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Schwitzen mit Blick auf Watzmann und Jenner

Wer sich in der der Berchtesgadener Christophorus-Schule quält, hat gute Aussichten, so erfolgreich zu werden wie die Olympiasieger Maria Riesch, Schorsch Hackl oder Evi Sachenbacher. Allesamt Absolventen der Eliteschule für Wintersport in Bayern.

Von Michael Watzke | 17.05.2012
    Ein schmächtiger Junge im blauen Trainingsanzug stemmt Gewichte in Deutschlands höchstgelegenem Kraftraum – in 1200 Metern Höhe. Der schlaksige junge Mann könnte einmal ein berühmter Skirennläufer werden. Den passenden Namen hat er schon.

    "Ich bin der Ertl Klausi, bin 17. Ich fahr Ski alpin. Bin auf der CJD Christophorusschule im Gymnasium in der 11. Klasse."

    Klausi Ertl ist zu bescheiden, die Christophorusschule in Berchtesgaden so zu benennen, wie die meisten sie kennen: als "Eliteschule des Sports". Hier oben in den Alpen, mit Blick auf Watzmann und Jenner, hat Klausi Ertl heute früh um acht Uhr bereits den Alptraum jedes Schülers überstanden:

    "Schulaufgabe in Mathe geschrieben, Nachhol-Schulaufgabe. Und sonst die ganz normalen Fächer gehabt: Sport-Theorie, Englisch, Physik, Bio. Ganz normal."

    Ein ganz normaler Tag. Er beginnt morgens in aller Herrgottsfrüh mit Schule und endet abends um acht mit Lernzeit. Dazwischen Ski-Training, Kraftraum, Physiotherapie – und beginnender Abiturstress:

    "Irgendwie realisier' ich das noch nicht so ganz, dass ich nächstes Jahr Abschluss hab, also Abi. Aber irgendwann stellt man sich drauf ein, man kennt den Tagesablauf und kommt auch damit klar."

    Während Klaus Ertl Hanteln stemmt, beobachtet ihn Christian Scholz. Der Leiter des Sportbereichs an der Christophorusschule bestimmt, wie die Elitesportschüler in Berchtesgaden ihre Zeit zwischen Schule und Training aufteilen.

    ""Wir haben als Devise ausgegeben, dass die Schule vorgeht. Und sobald wir merken, dass Jugendliche in den Leistungen signifikant absacken, dass also der Schulabschluss in Gefahr ist, nehmen wir die Leute aus dem Sport raus und machen zeitweise auch nur noch Schule."

    Nur noch Schule – das wäre für den angefressenen Sportler Klaus Ertl die Hölle. Für die meisten Christophorus-Schüler ist es dagegen ganz normal. Denn von den 345 Internatsgästen in den Berchtesgadener Bergen ist nur jeder Fünfte ein Elitesportschüler. Diese 75 Sportler möchte Christian Scholz in Zukunft in einem Haus unterbringen:

    "Wir haben ein Großprojekt, das wir hier an der Schule gerne hätten. Wir wollen die Wohnsituation verbessern, mit einem Haus der Athleten. Dann wären alle Sportler in einem Haus, in dem gewisse Standards erfüllt sind, die man sich wünschen würde."

    Bisher lassen die weißen, barackenartigen Schlafhäuser des Internats zu wünschen übrig. Manche sind mehr als 50 Jahre alt. Aus einem dringt an diesem Nachmittag laute Musik. Eine spontane Hausparty, schmunzelt Jugendleiterin Tanja Hausmann.

    "Da die morgens gemeinsam aufstehen und abends gemeinsam Schluss machen, den Tag gemeinsam verbringen, oft in den gleichen Klassen, ist das ja selbstverständlich. Liebeskummer, die erste große Liebe – passiert öfter!"

    Klausi Ertl ist bei der Hausparty nicht dabei. Er hat im Januar an den Olympischen Jugendspielen in Innsbruck teilgenommen und den ganzen Winter lang Abfahrtsrennen im Skizirkus gefahren. Im Winter heizen ihm seine Trainer ein. Jetzt, im Frühling, machen die Lehrer Stress:

    "Ist ja klar. Wenn man zu oft weg ist, muss man das natürlich irgendwann nachholen. Die Lehrer wollen, dass man in die Schule kommt. Die Trainer wollen, dass man ins Training geht."

    Dazwischen der 17-jährige Schüler. Oft hin- und hergerissen. Im Kraftraum reagiert er den Stress ab. Seine Familie ist weit weg. Von seinem Internatszimmer hier oben bis zu seinem Kinderzimmer im Heimatort Lenggries sind es 150 Kilometer.

    "Naja, vom Training her ist es sicher hier oben besser, weil man direkt an der Halle ist. Aber ich denk, wenn man daheim wohnt, ist es schon besser."

    Wer sich in der Eliteschule des Sports quält, hat gute Aussichten, so erfolgreich zu werden wie die Olympiasieger Maria Riesch, Schorsch Hackl, Evi Sachenbacher oder Klaus Ertls Verwandte aus der berühmten Ertl-Ski-Dynastie. Allesamt Absolventen der Berchtesgadener Christophorus-Schule. Aber eine kleine Verletzung kann das Ende des Traums bedeuten. Und Kuscheleinheiten dürfen die jungen Sportler nicht erwarten, sagt Christian Scholz.

    "Zuviel Sicherheit ist irgendwann leistungshemmend. Also man soll ihnen hier nicht das alles glücklich machende 5-Sterne-Hotel bieten, mit allen Dingen, die sie so brauchen. Sondern man muss ihnen auch die Grenzen, auch ein gewisses Risiko aufzeigen. Auch mal drohen: wenn Du im Sport die Dinge nicht machst, wenn Du in der Schule nichts machst, oder wenn Du in der Disziplin Defizite hast, dann wird das gesamte Thema Sport sich irgendwann erledigen. Dann musst Du auf eine normale Schule gehen und den Sport woanders machen."

    Im letzten Jahr gab es ein Schulausschlussverfahren gegen einen Schüler, der geraucht und getrunken haben soll. Das drohende Beispiel hat seine Wirkung auf die restlichen Schüler nicht verfehlt:

    "Dieses Szenario spielen wir schon ab und zu durch, um die Leute aus ihrer Komfortzone rauszuholen. Dieses Spiel müssen wir auch spielen können, glaub ich."

    "Ja, für das sind wir ja auch da: dass wir Sportler werden. Und nix anderes."

    Klausi Ertl, 17 Jahre alt, will möglichst bald im Ski-Weltcup starten. Er will Medaillen gewinnen. Ob mit oder ohne Abi. Bei den Olympischen Jugend-Spielen in Innsbruck ist er Fünfter geworden. In der Mannschaftswertung.

    Weiterführende Inforamtionen zu den Eliteschulen des Sports auf der Homepage des DOSB