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Schwierige Wiedergutmachung
Opfer von DDR-Unrecht leiden bis heute

In der DDR waren schätzungsweise 200.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert. Die meisten leiden bis heute unter den Folgen des Unrechts: seelisch, körperlich und nicht zuletzt auch finanziell. Doch die Entschädigung mit Geld ist für viele Betroffene nur ein kleiner Ausgleich.

Von Astrid Springer | 17.12.2016
    Wachturm der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit an der Genslerstraße in Berlin-Hohenschönhausen.
    Wachturm der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit an der Genslerstraße in Berlin-Hohenschönhausen. (imago/Seeliger)
    "Damals war es so gewesen in Ostberlin, dass die Volkspolizei junge Männer aufgegriffen hat, um ihnen die langen Haare zu schneiden, dagegen haben wir protestiert, wir haben auch Demos, 1969, zu 20 Jahre DDR veranstaltet, mit mehreren tausenden Jugendlichen durchs Zentrum, und von daher hatte ich parallel dazu schon meine Flucht organisiert, die dann aber schief ging, die dann mit vier Jahren Gefängnis wegen Republikflucht und "Staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme" endete."
    "Ich ging konträr zur politischen Auffassung dieses Staates, war in keiner Partei und da hab ich mich entschieden, in die Bundesrepublik Deutschland umzusiedeln. Und man hat mich dann drei Jahre ins Gefängnis gesteckt."
    Schätzungsweise rund 200.000 Menschen waren zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen inhaftiert. Sie leiden bis heute an den Folgen dieses Unrechts: seelisch und körperlich.
    Rentenlücken im Alter
    Die Zahl derer, die aus politischen Gründen ihre Arbeit verloren oder nicht studieren durften, denen Haus und Hof genommen oder die Gewerbeerlaubnis entzogen wurde, ist schwer zu schätzen, dürfte aber ebenfalls in die Hunderttausende gehen. Spätestens, wenn politisch Verfolgte das Rentenalter erreichen und ihre Rentenlücken beispielsweise aus der Haftzeit zum Tragen kommen, wird auch der finanzielle Schaden offenkundig.
    Die Juristin Annegret Ortling leitet seit mehr als zwölf Jahren die Rehabilitierungsbehörde des Landes Brandenburg in Potsdam. Über die Geschichte der Wiedergutmachung sagt sie:
    "Es gab immer den Grundgedanken, dass der erste gesamtdeutsche Gesetzgeber, der Bundestag, dass der rehabilitierungsrechtliche Vorschriften erlässt und das ist dann auch passiert: 1991 mit dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und 1994 mit dem beruflichen und dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz."
    Das, wie es genau heißt,
    "Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet", benennt die Straftatbestände des DDR-Rechtes, die rechtsstaatswidrig und deshalb aufzuheben waren. Dazu zählen unter anderem "ungesetzlicher Grenzübertritt", also Flucht und Fluchtversuch, "staatsfeindlicher Menschenhandel", das war Fluchthilfe, "ungesetzliche Verbindungsaufnahme", mit anderen Worten "Westkontakte", "staatsfeindliche Hetze" , also öffentlicher Protest gegen die SED und die DDR, "Wehrdienstverweigerung und Wehrdienstentziehung".
    Als Wiedergutmachungsleistungen sind eine Entschädigung in Geld und seit 2007 auch eine Opferrente vorgesehen.
    Beruflich rehabilitiert werden muss, wem wegen seiner politischen oder religiösen Überzeugung beispielsweise als Lehrerin gekündigt wurde oder wer in seinem volkseigenen Betrieb vom Ingenieur zum Hilfsarbeiter degradiert wurde; wer nicht studieren durfte oder die Universität verlassen musste. Als Wiedergutmachung ist vor allem ein Ausgleich von Nachteilen bei der Rente vorgesehen, aber auch Fortbildungs-, Umschulungs- und Ausbildungsförderungsmaßnahmen.
    Verwaltungsrechtlich zu rehabilitieren sind zum Beispiel Menschen, die bei rechtswidrigen Polizeieinsätzen verletzt, deren Grundstücke enteignet und deren Vermögen oder deren Gewerbeerlaubnis eingezogen wurden. Die Wiedergutmachungsleistungen richten sich nach der Art des Schadens: bei Gesundheitsschäden nach dem Bundesversorgungsgesetz; bei Eingriffen in Vermögenswerte gehen sie auf Rückübertragung oder Entschädigung nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes; bei Nachteilen im Beruf auf Nachteils-Ausgleich in der Rente. Auch eine moralische Rehabilitierung ist vorgesehen, die die Ehre und das Ansehen der Betroffenen in der Öffentlichkeit wieder herstellen sollen.
    Für viele Häftlinge kommt die Wiedergutmachung zu spät
    Was aber kann Rehabilitierung noch leisten, wenn ein Mensch beispielsweise den Verhörmethoden und den Haftbedingungen in der ehemaligen DDR ausgesetzt war?

    Edda Schönherz war zu DDR-Zeiten eine bekannte Fernsehmoderatorin, die die politischen Auffassungen der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, immer weniger teilte. Während eines Urlaubs in Ungarn erkundigte sie sich in der westdeutschen und der amerikanischen Botschaft in Budapest nach einer Ausreisemöglichkeit in die Bundesrepublik. Sie wurde beschattet und wenig später in der DDR verhaftet - morgens um sieben aus dem Bett heraus, vor den Augen ihrer beiden Kinder Annette und René. Drei Jahre saß sie im berüchtigten Frauenzuchthaus Hoheneck. Sie weiß aus eigener Erfahrung, dass für viele Häftlinge jede Wiedergutmachung zu spät kommt:
    "Viele waren gebrochen, die wussten, die konnten nicht mehr hin und nicht mehr zurück und haben gar keinen Fuß mehr auf die Erde bekommen, aufgrund dessen."
    Die politische Verfolgung richtete sich im Laufe der DDR-Geschichte gegen ganz unterschiedliche Personengruppen: In den 50er-Jahren vor allem gegen Menschen, die Widerstand leisteten gegen die sowjetische Besatzungsmacht und das SED-Regime. Das änderte sich mit dem Mauerbau, erläutert der Historiker Peter Erler. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, dem ehemaligen Untersuchungsgefängnis des Staatssicherheitsdienstes, der Stasi:
    "Eine wichtige Zäsur bildet natürlich der Bau des sogenannten "antifaschistischen" Schutzwalls im August 1961; also die übergroße Mehrzahl wurde deshalb inhaftiert, weil sie sich bemüht hatten, die DDR illegal zu verlassen beziehungsweise unerlaubterweise Ausreiseanträge gestellt hatten und ähnliche Delikte. Ab den 70er und 80er-Jahren kam dann diese Kategorie dazu, die bekannt ist als "Bürgerbewegte", die verschiedene Formen des Protestes entwickelt haben, um gegen die SED zu protestieren."
    Zu den politisch Verfolgten gehört auch der Maschinenbau-Ingenieur Lothar Schulz. In den siebziger Jahren war er am Aufbau des Kernreaktors 3 in Greifswald beteiligt und hätte sich in Moskau drei Jahre fortbilden sollen - allerdings nur unter der Bedingung, dass er in die SED eintrat. Das lehnte er ab. Und damit war seine berufliche Karriere beendet. Sein Ausreise-Antrag wurde abgelehnt. Er beschloss, mit einem Transparent öffentlich gegen die Partei zu demonstrieren.
    "Ich wurde am 2. April 1978, einem Sonntagnachmittag, in der Nähe des Alexanderplatzes, also im Zentrum von Ostberlin festgenommen, und dann danach an einen unbekannten Ort in Berlin 40 Stunden lang von der Staatssicherheit ohne Schlaf verhört."
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    Die Zeitzeugenreferentin für Politische Bildung der Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen und ehemalige Journalistin beim Deutschen Fernsehfunk, Edda Schönherz (dpa/ picture alliance / Tobias Kleinschmidt)
    Psychoterror in Hohenschönhausen
    Für viele Betroffene begann ihr Leidensweg nach der Verhaftung im Untersuchungsgefängnis der Stasi in Berlin-Hohenschönhausen. Zu DDR-Zeiten war das Stasi-Gefängnis auf keinem Stadtplan verzeichnet. Es existierte offiziell nicht. Auch die Häftlinge selbst wussten nicht, wo sie sich befanden.
    Seit 1994 ist das ehemalige Gefängnis eine Gedenkstätte. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die selbst inhaftiert waren, führen die Besuchergruppen durch die Haftanstalt und berichten darüber, was sich hinter den Mauern abspielte. Zu ihnen gehört heute auch Lothar Schulz. Er berichtet, dass hier zu Zeiten der sowjetischen Geheimpolizei nach Kriegsende und bis 1951 noch körperlich gefoltert wurde. Danach setzte die Stasi auf Psycho-Terror:
    Die Methode nannte sich "Operative Psychologie" und war seit 1965 Forschungs- und Lehrfach an der Juristischen Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Berlin-Potsdam. Sie hatte unzählige Facetten, um die Häftlinge zu verunsichern und seelisch zu destabilisieren. Räumliche Desorientierung stand am Anfang.
    Von Edda Schönherz´ Vernehmungsort in der Ruschestraße bis nach Hohenschönhausen waren es eigentlich nur 10 Minuten Fahrt, "aber die sind mit mir mindestens zwei, zweieinhalb Stunden durch die Gegend gefahren, das bedeutet, zur Desorientierung, damit man nicht mehr wusste, wo man sich befindet, und die kleine Tür vom Auto ging auf und einzeln kam man da raus, aber in dem Moment werden Sie dann schon wieder angeschrien "Kopf runter! Schauen Sie sich hier nicht um und ab durch die Tür, aber ein bisschen dalli, und der Kopf bleibt unten!" also der Ton ist ständig unfreundlich, und es soll auch einschüchternd wirken auf jeden einzelnen."
    Lothar Schulz führt bei seinem Rundgang zum Ort des Geschehens, die so genannte "Garage" mit weißen Wänden und gleißend-hellem Neonlicht. Der Gefangenen-Transporter, genannt "Barkas", sah äußerlich wie ein Lieferauto aus.

    "Dieser Barkas konnte bis zu fünf Häftlinge gleichzeitig transportieren in winzigen Zellen, man kann sagen so 45x65cm, ein kleines Brett zum Sitzen, dunkel und 1,20 m hoch, mit einem kleinen Luftschlitz im Dach, damit er frische Luft bekam, und in der Regel waren die Häftlinge an Händen und Füßen gefesselt."
    Edda Schönherz hatte gleich nach ihrer Verhaftung einen Anwalt verlangt: "Dann hat man mich ausgelacht und hat gesagt: 'Anwalt? Was ist denn das?! Sie haben doch uns!' und damit wusste ich auch, dass man denen völlig ausgeliefert war. Jedes falsche Wort an der falschen Stelle würde mich nur noch mehr reinreiten."
    Nach ihrer Ankunft in Hohenschönhausen wurde sie einen Gang entlang in eine schmale Zelle geführt und musste sich völlig entkleiden:
    "Und das ist schon wieder eine entwürdigende Sache, wenn man sich vor einem Uniformierten ausziehen muss. Und dann heißt es dann, Grätschen, Beugen, Bücken, und dann zieht der oder diejenige sich einen Gummihandschuh an und fährt durch sämtliche Körperöffnungen, die man hat. Ich frage mich, kann man einen Menschen noch mehr demoralisieren, verletzen in der Menschenwürde?"
    Eine Besuchergruppe schaut sich in der Stasigefängnis-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen einen Transportwagen für Gefangene an.
    Eine Besuchergruppe schaut sich in der Stasigefängnis-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen einen Transportwagen für Gefangene an. (dpa/ picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Unmenschliche Verhörmethoden
    Reizüberflutung gehörte zur Foltermethode ebenso wie das genaue Gegenteil, der komplette Entzug von Reizen in der Zelle. Diese Zellen, zu denen Lothar Schulz auf seinem Rundgang durchs ehemalige Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen als nächstes führt, sind klein und schmal und grau und haben in der Außenwand im oberen Bereich Glasbausteine, die diffuses Licht herein lassen:
    "Einmal entzieht man immer mehr die normal gewohnten Reize, zum Beispiel Licht, Schall, aber auch emotionelle, soziale Reize, und wenn ich jetzt alleine in einer Zelle sitze, wie ich die ersten vier Wochen ganz alleine und die ersten drei Wochen ohne Lesen, dann habe ich schon einen starken Reizentzug."
    Zu den Schikanen gehörte auch, dass sich die Inhaftierten nur hinsetzen, aber nicht hinlegen durften. Und je kleiner die Zelle war, desto größer wurde der Stress. Das Gefühl, absolut hilflos zu sein und nicht zu wissen, wie es weitergeht, was beispielsweise mit den zurückgelassenen Kindern geschehen war oder dem mit verhafteten Ehepartner, konnte zu Angstzuständen, zu Halluzinationen und zum Nervenzusammenbruch führen.
    Das Ziel aller Verhörmethoden war immer das belastende Geständnis; die DDR wollte sich nämlich den Anschein rechtsstaatlichen Handelns geben, und für die Anklageerhebung benötigten der Staatsanwalt und das Gericht Beweise beziehungsweise das belastende Geständnis. Und auf dem Weg dorthin musst der Mensch gebrochen und zerstört werden - Zitat:
    "Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl eines Menschen zu untergraben, Angst, Panik, Verwirrung zu erzeugen, einen Verlust an Liebe und Geborgenheit hervorzurufen sowie Enttäuschung zu schüren", so lauteten die Vorgaben, wie sie eine wissenschaftliche Publikation mit dem Titel 'Zersetzen - Strategie einer Diktatur, näher definiert.
    Ein Geständnis, wenn es denn erfolgte, war nichts anderes als das Ergebnis einer Gehirnwäsche, an deren Ende die Inhaftierten häufig selbst überzeugt waren, schuldig zu sein:
    "Sagen wir mal ganz krass: Der Vernehmer sagt ihm, er war ein Spion und zuletzt glaubt er wirklich, er war ein Spion, obwohl es nicht der Realität entspricht."
    Keine Rückkehr in das alte Leben
    Lothar Schulz kam mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten davon. Er arbeitete nach seiner Haft-Entlassung als Hausmeister und Heizer im Stendaler Dom. 1981 durfte er gemeinsam mit seiner Frau nach Westdeutschland ausreisen.
    Edda Schönherz wurde Ende 1974 wegen "staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme" und "Vorbereitung eines ungesetzlichen Grenzübertritts in besonders schwerem Fall" (weil ihre Kinder dabei waren) zu drei Jahren Zuchthaus mit Zwangsarbeit im Frauengefängnis Hoheneck im Erzgebirge verurteilt. Als sie im Februar 1975 dorthin kam, gab es weder Heizung noch Warmwasser und nicht genug zu essen.
    "Wir waren 28 Frauen auf einer Zelle, unter dem Motto: Uns sind zehn Mörder lieber als ein politischer Gefangener. Es ist natürlich schon gewöhnungsbedürftig, wenn Sie neben einer Mörderin schlafen müssen, die ihr Kind durch einen Fleischwolf gedreht hat, daraus Buletten gemacht hat, ihrem Mann vorgesetzt hat, weil sie sich bei dem rächen wollte, dann schlafen Sie zumindest die ersten Wochen sehr unruhig."
    Nach ihrer Entlassung aus der Haft sollte Edda Schönherz als Hilfskraft in einer Großbäckerei arbeiten. Das lehnte sie ab. Sie fand Hilfe bei der katholischen Kirche in Berlin, die sie als Fotografin einstellte. Im Dezember 1979 durfte sie dann endlich mit ihren beiden Kindern in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen und arbeitete von 1980 bis 2000 wieder fürs Fernsehen - für den Bayrischen Rundfunk in München. Edda Schönherz und Lothar Schulz sind beide rehabilitiert. Die Kapitalentschädigung beträgt derzeit exakt 306,78 Euro pro angefangenen Haftmonat. Auf diese Entschädigung müssen sich aber andere Wiedergutmachungsleistungen, etwa nach dem Häftlingsentschädigungsrecht, anrechnen lassen. Diejenigen, die mindestens 180 Tage zu Unrecht der Freiheit beraubt wurden, bekommen zusätzlich eine monatliche Rente von 300 Euro. Sie ist unpfändbar und nicht anrechenbar auf sonstige Leistungen. Auf die Einführung der Opferrente haben die ehemaligen Gefangenen deshalb lange, bis 2007, warten müssen, weil vorher die nötigen parlamentarischen Mehrheiten im Bundestag nicht zustande kamen.
    Zu entschädigen sind aber nicht nur Haftzeiten, sondern auch andere illegale Freiheitsentziehungen. Dabei geht es, sagt Annegret Ortling, zum Beispiel um "die Einweisung in einen Jugendwerkhof, die Einweisung in ein Kinderheim und nicht zu vergessen: Es gab ja in der DDR auch Einweisungen in psychiatrische Anstalten. Dafür sind die Gerichte zuständig, und die Gerichte entscheiden dann, ganz allgemein gesagt, ob diese Einweisung, dieses Festhalten, dieses Freiheitsentziehen und Freiheitsberauben, ob das zu Unrecht erfolgte. Und wenn das zu Unrecht erfolgte, dann gibt es einen strafrechtlichen Rehabilitierungsbeschluss für den Antragstellenden."
    "Was man nicht rehabilitieren kann, das ist der Verlust an Menschenwürde"
    Dieter Dombrowski ist Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. Er war selbst aus politischen Gründen vier Jahre in Haft. Im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Rehabilitierung gibt er zu bedenken:
    "Was man nicht rehabilitieren kann, das ist der Verlust an Menschenwürde. Und ich werde natürlich nicht vergessen, dass ich bei der Stasi in Schwerin, Untersuchungshaft, geschlagen wurde; und wenn erwachsene Menschen sich von anderen schlagen lassen müssen, ohne sich wehren zu können, dann bleibt da natürlich was zurück, weil man sich hilflos fühlt."

    Die strafrechtliche Rehabilitierung sei das eine, sagt Dieter Dombrowski - doch wie stehe es um die gesellschaftliche Rehabilitierung? Mit ihm in Haft war ein Arztehepaar, das heute im Westen lebt und zum Zeitpunkt der Ausreise schulpflichtige Kinder hatte.
    "Die haben dann ihren Kinder sagen müssen: "Aber erzählt in der Schule nicht, dass Mama und Papa im Gefängnis waren!", weil man sich im Westen ja nicht vorstellen konnte, in normalen Kreisen, dass man zu dreieinhalb Jahren verurteilt wurde, ohne da einen Ansatzpunkt zu haben, dass man straffällig geworden ist. Und Kindern von Ausreisewilligen, denen hat man in der Schule gesagt: 'Ach, Petra, du brauchst dich gar nicht mehr zu melden. Wenn du willst, brauchst du gar nicht mehr zu kommen.' Überall diese Diskriminierung. Und das verletzt die Menschen, und das ist durch einen staatlichen Rehabilitierungsakt nicht zu heilen."
    Der CDU-Politiker Dieter Dombrowski besichtigt am 13.08.2016 im Rahmen einer Kundgebung der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft UOKG e.V. auf dem Pariser Platz in Berlin einen DDR-Gefängnistransporter. Dombrowski saß 1974 in einem solchen Transporter, als er wegen Republikflucht und staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Foto: Jörg Carstensen/dpa | Verwendung weltweit
    Der CDU-Politiker Dieter Dombrowski besichtigt einen DDR-Gefängnistransporter. (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    "Es kann keine vollständige Wiedergutmachung geleistet werden"
    Und was kann finanzielle Wiedergutmachung aus der Sicht einer Rehabilitierungsbehörde leisten? Für Annegret Ortling von der Behörde in Brandenburg steht jedenfalls fest:
    "Ich glaube, das ist eine der schwierigsten moralischen Fragen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von SED-Unrecht. Es kann keine vollständige Wiedergutmachung geleistet werden. Das geht überhaupt nicht. Wenn ich mir alleine vorstelle, welche Bedrängnis die Menschen erfahren haben, welches Leid sie erfahren haben, dass Menschen, die zu Unrecht inhaftiert waren oder ihren Beruf verloren haben, dass die Jahre ihres Lebens und Lebensfreude oder vielleicht sogar Gesundheit verloren haben. Das können wir nicht wieder gutmachen. Die Entschädigung in Geld kann nur ein klitzekleiner Ausgleich sein. Ich glaube, insofern ist die gesamte Gesellschaft gefordert, immer wieder an der Aufarbeitung selber zu arbeiten und sich immer wieder bewusst zu machen, dass es die Menschen waren, die den Umsturz in der DDR herbeigeführt haben, unter Einsatz ihres eigenen Lebens, und dem müssen wir Respekt zollen. Das ist aber alleine nicht die Wiedergutmachung.