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Schwung nehmen für die Zielgerade

Auf fast allen Kanälen war er gestern abend zu hören und zu sehen: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Nicht nur seine Regierungsumbildung, auch die drängendsten Fragen versuchte er dabei zu erläutern.

Von Burkhard Birke | 17.11.2010
    Um es vorwegzunehmen: Erst in einem Jahr will Nicolas Sarkozy entscheiden, ob er wieder antritt. Das sagte er jedenfalls einem Millionenpublikum vor den Bildschirmen. Den Zuschauern präsentierte sich ein weiter auf Reformkurs getrimmter und in der Sache harter, im Ton jedoch etwas konzilianterer Präsident, der seinem wiederernannten Premierminister Francois Fillon etwas mehr Raum geben will oder muss. Der Präsident selbst will als G-8 und G-20-Vorsitzender glänzen, gab vor Finanztransaktionen international besteuern, das Weltwährungssystem umkrempeln und die Rohstoffmärkte regulieren zu wollen: Große Ziele eines Staatschefs, der andeutungsweise sogar einmal Fehler zugab:

    "Das Wort nationale Identität hat Missverständnisse ausgelöst."

    Das entsprechende Ministerium für nationale Identität und Immigration ging denn im Zuge der Kabinettsreform im Innenministerium auf, aber:

    "Das Wort Nationale Identität habe ich aus meinem Vokabular gestrichen, nicht aber den Kern der Sache verworfen ... "

    Das bedeutet weiter hartes Vorgehen gegen illegale Immigration. Die Auflösung der Romalager war auch keine Stigmatisierung, am Ende habe es ja kein Verfahren gegen Frankreich gegeben, und die Rentenreform war aufgrund des 30 Milliarden Euro Defizits pro Jahr dringend geboten, so Sarkozy

    "Ich versuche das Beste für's Land. Das bedeutet die drängenden Fragen zu stellen: Haben wir ein Rentenproblem? Ja! Haben wir ein Problem mit den Pflegefällen? Ja! Haben wir ein Problem mit unserer steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit – ja! Schließen Fabriken in Frankreich, um anderswo aufzumachen – ja! Sind die deutschen Exporteure besser als die französischen - ja! Also muss ich doch darauf antworten!"

    Wie? Für kommenden Sommer hat Nicolas Sarkozy ein Konzept für eine Pflegeversicherung als zusätzlichen Pfeiler des Sozialsystems angekündigt. Schon vorher will er eine Fiskalreform einläuten.

    "Wir beabsichtigen, breit zu diskutieren, um ihm Frühjahr zu einer Entscheidung darüber zu kommen, wie wir das deutsche und das französische Steuersystem harmonisieren können. Denn ich will keine Produktionsverlagerungen mehr. Deshalb möchte ich eine neue Steuer auf's Vermögen einführen, die nicht den Fehler der Vergangenheit macht und das Vermögen selbst, sondern die Erträge und Zuwächse auf das Vermögen besteuert. Das ist der Hebel, an dem die Reform ansetzen muss."

    Ein Weg aus dem Dilemma mit dem sogenannten bouclier fiscal, der Abgabenbegrenzung auf maximal 50 Prozent. Diese zu Beginn der Amtszeit eingeführte Maßnahme hat die Reichsten im Land begünstigt und der Opposition Munition geliefert. Die geht ihr jetzt aber auch nicht aus: Die Kritik nach dem eineinhalbstündigen Fernsehinterview des Präsidenten mit drei namhaften Journalisten kam stehenden Fußes. Zentrumspolitiker Francois Bayrou.

    "Kein Wort zur Bildung, kein Wort zur Umwelt ... "

    Die Diskrepanz zwischen der sozialen Not und dem Gebaren des Präsidenten beklagte indes Sarkozys Gegnerin der letzten Präsidentschaftswahl die Sozialistin Ségolène Royal:

    "Der Präsident ist durch seine Misserfolge geschwächt und unglaubwürdig wegen seiner Lügen: Die größte Lüge dabei ist, dass er behauptet, er habe sich noch nicht für eine Kandidatur 2012 entschieden."