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Schwule Kunstpenetration

Peter Tschaikowskis Oper "Eugen Onegin" spielt ursprünglich im Russland der Zarenzeit. Bei der Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper verlegt der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski das Geschehen jedoch in die texanische Provinz der 60er Jahre und gibt der Geschichte über Liebe und Weltschmerz so eine neue Bedeutung.

Von Christoph Schmitz | 01.11.2007
    Ein schwuler Regisseur vergewaltigt eine heterosexuelle Oper. So könnte man auf den Punkt bringen, was in der Bayerischen Staatsoper gestern Abend mit Tschaikowskys "Eugen Onegin" geschehen ist. Tschaikowsky war schwul, das wissen wir. Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski ist auch schwul, das wußten wir bisher nicht, hat uns aber auch nicht besonders interessiert. Weil jedoch Komponist und Regisseur homo sind, muss in der Logik Warlikowskis die ganze Theaterwelt homo sein. Das weiß sie selbst zwar nicht oder gibt es nicht zu. Und weil sie es nicht wissen will, meint der Regisseur aus Stettin, es ihr eintrichtern zu müssen. Da kann der an Weltekel, Langeweile und Einsamkeit leidende junge Mann Eugen Onegin am Ende der Oper die junge, romantische und mittlerweile verheiratete Tatjana noch so sehr anflehen, sie möge seine Liebe erhören und sich mit ihm verbinden, was er am Anfang der Oper noch abgelehnt hatte - nein, Onegin ist schwul, behauptet Warlikowski, auch wenn der Mann die Frau noch so bedrängt.

    Michael Volle singt Onegin mit großem, kraftvollem und zugleich geschmeidigem Bariton. So überzeugend wie sein gefeierter Beckmesser in der jüngsten Bayreuther "Meistersinger"-Inszenierung war er aber dann doch nicht, auch schauspielerisch nicht. Wenn dieser Onegin jedenfalls Tatjana anspricht hat er nur Männer vor Augen. Denn, so lautet Warlikowskis Küchenpsychologie: Tatjana ist Ersatz. Sie erinnert Onegin an seinen Freund Lenski, den er eigentlich liebte, aber im Duell getötet hatte. Weil von dieser Liebe aber fast nichts im Libretto steht, und in der Musik fast nichts davon erklingt, läßt Warlikowski vor dem verzweifelten Liebesduett zwischen Onegin und Tatjana eine Truppe Tunten als homosexuelle Fantasie über die Bühne stöckeln. Unter Röcken sieht Onegin eben nur Männerbeine. Sogar Fürst Gremin, mit dem Tatjana verheiratet ist, ist auf schwul getrimmt, obwohl er seiner Frau eine der schönsten Liebeslieder singt. Warlikowski hatte ihn zuvor im Umfeld des Duells in einem einschlägigen Männerclub sozial eingebettet. So platt kann Regie sein. Auch in München.

    Sehr schön aber sang Günther Groissböck seinen Gremin. Überhaupt war das Ensemble bis in die Nebenrollen sehr gut besetzt, wie Elena Maximova als Olga und Iris Vermillion als Larina. Nur Christoph Strehl als Lenski konnte nicht so recht mithalten, forcierte und verfiel einem zu starken Vibrato. Schön dagegen, farbig und leidenschaftlich der Sopran von Olga Guryakova, die die Tatjana sang. Kent Nagano dirigierte intensiv, ohne zu überhitzen und erfreute sich an dunklem Glanz und heiterer Volkstümlichkeit.

    Doch die Inszenierung hatte sogar die Musik in Geiselhaft genommen. Am Ende wollte das Publikum nicht einmal mehr den Musikern angemessen zujubeln. Dabei hatte die Szenerie recht hoffnungsvoll begonnen. Die Geschichte war aus den feudalen 1830er Jahren in Russland in die 1960er Jahre der texanischen Provinz verlegt worden. Die erste Mondlandung flimmert über den Schwarz-Weiß-Bildschirm. Die Larins betreiben einen Spielautomaten- und Billiardsalon. Dennoch herrscht puritanischer Anstand. Die Cowboys sind nette Jungs, aber natürlich schwul. Alles sieht sehr nach Ang Lees Spielfilm "Brokeback Mountain" aus. Doch hier beginnt schnell das Elend dieser ganzen eindimensionalen Behauptungsrhetorik der Inszenierung. Tschaikowskis Oper läßt sich nur unter Gewalt von einem schwulen Cowboy-Drama penetrieren. Wenn jemand nicht will, darf man gar nicht erst anfangen.