Donnerstag, 18. April 2024

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Schwimmer als DDR-Fluchthelfer
Brief mit verheerenden Folgen

In der Nacht vom 17. auf den 18. August 1969 schwamm Axel Mitbauer durch die Ostsee in die Freiheit. Der berühmten Flucht vorausgegangen waren Ereignisse, die bisher weitgehend unbekannt sind. 1968 hatte Axel Mitbauer Fluchthelfer gefunden. Doch die Sportler aus Essen flogen auf.

Von Andrea Schültke | 14.12.2014
    Geschützt durch einen Panzerwagen erhöhen am 12.10.1961 Arbeiter aus Ostberlin die Mauer in der Heidelberger Straße an der Grenze zum westberliner Bezirk Neukölln.
    Geschützt durch einen Panzerwagen erhöhen am 12.10.1961 Arbeiter aus Ostberlin die Mauer in der Heidelberger Straße an der Grenze zum westberliner Bezirk Neukölln. (picture alliance / dpa - Zettler)
    Budapest im Juli 1968 - ein internationaler Schwimmwettkampf.
    Mitbauer: "Dort lernte ich einige westdeutsche Schwimmer kennen, unter anderem auch Wolfgang Kremer."
    Kremer: "Der Axel kam im Ausschwimmbecken auf mich zu und hat mich gefragt, nach einem kurzen Smalltalk, ob ich ihm bei der Flucht behilflich sein könnte, er würde gern die DDR verlassen. Da hab ich gesagt, wenn er da Interesse hätte, mein Trainer, der Werner Ufer, ist mein bester Freund, mit ihm würde ich das zusammen machen."
    Wolfgang Kremer (l.), Andrea Schültke (m.) und Werner Ufer beim Interview.
    Wolfgang Kremer (l.) und Werner Ufer (r.) wollten Axel Mitbauer zur Flucht verhelfen. Doch Ufer wurde in Ostberlin verhaftet und verbrachte fast neun Monate im Stasigefängnis. (Werner Ufer)
    Mitbauer: "Und die Geschichte mit Werner Ufer hat dort begonnen. Ich lernte den Mann kurz flüchtig kennen, ich kannte ja nicht mal seinen Namen."
    Laut Plan sollte sich Mitbauer während eines internationalen Wettkampfes von der DDR-Mannschaft absetzen und im Westen um politisches Asyl bitten. Wolfgang Kremer wollte die besten Möglichkeiten für diese Flucht ausloten.
    Ufer als Mittelsmann
    Berlin, August 1968: Olympiaqualifikation der West-Schwimmer für die Spiele in Mexiko. Wolfgang Kremer schreibt Axel Mitbauer folgenden Brief:
    "Lieber Axel, sicher wartest Du schon lange auf eine Nachricht von mir. Aber Du weißt selbst, dass es in unserem Interesse liegt, vorsichtig zu sein, mein Brief erreicht Dich deshalb auf diesem Wege."
    Nämlich im Auto über die innerdeutsche Grenze. Ein Weg, der fatale Folgen haben sollte für Kremers Trainer Werner Ufer. Der ehemalige Wasserball-Nationalspieler, wollte seiner Braut am Rande der Wettkämpfe Ostberlin zeigen. Es war der 27. August 1968
    Ufer: "Gut, dann habe ich die Briefe eben mitgenommen, ins Auto gepackt, aber dummerweise die Briefe auf ein Brett gelegt."
    Auf das Armaturenbrett. Deutlich sichtbar für die DDR-Grenzer lag da ein Brief für Kremers Schwester. Der zweite mit den Fluchtmöglichkeiten für die Mutter von Axel Mitbauer. Ein schrecklicher Fehler. Werner Ufer wurde stundenlang an der Grenze festgehalten:
    "Die haben nur den Brief gelesen und festgestellt, dass da irgendwas nicht im Sinne der DDR geschrieben wurde. Dann wurde ich eingepackt und nach Ostberlin in die Haftanstalt gebracht."
    Neun Monate Hohenschönhausen
    Ins berüchtigte Stasi-Gefängnis nach Hohenschönhausen.
    Ufers Braut kam frei, er selbst sollte dort fast neun Monate bleiben. Mit Einzelheiten über seine Haft hält sich der heute 80-jährige Werner Ufer zurück. Aber er erzählt von den täglichen, zermürbenden Verhören:
    "Die haben immer versucht, beim Verhör rauszukriegen, wo denn die Stelle ist, die Abwerbung betreibt hier bei uns. Es ist überhaupt nie gesagt worden, die ganzen Monate nicht, warum ich da drin sitze oder saß."
    Den genauen Haftgrund erfuhr er erst Jahrzehnte später – aus der Stasiakte von Wolfgang Kremer:
    "Der Tatbestand war staatsfeindlicher Menschenhandel nach §105 des Strafgesetzbuches der DDR und das Tatobjekt war der Leistungssport der DDR."
    In diesem Fall der Schwimmer Axel Mitbauer. Nach Ufers Verhaftung an der Grenze bekam auch er Besuch von der Stasi.
    "Als ich aus der Straßenbahn ausstieg und wurde eine Woche inhaftiert und verhört. Von da an konnte ich mich nicht mehr frei bewegen", erzählte Mitbauer kurz nach seiner Flucht.
    Rückkehr ohne Werner Ufer
    Hinter den Kulissen begannen die Versuche, Werner Ufer frei zu bekommen. Monatelang ohne Erfolg. Erst der gesamtdeutsche Minister Herbert Wehner erreichte einen Gefangenenaustausch. Es war der 13. Mai 1969, als Werner Ufer die Nachricht hörte:
    "Sie werden heute die DDR verlassen und in die Bundesrepublik zurückkehren."
    Erst habe er das für einen Psychotrick gehalten, erzählt der 80-Jährige. Schon oft hatte man so versucht, ihn mürbe zu machen. Aber dann sei alles ganz schnell gegangen.
    Über die DDR-Kanzlei von Wolfgang Vogel, der zentralen Figur beim deutsch-deutschen Gefangenenaustausch, gelangte er zurück in den Westen. Seine Braut Helga allerdings hatte er verloren. Sie hatte in der Zwischenzeit Gefallen gefunden am berühmten Anwalt ihres Verlobten. Sie ging in die DDR und heiratete Wolfgang Vogel.
    18. August 1969: Axel Mitbauer schwimmt vom Ostseebad Boltenhagen spektakulär in die Freiheit.
    Er meldete sich bei Wolfgang Kremer. Beide bereiteten sich in Bonn auf die Europameisterschaften 1970 in Barcelona vor. Werner Ufer und Axel Mitbauer trafen später in Essen wieder aufeinander, bei Essen 06, Ufers Verein:
    "Der Kontakt war eben gegeben, im gleichen Verein und ich war der Trainer und dann haben wir uns immer mal wieder bei Großveranstaltungen getroffen."
    Keine Freundschaft entstanden
    Denn Axel Mitbauer war später Schwimmtrainer geworden - mit Jobs in vielen Ländern. Eine innige Freundschaft ist laut Wolfgang Kremer aus der Flucht-Bekanntschaft nie geworden:
    "Im Grunde ist auch eins für mich immer komisch gewesen: Man hatte sich gar nicht viel zu sagen. Es war irgendwo nichts, was menschlich verbinden konnte, trotz dieser fruchtbaren Geschichte."
    Diese furchtbare Geschichte hat Spuren hinterlassen. Bei Wolfgang Kremer und natürlich besonders bei Werner Ufer. Einzelhaft ohne Kontakt zu anderen Gefangenen, seltene, kurze Hofgänge, bewacht von Menschen mit Maschinengewehren. Und immer wieder psychische Schikane. Auch 45 Jahre nach seiner Freilassung aus dem Stasi Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen ist der 80-Jährige schwer betroffen. Selbst wenn er versucht, das durch Verniedlichungen zu überdecken:
    "Wenn man also so psychisch fertig gemacht wird wie da drin in diesem netten Laden, ich hab nur gesagt, nochmal könnte ich sowas nicht aushalten, das war schlimm, schlimm, schlimm."