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Schwierige Regierungsbildung

15 Monate früher als geplant wird heute in Dänemark ein neues Parlament gewählt. Der amtierende dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen begründete das Vorziehen mit wichtigen Entscheidungen in der nächsten Legislaturperiode, die stabiler Mehrheitsverhältnisse bedürften. Vermutet werden darf jedoch, dass der tatsächliche Grund die im Frühjahr anstehenden schwierigen Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst sind.

Von Marc-Christoph Wagner | 12.11.2007
    Der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen am 21. August 2007: Er sei mittlerweile der Einzige, der nicht von der Wahl spreche, sagte er seinerzeit im dänischen Fernsehen. Er wolle seine Politik erläutern und umsetzen. Darüber hinaus könne er nur feststellen, dass die Parlamentswahl spätestens im Februar 2009 abgehalten werden müsse.
    Zwei Monate und drei Tage später waren diese Worte Makulatur. Am 24. Oktober rief Rasmussen die Abgeordneten des dänischen Folketing zusammen - und teilte ihnen mit, worüber seit Wochen, ja Monaten spekuliert worden war: Vorgezogene Neuwahlen, am Dienstag, den 13. November, nach nur drei Wochen Wahlkampf:

    "In der kommenden Legislaturperiode werden wir wichtige Entscheidungen zu treffen haben. Und wenn wir den Rest dieser Legislaturperiode damit zubringen, über eine Wahl zu spekulieren, dann gefährdet das die politische Arbeit und Stabilität."
    Doch diese Begründung für Neuwahlen scheint nur die eine Hälfte der Wahrheit. Gewiss hätten sich die Fronten etwa bei den Haushaltsverhandlungen verhärtet, sagt Wahlforscher Kasper Hansen von der Kopenhagener Universität. In Erwartung einer baldigen Parlamentswahl hätte jede Partei versucht, ihre Kernanliegen durchzusetzen und sich dabei unnachgiebiger gezeigt als normalerweise. Aber:

    "Der tatsächliche Grund ist, dass im Frühjahr sehr schwierige Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst anstehen. Die Erwartungen an die Lohnsteigerung sind enorm hoch und die Regierung wird diese Erwartungen nicht erfüllen können. Mit enttäuschten Hoffnungen macht man sich natürlich keine Freunde. Daher die vorgezogenen Neuwahlen."
    Die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sind die vielleicht größte und wichtigste Wählergruppe im Staate Dänemark. Polizisten, Krankenschwestern, Lehrer und Altenpfleger wurden im Wahlkampf kräftig umworben. Insbesondere die sozialdemokratische Oppositionsführerin Helle Thorning-Schmidt, Schwiegertochter des ehemaligen britischen Labour-Führers und EU-Kommissars Neil Kinnock, setzte im Wahlkampf ganz auf den Sozialstaat:

    "Meine klare Botschaft ist: Unser Sozialstaat muss funktionieren. Die Dänen bezahlen so hohe Steuern, da können sie das auch erwarten. In den vergangenen sechs Jahren war es der Regierung stets wichtiger, die Steuern zu senken, aber so leid es mir tut: Man muss Prioritäten setzen, beides auf einmal - Steuererleichterungen und Sozialstaat - geht nicht. Allein für das kommende Jahr hat die Regierung Steuererleichterungen in Höhe von vier Milliarden Kronen bewilligt. Was könnte man mit diesem Geld nicht alles an sozialstaatlichen Leistungen finanzieren?"
    Ministerpräsident Rasmussen wies diese Auslegung seiner Politik zurück. Seine Regierung habe massiv in Ausbildung, Forschung wie überhaupt den öffentlichen Sektor investiert. Das Wachstum sei stabil, der Haushalt habe einen Überschuss von 80 Milliarden Kronen, die Staatsverschuldung sei nahezu abgebaut. Darüber hinaus sei die Zahl der Arbeitslosen mit 3,1 Prozent auf einem historisch niedrigen Niveau - auch das Folge der moderaten Steuersenkungen, die die Wirtschaft beflügelten und folglich wiederum mehr Geld in die öffentlichen Haushalte spülten.

    Rasmussen: "Ich denke, die Wahl ist eindeutig: Entweder man setzt auf Stabilität, Sicherheit und ein solides Wachstum oder man wagt ein Experiment. Die Alternative zu unserer Regierung sind Parteien, die die Steuern erhöhen möchten, die die Grenzen des Landes öffnen und zu der laschen Ausländerpolitik der 1990er Jahre zurückkehren möchten. Es gibt keine klare Linie und das wird zu einer großen Instabilität führen in der dänischen Gesellschaft."

    Mit der Stabilität der rechtsliberal-konservativen Regierung aber ist es so eine Sache. Seit 2001 kann die Minderheitsregierung nur dank der Tolerierung der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei regieren - ein Bündnis, das auf wackeligen Füssen steht. Wahlforscher Kasper Hansen:

    "Zweifellos erhoffen sich viele bürgerliche Wähler, dass die Regierung in die politische Mitte rückt. Die Zusammenarbeit mit der Dänischen Volkspartei soll beendet, die Partei politisch isoliert, aufs Abstellgleis gestellt werden. Unter Rechtsliberalen und Konservativen gibt es eine sehr große Skepsis, was die Zusammenarbeit mit der Dänischen Volkspartei betrifft."
    Vertreten Rechtsliberale und Konservative die wohlsituierten bürgerlichen Wähler, versteht sich die Dänische Volkspartei als Anwältin der sozial Schwachen. Viele ihrer Wähler sind enttäuschte Sozialdemokraten, die den Genossen den Rücken kehrten. Auch viele Rentner geben der Volkspartei ihre Stimme.
    Kurzum: Es prallen Welten aufeinander. Wollen die beiden Regierungsparteien den Sozialstaat zwar im Kern bewahren, so muss dieser ihrer Ansicht nach doch reformiert werden, um auch in Zukunft, sprich in Zeiten der Globalisierung zu bestehen.

    Erst im August begründete die Regierung ein Steuersenkungspaket in Höhe von zehn Milliarden Kronen mit dem Mangel an Fachkräften. Wer kluge Köpfe ins Land locken beziehungsweise einheimische Arbeitnehmer motivieren wolle, länger zu arbeiten, müsse entsprechende Anreize schaffen - und auch den Spitzensteuersatz von mehr als 60 Prozent senken. Und darauf insistiere er, so der Wirtschaftsminister und Vorsitzende der Konservativen, Bendt Bendtsen.

    Diese Rechnung aber hatte Bendtsen ohne den Wirt, in diesem Falle ohne die Dänische Volkspartei gemacht. Wenn die Staatskasse Steuererleichterungen zulasse, so die Vorsitzende Pia Kjærsgaard, müsste der Eingangs-, nicht der Spitzensteuersatz gesenkt werden, damit die sozial Schwächsten davon profitierten:

    "Auch die Konservativen müssen Kompromisse machen, aber ich befürchte, sie suchen die Konfrontation. Die Partei aber sollte verstehen, dass man keine ultimativen Forderungen stellt - schon gar nicht, wenn man Teil einer von uns tolerierten Minderheitsregierung ist."
    Das Regierungsbündnis aber hat nicht allein mit internen Querelen zu kämpfen. Im Mai dieses Jahres erweiterte sich die dänische Parteienlandschaft: Zwei Abgeordnete der oppositionellen Sozialliberalen verbündeten sich mit einer Konservativen und gründeten die Neue Allianz - eine bürgerliche, pro-europäische Partei der Mitte, die nicht nur einen einheitlichen Steuersatz von 40 Prozent fordert, sondern vor allem der Schlüsselstellung der Dänischen Volkspartei ein Ende bereiten will:

    "Viele Bürger wollen eine Regierung der Mitte - kein rotes Kabinett, aber auch keine Regierung, bei der die Dänische Volkspartei so viel Einfluss hat."
    Das Interessante an der Neuen Allianz - erstmals steht ein Moslem an der Spitze einer dänischen Partei. Naser Khader, Sohn eines palästinensischen Vaters und einer syrischen Mutter, kam als 11-Jähriger nach Dänemark. Er lernte die Sprache, wurde Klassenbester in der Volksschule, ging aufs Gymnasium, später auf die Universität. Heute gilt der 44-Jährige geradezu als Modell für gelungene Integration - auch weil er sich von muslimischen Traditionen distanziert. Arrangierte Ehen etwa prangert er als eine andere Form der Vergewaltigung an.


    Umfrage: "Als Person, finde ich, hat er ein enormes Charisma. Er ist der erste Ausländer, der sich in der dänischen Politik etabliert hat. Dafür zolle ich ihm großen Respekt, auch wenn ich politisch nicht mit ihm übereinstimme.
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    "Wir Dänen sehen in ihm den Idealfall - er hat sich integriert, die Sprache gelernt, er engagiert sich. Er ist so, wie alle anderen sein sollten.
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    "Für diejenigen, die sich integrieren wollen, könnte er ein Vorbild sein. Auf einen Großteil der Zuwanderer aber wirkt er eher polarisierend.
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    Seit dem Karikaturenstreit vor zwei Jahren gilt Khader als einer der populärsten Politiker des Landes. Religion sei Privatsache, betont er immer wieder. Auch wenn ihm die Karikaturen des Propheten Mohammed keineswegs gefielen, stehe das Recht, diese zu veröffentlichen, außer Frage. Eine Haltung, die bei einigen Glaubensgenossen Wut hervorrief. Khader erhielt Morddrohungen. Seither steht er unter Personenschutz - eine für dänische Verhältnisse äußerst ungewöhnliche Maßnahme:

    "Die Dänen wissen, wofür ich stehe, niemand bezweifelt meine demokratische Gesinnung. Dass ich Araber, Muslim, Palästinenser bin, das ist sekundär. Was die Dänen interessiert, ist nicht meine Hautfarbe, Herkunft, mein Akzent, meine Religion, sondern wofür ich politisch stehe und ob ich Demokrat bin. Das ist das Entscheidende."
    Während des dreiwöchigen Wahlkampfes aber blies Khader ein eisiger Wind ins Gesicht. Eine der größten Illustrierten des Landes titelte, der Politiker habe Handwerker schwarz beschäftigt. Khader verlor die Contenance und griff den Chefredakteur des Blattes, ein enger Vertrauter von Ministerpräsident Rasmussen, vor laufender Kamera an:

    "Er ist ein Schwein, wie kann er so eine Schweinerei tun - mitten im Wahlkampf so eine Geschichte, ohne jegliche Dokumentation. Ich bin so sauer."
    Khader dokumentierte, dass er die Handwerkerfirma ordnungsgemäß bezahlt hatte, doch der Imageschaden blieb bestehen. Zumal der Chefredakteur des auflagenstarken Blattes, Henrik Qvortrup, nachlegte:

    "Man wagt gar nicht daran zu denken, wie Naser Khader reagieren würde, sollte er Minister werden und unter Druck geraten. Wenn er mich vier Mal ein Schwein nennt, was ist dann das nächste? Er kann mich auch zehn, zwölf, zwanzig Mal ein Schwein nennen - ich habe schon viel erlebt, das ist okay. Aber den Leuten sollte dieses Verhalten Khaders zu denken geben."
    Binnen einer Woche halbierten sich die Umfragewerte für Khaders Neue Allianz von etwa acht auf vier Prozent. Und dennoch deutet im Moment alles darauf hin, dass Khader und die Neue Allianz am Wahlabend zum Königsmacher, zum Zünglein an der Waage werden. Die für die Regierungsbildung erforderlichen 90 Mandate erreicht - letzten Umfragen zufolge - weder der bürgerliche Block aus Rechtsliberalen, Konservativen und Dänischer Volkspartei, noch das Parteienbündnis, das eine sozialdemokratisch geführte Regierung unterstützt.
    Es überrascht kaum, dass innenpolitische Themen, die Zukunft des Sozialstaates sowie mögliche Koalitionen einen Großteil des Wahlkampfes bestimmten; andererseits, fanden wichtige Themen überhaupt nicht statt, beispielsweise Dänemarks Beteiligung am Irak-Krieg, die erst im August dieses Jahres ein Ende fand. Dänemarks Beteiligung am Irak-Krieg und der US-geführten Koalition der Willigen gehört zu den umstrittensten Entscheidungen der amtierenden rechtsliberal-konservativen Regierung. Wurden gerade außenpolitische Beschlüsse traditionell nicht ohne die Einwilligung der Opposition getroffen, so wurde das Engagement im Irak-Krieg nur mit knapper Mehrheit, sprich, den Stimmen der Regierung und der Dänischen Volkspartei beschlossen. Und die Regierung Rasmussen zeigte sich standhaft. Trotz wachsender Kritik aus der Bevölkerung und der sich ständig verschlechternden Lage im Irak selbst, konstatierte Außenminister Per Stig Møller noch vergangenen Dezember:

    "Es kann ja nicht sein, dass wir jetzt von dannen ziehen und den Irak sich selbst überlassen. Wir haben den Irakern die Demokratie empfohlen, wir haben sie auf ihrem Weg unterstützt, die UNO und die irakische Regierung haben uns gebeten zu bleiben, und dann sagen wir: nein, jetzt wird es zu kompliziert - na, das geht doch nicht."
    Acht Monate später, Anfang August, zogen die dänischen Truppen ab - von Demokratie, Frieden, Freiheit, Sicherheit und Stabilität im Irak keine Spur. Ein außenpolitisches Desaster, möchte man meinen, ein gefundenes Fressen für jede Opposition. Doch bis auf einen kurzen Wortwechsel zwischen Helle Thorning-Schmidt und Anders Fogh Rasmussen bei einer Fernsehdebatte sowie der Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss wurde das Thema völlig ignoriert.
    Ebenso wie die Europäische Union. Keine der großen Parteien wollte die Frage beantworten, ob über den EU-Reformvertrag wie üblich per Volksabstimmung entschieden oder ob er dieses Mal lediglich vom Parlament ratifiziert werden solle. Nahezu gleichlautend verwiesen Regierung und Sozialdemokraten auf den Umstand, dass es eine Volksabstimmung nur dann geben werde, wenn Dänemark aufgrund des Reformvertrages Souveränität an die EU abtrete. Ob das der Fall sei, darauf aber zuckten die gleichen Parteien mit der Schulter. Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen:

    "Wir machen es wie immer. Nachdem wir uns in der EU politisch geeinigt haben, formulieren die EU-Juristen den endgültigen Text. Dann bewerten die dänischen Juristen, wie dieser Text mit der dänischen Verfassung im Einklang steht. Diese Arbeit wird im Dezember abgeschlossen sein. Dann treffen wir eine Entscheidung."
    Der deutlichste Unterschied zu den vergangenen Wahlkämpfen aber machte sich in der Ausländer- und Integrationspolitik bemerkbar. Dieses Thema war 2001 und 2005 das mit Abstand dominierende - auch das wohl einer der Gründe, weshalb sich die rechtspopulistische Dänische Volkspartei mit zuletzt 13,3 Prozent der Stimmen als drittgrößte Partei des Landes etablierte. Zwei Jahre nach dem Karikaturenstreit, der größten außenpolitischen Krise Dänemarks nach dem Zweiten Weltkrieg, aber fand das Thema 'Ausländerpolitik keine nennenswerte Beachtung - weder wurden Muslime als Krebsgeschwüre bezeichnet noch der Islam mit dem Nationalsozialismus verglichen, wie das in früheren Jahren immer wieder der Fall war.

    Einzig die Volkspartei versuchte die Massen erneut mit Stimmungsmache zu mobilisieren. Mit dramatischer Musik untermalt zeigte ihr Wahlvideo Bilder aus den Wochen, als der Karikaturenstreit seinen Höhepunkt erreichte - mit brennenden dänischen Flaggen und zerstörten dänischen Botschaftsgebäuden im Nahen Osten. Auf einem ihrer Wahlplakate warb die Volkspartei mit einer Karikatur des Propheten Mohammed und dem Text: "Meinungsfreiheit ist dänisch. Zensur ist es nicht." Die Vorsitzende Pia Kjærsgaard:

    "Wenn Menschen sich nicht zügeln können, weil wir in Dänemark frei zeichnen, sprechen und schreiben, dann ist Dänemark eben kein Land für sie."
    Und eben jene Pia Kjærsgaard gab sich bis zuletzt optimistisch. Alle guten Dinge sind Drei, pointierte sie immer wieder. Nach den Parlamentswahlen 2001 und 2005 werde die bürgerliche Regierung von Anders Fogh Rasmussen hoffentlich auch nach dem morgigen Urnengang auf die Unterstützung ihrer Partei angewiesen sein.

    "Es soll vorbei sein? Sehen Sie sich die Umfragen an. Vielleicht braucht Anders Fogh Rasmussen die Unterstützung der Neuen Allianz, um die erforderliche Mehrheit von 90 Sitzen zu erreichen - vielleicht. Aber ohne uns kommen diese 90 Sitze erst recht nicht zustande. Und das heißt: Die Regierung kommt auch in Zukunft an uns nicht vorbei."
    Arbeitsfrieden und Stabilität für die nächste Legislaturperiode - damit begründete Anders Fogh Rasmussen die Ausschreibung der Wahl am 24. Oktober. Heute, einen Tag vor der Abstimmung, sieht es danach aus, als ob er seine Mehrheit - wenn überhaupt - nur knapp behaupten kann. Zumal er in Zukunft nicht nur abhängig sein dürfte von der Dänischen Volkspartei, sondern auch von der neu gegründeten Neuen Allianz des Naser Khader. Für Wahlforscher Kasper Hansen von der Kopenhagener Universität alles andere als stabile Aussichten:

    "Die Regierungsbildung wird unglaublich schwer. Die amtierende Regierung dürfte abhängig werden von zwei Parteien, die sich in vielen Fragen diametral gegenüberstehen. Da liegt der Gedanke nahe, dass der Weg frei wird für neue Koalitionen über die politische Mitte hinweg. Das aber dürfte schwer werden, denn im Wahlkampf haben sich die Parteien dermaßen stark in ihren jeweiligen Blöcken verschanzt. Am Ende könnte die kommende Regierung so instabil werden, dass Neuwahlen innerhalb eines Jahres keineswegs ausgeschlossen sind."