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"Schwimmunterricht ist einfach wichtig"

In 42 Berufsjahren hat die pensionierte Sportlehrerin Renate Scherf oft bemerkt, wie sehr muslimische Mädchen darunter gelitten haben, nicht schwimmen zu dürfen. Schwimmunterricht sei auch angesichts vieler Toter bei Badeunfällen unverzichtbar.

Renate Scherf im Gespräch mit Mario Dobovisek | 12.09.2013
    Mario Dobovisek: Es ist entschieden: Muslimischen Mädchen kann die Teilnahme am Schwimmunterricht zugemutet werden, auch dann, wenn gleichzeitig Jungen und Männer in der Schwimmhalle sind – zum Beispiel beim gemeinsamen Schwimmunterricht der gesamten Klasse. Um ihren religiösen Bekleidungsvorschriften gerecht zu werden, könnten die Mädchen Ganzkörper-Badeanzüge tragen, die sogenannten Burkinis, Gummianzüge mit Kapuzen also, aus denen nur Hände, Füße und das Gesicht herausschauen. So urteilten jedenfalls gestern Nachmittag die Richter des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig.

    Am Telefon begrüße ich Renate Scherf, in Freiburg war sie bis zu diesem Schuljahr Sportlehrerin an einer Hauptschule und kann nun aus dem Ruhestand auf 42 Jahre Berufserfahrung zurückblicken, auch im Umgang mit muslimischen Schülerinnen im Schwimmunterricht. Guten Morgen, Frau Scherf!

    Renate Scherf: Guten Morgen.

    Dobovisek: Was bedeutet das Urteil der Leipziger Richter für die Praxis an den Schulen?

    Scherf: Wenn ich jetzt einfach mal von unserer Schule ausgehe, da war es kein Problem, dass Mädchen mit ins Bad gehen, in dem auch Jungs sind, oder höchstens ganz vereinzelt. Es war das Problem zu meinen Anfangszeiten, dass sie nicht in normalen Badekleidern mitgehen wollten – aus den Gründen, die dieses Mädchen aus Berlin gerade genannt hat: Sie haben sich geschämt. Aus diesem Grund habe ich mich damals auf die Suche gemacht, nach einem, für die Mädchen akzeptablen Badedress zu gucken, und habe Ganzkörper-Schwimmanzüge entdeckt. Die Mädchen waren begeistert, haben die Ganzkörper-Schwimmanzüge getragen, und das Schwimmen mit muslimischen Schülern war bis auf ganz kleine Ausnahmen bei uns kein Problem mehr.

    Dobovisek: Sie sagen, die Mädchen waren damals begeistert. Erfuhren Sie auch Anfeindungen, zum Beispiel durch Eltern oder Moslemverbände?

    Scherf: Ich erfuhr Anfeindungen im Internet. Ich erfuhr Kritik auch im Bekanntenkreis, wobei ich sagen muss, ich habe die Kritik zum Teil verstanden. Wenn ich selbst nicht lange an dieser Schule im sozialen Brennpunkt gearbeitet hätte, hätte ich es möglicherweise genauso gesehen. Die Kritik lautete zum Beispiel, es wäre ein Rückschritt, von Frauen erkämpfte Rechte würden hier wieder rückgängig gemacht. Kann ich verstehen, kann man diskutieren. Bei mir war es einfach so: Wir konnten mit Eltern diskutieren, solange wir wollten – es hat nichts genützt. Die Kinder durften so nicht kommen. Da nützt dann auch kein Gesetz. Dann gibt es halt einfach Atteste wegen Chlor-Allergie, oder die Kinder fehlen an dem Tag, und deswegen war für mich diese pragmatische Lösung mit Ganzkörperanzügen ein Weg, ein gangbarer Weg.

    Dobovisek: Kamen denn die Mädchen, die vorher nicht schwimmen durften, die vorher gefehlt haben, zum Beispiel mit ärztlichen Attesten, dann regelmäßig zum Unterricht?

    Scherf: Die kamen regelmäßig und vor allem, was mich wirklich bestärkt hat, die kamen begeistert. Die haben vorher darunter gelitten, nicht schwimmen gehen zu dürfen. Das zieht sich ja dann auch weiter aus dem Schulunterricht raus ins Freizeitleben. Es waren Mädchen dabei, die haben zu Beginn der Ferien gegen Unterschrift diese Ganzkörperanzüge der Schule geliehen für die Ferien, damit sie ins Bad gehen können, und das finde ich einfach - wenn man das sieht, ist das Grund genug, finde ich, so was durchzuziehen.

    Dobovisek: Wie drückte sich das Leiden zuvor aus?

    Scherf: Das drückte sich so aus, dass die Kinder im warmen Schwimmbad – der Schwimmunterricht fand bei uns im Hallenbad statt – schwitzend auf dem Bänkle saßen und zugeschaut haben, wie sich die anderen Kinder amüsiert haben, natürlich auch manchmal geplagt haben, je nachdem was gerade für ein Programm war, und sie hätten wahnsinnig gern mitgemacht.

    Und der Übergang war ja sogar so, wenn ich Ihnen das noch schnell erzählen kann: Eines der muslimischen Mädchen – ich glaube, das war damals eine Sechsklässlerin -, die hat gesagt, Frau Scherf, könnte ich nicht eine Leggins anziehen und ein langärmeliges Sweatshirt, dann könnte ich doch so mitmachen. Dann habe ich gesagt, das machen wir jetzt, und dann haben im Laufe der Zeit, ich glaube, drei oder vier Mädchen in Leggins und Sweatshirts mitgemacht, bis es dann der Bademeister bemerkt hat, weil im Schulschwimmunterricht hat ja der Lehrer die Verantwortung, da ist der Bademeister im Hintergrund. Dann hat er das eines Tages halt doch gesehen und hat mir erklärt – und ich verstehe das ja auch -, dass das nicht geht, weil der Abrieb, die Fusseln von diesen Kleidungen, die verstopfen einfach die Siebe, und er erlaubt es im öffentlichen Badebetrieb auch nicht, dann kann er es im Schulbadebetrieb auch nicht erlauben, und deswegen war das dann verboten. Er hat uns, glaube ich, 14 Tage Zeit gelassen. Die Kinder waren ganz traurig, und da habe ich mich auf den Weg gemacht und die Anzüge gefunden.

    Dobovisek: Und dann kamen diese sogenannten Burkinis mit ins Spiel. – Wie bedeutend ist denn die Teilnahme generell am Schwimmunterricht?

    Scherf: Die finde ich schon sehr bedeutend. Ich habe mich heute Morgen vor dem Interview mit der Zeitung zu einer Tasse Kaffee hingesetzt und gelesen, wie viele Menschen dieses Jahr ertrunken sind. Die Bademeister und das DLRG reklamieren das schon lange: Der Schwimmunterricht an vielen Schulen findet nicht mehr statt, die Kommunen müssen die Bäder schließen. Und was ist die Konsequenz? – Wir haben Tote beim Baden, und das muss so nicht sein. Und deshalb denke ich, Schwimmunterricht ist einfach wichtig, gesund. Es ist ja auch, was die Gesundheit anbelangt: Die Bewegung ist einfach wichtig! Und ich finde das toll, dass wir hier Schwimmunterricht geben können, und da sollte man auch teilnehmen.

    Dobovisek: Eine Argumentation der Klägerin am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig lautete, sie wolle ihre männlichen Klassenkameraden nicht halb nackt in Badehose sehen müssen. Davor schützt natürlich auch dieses sogenannte Burkini nicht. Deshalb wird immer wieder getrennter Schwimmunterricht gefordert, getrennt zwischen Männern und Frauen, zwischen Jungs und Mädchen. Wäre das organisatorisch an den Schulen machbar?

    Scherf: Nein, das geht überhaupt nicht. Bei uns an der Schule haben die Mädchen für sich allein Schwimmen, die Jungs für sich allein. Aber während wir im Schwimmbad sind, kommen natürlich andere Schulen, und da sind dann Jungs, da sind Lehrer. Das kann man deswegen nicht organisieren. Das muss man ja praktisch schulübergreifend organisieren, und das ist nicht machbar. Ich meine, die Formulierung "halb nackt" – okay, wenn man das an freien Stellen abmisst, kann man es vielleicht so formulieren. Aber die Jungs haben Bermudas an, die Lehrer, die haben meistens lange Hosen und ein T-Shirt an. Ich finde das nicht unzumutbar.

    Dobovisek: Sie haben es vorhin auch schon angesprochen, erwähnt: Es gibt auch Schwierigkeiten im Alltag, auch mit Blick auf den allgemeinen Sportunterricht oder vielleicht sogar auf Klassenfahrten. Welche Hilfestellungen erfahren Sie im Umgang mit möglicherweise kritischen Situationen?

    Scherf: Wir sind eigentlich an unserer Schule sehr geschickt, wie ich finde, damit umgegangen. Zum Beispiel, wie Sie jetzt gerade sagten, Landschulheim. Muslimische Mädchen dürfen nicht, durften nie irgendwo übernachten. Da wurde es den Vätern oder älteren Geschwistern erlaubt, die Kinder am Abend abzuholen, die schlafen zu Hause, und am Morgen wieder hinzubringen. Da finde ich schon, das ist ein Entgegenkommen. Das ist auch ein Aufeinanderzugehen zum Beispiel.

    Dann in der Küche hinten – wir haben ja Schulkochen. Man kann Fleischküchle aus gemischtem Hackfleisch machen, man kann Fleischküchle auch aus Rinderhack machen, dann ist kein Schweinefleisch drin, und die schmecken genauso. Es ist doch klar, wenn Kinder drin sind, die aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch essen dürfen, dass man das aus Rinderhack zubereitet.

    Dobovisek: Das heißt, Sie sagen eher, man müsse aufeinander zugehen und weniger mit der politischen, möglicherweise mit der gesetzlichen Keule kommen?

    Scherf: Für mich ist Integration aufeinander zugehen, wobei ich sagen muss, ich kann mich diesem Gerichtsurteil anschließen. Ab und zu ist Politik, denke ich, doch gefragt, weil wir leben hier gemeinsam in einem Land - das war ja auch die Argumentation der Richter, was jetzt dieses Urteil anbelangt -, in dem man im Sommer leichter bekleidet geht. Man ist in der Werbung, man ist im Fernsehen damit konfrontiert. Es wird da also nichts erwartet, was so ganz aus dem normalen Leben rausragt. Deswegen kann ich mich in dem Fall diesem Urteil anschließen.

    Dobovisek: Die Sportlehrerin Renate Scherf über den Schwimmunterricht für muslimische Mädchen im sogenannten Burkini, mit dem, so das Bundesverwaltungsgericht, der Schwimmunterricht für sie zumutbar wäre. Vielen Dank für die Eindrücke.

    Scherf: Gern geschehen.

    Dobovisek: Auf Wiederhören!

    Scherf: Tschüss!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.