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Schwimmende Korkenzieher

Nanotechnologie. - Bakterien zeigen, wie man sich trotz kleinster Abmessungen schnell und gewandt voranbewegt. Nanotechnologen der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich haben sich das Vorbild zu Herzen genommen und winzige Roboter entwickelt, die sich mit Geisseln voranbewegen.

Von Ralf Krauter | 13.10.2009
    Die Bilder ähneln sich - und das ist kein Zufall. Auf der Webseite des Instituts für Robotik und intelligente Systeme der ETH Zürich sind Videoaufnahmen natürlicher und künstlicher Miniatur-Schwimmer zu sehen. Die natürlichen Schwimmer, das sind E.-coli-Bakterien, die sich mit spiralförmig wirbelnden Geißeln durch eine Nährlösung schrauben. Ihr technisches Pendant, bewegt sich verblüffend ähnlich. Es sind korkenzieherförmige Metallstrukturen, die sich flott und kontrolliert durchs Wasser quirlen.

    "The devices are like a cylinder of three to five microns, maybe ten to 30 microns long. Which puts us within a factor of a few of normal bacteria."

    Die Abmessungen dieser Roboter ähneln denen eines Bakteriums, erklärt Dr. Brad Kratochvil. Sie haben einen Durchmesser von drei bis fünf Mikrometern und sind etwa so lang, wie ein Haar dick ist. Die winzigen Korkenzieher sind das Ergebnis jahrelanger Bemühungen, immer kleinere schwimmende Maschinchen zu konstruieren. Kratochvil:

    "Wir benutzen ein rotierendes Magnetfeld. Der magnetische Kopf unserer spiralförmigen Roboter richtet sie automatisch längs zu diesem äußeren Feld aus – genau wie eine Kompassnadel im Erdmagnetfeld. Wenn man dieses externe Magnetfeld dann dreht, dreht sich auch der Roboter um seine Achse. Weil er so winzig ist, fühlt sich die umgebende Flüssigkeit für ihn extrem zäh an. Deshalb schraubt er sich förmlich hindurch und bewegt sich dadurch vorwärts."

    Es ist dieselbe Antriebsmethode, die auch viele Bakterien benutzen, die sich mit rotierenden Geißeln – den so genannten Flagellen - vorwärts bewegen. Dem natürlichen Vorbild zu Ehren haben die Zürcher Robotikforscher ihre Erfindung deshalb "künstliche bakterielle Flagellaten" getauft. Von Magnetspulen angetrieben und gesteuert, schrauben sie sich im ETH-Labor durch ein miniaturisiertes Schwimmbecken – und zwar mit beachtlichem Tempo, zumindest wenn man die Geschwindigkeit ins Verhältnis zu ihrer Größe setzt, betont Brad Kratochvil.

    "Wir schaffen 20 Mikrometer pro Sekunde, das entspricht etwa einer Körperlänge."

    Durch Änderung des Magnetfeldes kann Brad Kratochvil die Metallspiralen auf Knopfdruck vorwärts, rückwärts und auf beliebigen Kurvenbahnen schwimmen lassen. Befinden sich mehrere im Testbecken, schrauben sie sich synchron durchs Wasser. Für die Herstellung der winzigen Korkenzieher hat man sich in Zürich ein trickreiches Verfahren ausgedacht, um feinste Metallstreifen kontrolliert zu verdrillen. Das Prinzip ähnelt jener Prozedur, die aus einem flachen Geschenkband mit Hilfe einer Scherenklinge eine ansehnliche Spirale macht. Kratochvil:

    "Wir beginnen mit sehr dünnen metallischen Sandwich-Strukturen aus Indium und Gallium-Arsenid. Die Metallfilme werden so übereinander geschichtet, dass kleine Spannungen zwischen den einzelnen Lagen entstehen. Löst man sie von der Oberfläche ab, sorgen diese Spannungen dafür, dass sich die ursprünglich flachen Metallstreifen zu diesen schraubenförmigen Gebilden aufrollen."

    Ob die Schrauben-Schwimmer einmal von praktischem Nutzen sein werden, etwa um Medikamente zielgerichtet im Körper zu verteilen, ist völlig ungewiss. Ein paar davon zu steuern, scheint heute machbar. Aber für medizinische Anwendungen reiche das wohl kaum, sagt Brad Kratochvil.

    "Diese Roboter sind unglaublich klein. Einer allein hat deshalb praktisch keine therapeutische Wirkung. Man wird deshalb nicht nur einen oder zehn kontrolliert bewegen müssen, sondern vermutlich Hunderttausende."

    Und das wiederum ist so kompliziert, dass es wohl noch lange Zukunftsmusik bleiben dürfte.