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Schwerpunktthema: Gott und die Welt

Mit dem Siegeszug der Naturwissenschaften schien es nur eine Frage der Zeit, bis alle Geheimnisse des Universums auf rationale Weise geklärt würden. Doch Relativitätstheorie und Quantenphysik erschütterten diese deterministische Vorstellung von Wirklichkeit.

Von Ingeborg Breuer | 28.03.2013
    "Es ist sehr schwer über den Schöpfungsbericht zu predigen und gleichzeitig den Leu-ten zu sagen, so ist es nicht gewesen. Am einfachsten ist, die Bibel aufzuschlagen, so wie die Biblizisten und Fundamentalisten."

    Wie lassen sich das naturwissenschaftliche Weltbild und die Idee eines Schöpfergottes zusammendenken? Passt die biblische Botschaft noch in unsere heutige aufgeklärte Welt? Der Philosoph Herbert Schnädelbach ist nach eigenen Worten ein "frommer Atheist", sprich einer, der bedauert, nicht an Gott zu glauben. Er beschreibt, was das Glauben heute schwierig macht und zitiert zur Veranschaulichung den Theologen Rudolf Bultmann:

    "Bultmann sagt ja ganz richtig, wir steigen in Züge, wir haben elektrisches Licht und gleichzeitig tritt uns im Alten Testament ein prämodernes Weltbild entgegen mit drei Stockwerken. Unten die Hölle, oben der Himmel. Viele Vorstellungen über Gesundheit und Krankheit, die wir nicht mehr teilen können. Es ist einfach die Entfernung zwischen der Weltinterpretation, die das Christentum bietet, und unserer wirklichen Lebens-welt."

    Bis in die frühe Neuzeit dagegen stand diese Lebenswelt ganz im Zeichen der christlichen Weltinterpretation. Wer davon abwich, wurde von der Inquisition verfolgt. Giordano Bruno wurde in Rom verbrannt, weil er das Universum für unendlich und belebt hielt. Galileis Erkenntnis, dass nicht die Erde der Mittelpunkt des Universums ist, galt laut einem päpstlichen Gutachten als "ketzerisch", insofern diese Behauptung "der ausdrücklichen Meinung der Heiligen Schrift … widerspricht". Doch seit der Renaissance kamen die erstarrten Vorstellungen über die Welt in Fluss. Entdeckungen, Erfindungen und neue Ideen begannen die Dogmen der Kirche aufzuweichen. Bis schließlich die "Wahrheiten" der Theologie mehr und mehr ins Hintertreffen gerieten. Klaus Nagorni, Theologe und Direktor der Evangelischen Akademie Bad Herrenalb:

    "Da gilt, dass wir einsehen mussten als Theologen, dass die Theologie kein Welterklä-rungsmuster liefert und insofern gar nicht in Konkurrenz tritt mit naturwissenschaftlichen Aussagen."

    Seit Jahren veranstaltet die Evangelische Akademie in Bad Herrenalb Tagungen zum The-ma "Religion und Naturwissenschaften im Gespräch". Zuletzt ging es in diesem Rahmen um den Menschheitstraum vom ‚vollständigen Wissen‘. Wie sicher ist das Wissen der Naturwissenschaften? Welche Gewissheit kommt religiösen Erfahrungen zu? Dass angesichts der Erfolge von Naturwissenschaft und Technik das Sprechen über Gott schwieriger wird, sieht auch Dr. Frank Vogelsang, Leiter der Evangelischen Akademie des Rheinlands. In seinem Buch "Offene Wirklichkeit" setzt er sich mit dem Wirklichkeitsverständnis der Moderne auseinander.

    "Während es früher eine Harmonie gab zwischen der Präsenz Gottes und der Beschrei-bung der Welt, so haben die Naturwissenschaften nun einen eigenen Anspruch, die Welt zu deuten. Ich halte diese Haltung für richtig, ich glaube tatsächlich, dass es schwierig ist, Gott in einem naturwissenschaftlichen Weltbild unterzubringen. Die Frage wird also sein, ob dieses naturwissenschaftliche Weltbild gut begründet ist."

    Der Frage, wie begründet das naturwissenschaftliche Weltbild ist, gingen auch Wissen-schaftler auf der Tagung in Bad Herrenalb nach. Seitdem Newton entdeckt hatte, dass die gleiche Kraft, die auf Erden alle Gegenstände nach unten fallen lässt, auch den Mond auf seine Bahn um die Erde zwingt und ebenso die Erde an die Sonne bindet, schien der Bauplan des Universums gefunden. Es funktioniert wie eine Maschine, deren Abläufe genau bestimmbar sind. "Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Weltalls", schrieb der französische Mathematiker Laplace im 18. Jahrhundert, "als die Wirkung sei-nes früheren Zustands und andererseits als Ursache des Darauffolgenden betrachten". Thorsten Leitze, Physiker und Professor für angewandte Mathematik, Software und Sen-sorsysteme an der Hochschule Karlsruhe:

    "Da ist es zumindest so, dass die Idee, die man früher hatte, dass man für einzelne Teilchen, wenn man sie anschubst und gut genug rechnen kann, ausrechnen kann, wie die sich in alle Ewigkeit weiter bewegen. Die klassische Mechanik, Billardkugeln etc. … aus den Alltagserfahrungen kann man das gut nachvollziehen."

    Die Physik machte sich zur Aufgabe, das ganze Universum als eine lückenlose Kausalver-kettung zu beschreiben. Die Biologie wiederum glaubte, mit der Evolution die Entwicklung des Lebens natürlich erklären zu können. Und es schien nur eine Frage der Zeit, bis die Naturwissenschaften alle Geheimnisse der Welt auf rationale Weise geklärt hätten. Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde diese Überzeugung aus den exakten Wissenschaf-ten heraus selbst erschüttert. Denn einerseits stieß der Mathematiker Kurt Gödel auf die Grenzen mathematischer Beweisbarkeit. Und die Erkenntnisse von Quantenphysik und der speziellen Relativitätstheorie widersprachen der klassischen Physik, wie sie sich seit Newton entwickelt hatte. Hatte Newton am Himmel wie auf der Erde die gleichen Gesetze entdeckt, so gelten diese nicht mehr in der Welt des ganz Kleinen.

    "In der Quantenphysik ist es z.B., dass man alles als Teilchen und als Welle betrachten kann. Und für diese Wellen und die beteiligten Teilchen kann man dann Aufenthaltswahrscheinlichkeiten definieren, das ist das eine, was mit der Alltagserfahrung nichts zu tun hat. Und das andere ist, wenn man z. B. die Heisenbergsche Unschärferelation anschaut, die besagt, dass man eben nicht Ort und Impuls scharf messen kann. Entweder ich weiß, wo das Teilchen ist, dann weiß ich nichts Genaues über den Impuls. Und umgekehrt, wenn ich den Impuls kenne, bin ich ganz unscharf im Ort. Die Relativitätstheorie zwingt einen, wenn man von einem Bezugssystem, zu einem anderen übergeht, anders als in der klassischen Mechanik auch noch die Zeit mit zu transformieren, also muss man neu über die Zeit nachdenken. Und Zeit und Ort und Zeit und Länge werden miteinander transformiert und führen dann zu ganz merkwürdigen Effekten die in vollkommenem Widerspruch zu der Spielplatzphysik oder der Alltagsphysik stehen."

    "Wer über die Quantentheorie nicht entsetzt ist, der hat sie nicht verstanden", soll Nils Bohr, einer der Väter der modernen Physik, einmal gesagt haben. Denn mit ihr wurde der Zufall, also das nicht, oder nur zum Teil Berechenbare, das Wahrscheinliche, aber nicht Gewisse zu einer Größe der modernen Naturwissenschaft. Dieter Hattrup, Mathematiker und Theologe und Professor für Dogmatik an der Universität Paderborn:

    "Das ist die Grenze die Begreifbarkeit der Welt. Man kann von einer Lücke sprechen, es scheint, dass die vollständige Erfassung aller Wirklichkeit, die Vorhersehbarkeit von Sonne, Mond und Sternen und von allen Dingen, dass die doch nicht vollständig möglich ist. Da zum Beispiel Einstein an dieser Vorstellung, das alles vorhersagbar sein muss, so sehr gehangen hat, deswegen hat er einen so großen Kampf dagegen geführt gegen die-sen Zufall in der Natur, den er in das blumige Wort gefasst hat, "Gott würfelt nicht". Aber es scheint, dass er sehr unrecht gehabt hat, wie man ihm mit Experimenten nachge-wiesen hat."

    Die Erkenntnisse der modernen Physik widersetzen sich der deterministischen Beschrei-bung der Wirklichkeit, deren Zukunft eindeutig durch ihre Vergangenheit bestimmbar ist. Sie widersetzen sich auch, meint Thorsten Leitze, der Suche nach einer "Weltformel", jener "Theorie von allem", die sämtliche physikalischen Probleme erklären und miteinander verknüpfen soll. Sie wiedersetzen sich damit, so könnte man sagen, dem Schritt von der Allmacht Gottes zur Allmacht der Physik:

    "Letzte Beweise kann‘s in meinen Augen sowieso nicht geben, weil ich nicht glaube, dass es eine allumfassende Weltformel gibt, die dann deterministisch alles bestimmt, was wir machen, weil das wäre ein Widerspruch zu dem, was uns die moderne Physik und Mathematik liefert. Und das wäre eigentlich auch was, was in meinen Augen der menschlichen Freiheit widerspricht."

    Dieter Hattrup geht noch einen Schritt weiter. Für den Mathematiker und katholischen Theologen ist das Changieren der Quantenphysik, das "Schattenspiel von Zufall und Notwendigkeit" gar ein Hinweis auf Gott. Ein Gottesbeweis geradezu, wenn auch nur zu 75 Prozent.

    "Das ist der Punkt, den ich mir so ausgedacht habe, dass dann etwas sichtbar wird, was von der Naturwissenschaft her nie sichtbar war. Und ich glaube, dass man mit den neueren Begriffen in der Physik Zufall und Notwendigkeit und in der Biologie Mutation und Selektion, dass dort ein Erklärungsmodell als ein Paar von Prinzipien eingedrungen ist, das man deuten kann als die Bruchstücke von Freiheit."

    Doch ist das wirklich plausibel? Bieten jene die herkömmliche Logik sprengenden Ergeb-nisse von Relativitätstheorie und Quantenphysik wirklich ein Einfallstor für die Erfahrung von Göttlichem? Dem Mitveranstalter der Tagung in Bad Herrenalb, dem Physiker Prof. Jürgen Audretsch geht das zu weit. Möglicherweise findet ja auch das, was heute als Zufall gilt, irgendwann eine wissenschaftliche Erklärung.

    "Man weiß sowieso nicht, wie viel andere Theorien es noch geben kann, ob nicht mor-gen jemand mit einer erfolgreichen Theorie ankommt, in der der Zufall eliminiert ist. Und das ist kein Witz. Einstein hat 30 Jahre versucht, das zu machen. Er ist gescheitert, aber was besagt das schon?"

    Immer wieder hat die Theologie versucht, Gott zum ‚Lückenbüßer‘ für das zu machen, was die Naturwissenschaften nicht erklären konnten. Mit der Konsequenz, dass immer, wenn der Mensch mithilfe seiner Vernunft die Grenzen des noch Unerklärten weiter hinausschiebt, der Raum für Gott kleiner wird. Bis dieser am Ende dann überflüssig erscheint. Klaus Nagorni, Theologe:

    "Ich finde es dann kompliziert, wenn die Lücken die sich auftun, dass auch durch die Quantenphysik klar geworden ist, dass es kein deterministisches Modell mehr geben kann in der Physik, jetzt genutzt werden, um da theologisch rein zuspringen, und zu sagen, da ist die Chance, einen Gottesbeweis heraufzubeschwören. Gegen diesen Lückenbüßergott hat sich Bonhoeffer ausgesprochen und andere auch, weil das wirklich wieder theologische Aussagen auf dieselbe Ebene heben würde wie naturwissenschaftliche. Die theologische Erfahrung ist eine andere als eine empirische Erfahrung in den Wissenschaften."

    Was aber macht die religiöse Erfahrung aus? Für Frank Vogelsang liegt sie jenseits der Welt der Naturwissenschaft. Denn so erfolgreich deren Modelle auch sind, sie bilden keineswegs die ganze Wirklichkeit ab. Um sich den Wahrheiten der Bibel anzunähern, so Vogelsang, müsse man die starre Trennung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Mensch und Welt aufgeben. Vielmehr müsse der Mensch sich von der Wirklichkeit "berühren" lassen. So wie die nüchtern ausgemessene Galaxie uns berührt, wenn sie zum atemberaubenden Sternenhimmel über uns wird.

    "Wir begegnen jemandem, den wir nicht kennen, wir fragen den ja, wer sind Sie? Wir könnten natürlich unseren Ausweis zeigen oder DNA-Probe, aber das wird nicht gehen. Es wird nur so gehen, dass ich von mir zu erzählen beginne. Die Erzählung ist eine ganz eigenständige Weise, wie ich mit mir und meiner Wirklichkeit in Kontakt komme. Und so ist es auch mit Gott. Gott ist nicht zu erfahren, indem ich mir die Welt vornehme, sie als Rätsel verstehe und sie zu lösen versuche, und dann auf Gott komme. Sondern auf Gott komme ich, indem ich von meiner Identität Rechenschaft ablege. Und Menschen, die Gott begegnet sind, die können nicht mehr von sich reden, nicht ohne dass sie auch von Gott reden, der sie angesprochen hat."

    Aufgabe der Theologie sei es, sich der Wirklichkeit poetisch-erzählend zu nähern. Nicht im Sinne einer rein subjektiven, bloß persönlichen Erfahrung. Vielmehr offenbare das Sprechen von Gott "Sinnstrukturen".

    "Weisheitliche Theologie wäre eine solche, die den Glauben nicht zu einem rein subjektiven Geschehen macht, die lernt von der Welt zu reden, aber mit der Finesse, mit der Sensibilität in den Dingen, wie sie sich zeigen, Gottes Spuren festzustellen. Das sind keine objektiv messbaren Spuren, es sind auch keine reproduzierbaren Spuren, aber es ist eine bestimmte Weltzuwendung, mit der wir viel mehr bereichert werden können, als wenn wir nur gestaltbare Objekte vor uns sehen."

    Ob dieser Weg in eine neue religiöse Verbindlichkeit für viele Menschen in unserer west-lich aufgeklärten Kultur gangbar ist, mag man mit einem Fragezeichen versehen. Die Be-gegnung mit dem christlichen Gott bleibt zunehmend mehr Menschen verschlossen. Allenfalls schaffen sie sich ihren eigenen Gott – ein bisschen Buddhismus hier, ein bisschen Mystik da, vielleicht noch eine Prise indianischer Schamanismus – Patchwork-Religion eben. Die naturwissenschaftlich aufgeklärte Welt scheint Religiöses oftmals nur als vage, hochindividualisierte Spiritualität zuzulassen. Ob diese an die Kraft heranreicht, die der christliche Glaube einst vermittelte, darf man bezweifeln. Herbert Schnädelbach, der "fromme Atheist" sieht das mit einer gewissen Trauer:

    "Wenn man erlebt hat, wie viel Kraft Menschen aus ihrem Glauben gezogen haben. Dass es Menschen gibt, die legen sich aufs Sterbebett und sagen, es passiert ja nichts, ich komme ja jetzt in den Himmel. Das kann man nicht lächerlich finden, das ist schon unglaublich, dass Glaube eine solche Kraft hat und die geht einem dann ab. Das ist der Preis der Aufklärung, man kann sich nicht mehr durch Opfer des Verstandes in eine heile Glaubenswelt zurückretten und muss schon was anderes suchen."

    Dieter Hattrup, der Paderborner Theologieprofessor, zeigt sich dagegen optimistisch. Für ihn ist die große Zeit des Atheismus vorbei. Auch wenn die meisten es noch nicht gemerkt haben.

    "Ich erkläre das so, als der Atheismus begann, so um 1700 im Wesentlichen durch die Newtonschen Gesetze, war fast alles gläubig, nur wenige Naturwissenschaftler fingen an, Atheisten zu werden. Bis dann im 19. Jahrhundert alle Atheisten waren und das hat sich bis nach unten durchgeschlagen. Aber jetzt beginnt oben die Gegenbewegung, und das könnte wieder 300 Jahre sein. Was wir jetzt an Atheismus haben, ist die Folge der mechanistischen Auffassung der Natur seit 300 Jahren."