Schweres Beben in Haiti

Geophysik. - Der Karibikstaat Haiti ist in der Nacht von einem Erdbeben getroffen worden. Es hatte die Stärke 7,0. Mehrere Nachbeben folgten im Laufe des Tages. Das Epizentrum lag 15 Kilometer westlich von Port-au-Prince, der Bebenherd in einer Tiefe von 13 Kilometern. Die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich berichtet im Gespräch mit Gerd Pasch.

13.01.2010
    Pasch: Nach den Berichten herrschen nun in dem armen Inselstaat Chaos und große Zerstörung. Hunderte Opfer seien zu beklagen. Mit Dagmar Röhrlich möchte ich jetzt über die geologischen Ursachen für dieses Beben sprechen. Wie kommt es denn zu diesen heftigen Erdstößen in einer Region, die nicht so sehr als Erdbebenzone gilt?

    Röhrlich: Wir haben hier eine ungeheuer komplizierte geologische Situation. Wir haben zum einen eine karibische Platte, die so irgendwie, wenn man sie sich anschaut, etwas von einem Pflaumenkern hat. Die wird quasi von der nordamerikanischen Platte und von der südamerikanischen Platte in die Zange genommen. Dabei zerbricht sie auch noch an einigen Rändern, sodass ich sogenannte Mikroplatten bekomme, das sind ganz kleine tektonische Platten. Die werden noch mal in die Zange genommen, und da kommt es halt sehr selten, aber es kommt immer wieder zu Beben. Und genau das ist gestern passiert: Am Rand einer solchen Mikroplatte ist diese Mikroplatte gegen die nordamerikanische Platte ein Stück vorbeigeschrammt. Die Bewegungen, die dort ablaufen, sind eigentlich sehr langsam, nur 0,7 Millimeter pro Jahr sind das. Wenn man einmal das Sumatra-Beben 2004 nimmt, die Platten dort bewegen sich mit sechs Zentimetern pro Jahr gegeneinander, da ist wirklich eine Welt zwischen. Weil diese Bewegungen hier so klein sind, sind die Beben nicht so häufig. Von daher bebt es dann nur alle 100 Jahre wie in diesem Fall und es kommt dann auch entsprechend unerwartet für die Leute. Aber die sind ohnehin so arm in dieser Region, dass man auch nicht viel vorbereiten könnte.

    Pasch: Wie sieht es denn in der Umgebung aus? Dort gibt es ja aktiven Vulkanismus.

    Röhrlich: Wir haben diese Zone, wo es jetzt gebebt hat, wo die Platten aneinander vorbeirutschen. Aber wenn ich jetzt ein bisschen nach Westen und Südwesten [meint Osten und Südosten] gehe, da komme ich in einen Bereich, wo die atlantische Platte angefangen wird zu subduzieren. Der Atlantik öffnet sich eigentlich, der wird immer größer und größer. Wir haben noch nicht diese vielen Zonen wie im Pazifik, wo wir ja diesen pazifischen Feuerring haben, wo die Meereskruste wieder im Erdinneren verschwindet. Das fängt im Atlantik gerade an wenigen Stellen an, und vor der Karibik ist so eine Stelle. Antillen, Puerto-Rico-Graben, da beginnt es runterzugehen ins Erdinnere hinein. Dort haben wir dann auch den mit den sogenannten Subduktionszonen verbundenen Vulkanismus und auch natürlich stärkere Beben und öfter Beben als an diesen Plattengrenzen, wo es aneinander vorbeigeht.

    Pasch: Da bewegt sich viel, möglicherweise, im Untergrund. Die Tsunamiwarnstation der USA im Pazifik alarmierte zuerst mal die Karibikinseln im Atlantik, zog die Warnung kurz darauf aber wieder zurück. Wie große ist denn die Tsunamigefahr?

    Röhrlich: Bei diesem Beben ist sie sehr gering, aber man wollte halt lieber gewarnt haben und nicht darauf warten, dass etwas passiert. Große Tsunamis entstehen ja, wenn Wassermassen nach oben geworfen werden wie beim Sumatra-Beben, wo ja die eine Platte, die runtergeht ins Erdinnere hinein, zurückgeschnellt ist, sozusagen, und dadurch das Wasser, das darüber ist, hochgeworfen hat wie einen Ball. Hier rutschen die Platten aneinander vorbei, das ist also wenig vertikale Bewegung da, sodass eigentlich die Gefahr gleich null ist, dass dabei ein Tsunami entsteht. Aber das sehe ich natürlich nicht sofort. Wenn so ein Beben passiert, dann sehe ich nur, das ist ein schweres Beben. Dann brauche ich erstmal 20 Minuten, 30 Minuten, ehe ich ausgewertet habe, was da genau passiert ist.
    Das ist für eine Tsunamiwarnung viel zu spät. Also hat man lieber gesagt, wir warnen und gucken nach. Als man dann gesehen hat, da ist keine vertikale Bodenbewegung, sondern die Platten sind aneinander vorbeigerutscht, hat man dann die Warnung wieder aufgehoben.

    Pasch: Nachbeben hat es schon gegeben. Welche Folgen des schweren Bebens werden denn noch erwartet?

    Röhrlich: Erst einmal weiß man das bei dieser Gegend nicht. Wir haben ja gerade mal so ein bisschen mitbekommen, wie kompliziert die Situation da aussieht. Und die Fachleute können jetzt überhaupt nichts sagen, wie beispielsweise an der nordanatolischen Verwerfung, wo wir eine ähnliche Situation haben und wo die Beben sich ganz langsam auf Istanbul zubewegen und man weiß, irgendwann einmal ist diese Stadt betroffen. Diese Situation in der Karibik ist so kompliziert und kleinteilig und es gibt so wenig wissenschaftliche Informationen, dass die Forscher da überhaupt nicht sagen können, das nächste Mal bebt es hier oder da. Aber es kann durchaus passieren, dass irgendwo anders ein Beben losgeht und es kann auch sein, dass an dieser sogenannten Subduktionszone jetzt plötzlich Spannungsverlagerungen sind und wir da ein größeres Beben erwarten könnten, aber das weiß man nicht.