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Scott McCloud
Über den Stellenwert der Kunst

Der erfolglose Künstler David geht einen Pakt mit dem Tod ein: Er kann alles mit seinen Händen formen, was er will, ihm bleibt aber dafür nur noch wenig Zeit zum Leben. Scott McCloud erzählt in der Graphic Novel "Der Bildhauer" technisch virtuos und zugleich voll emotionaler Wucht von Kunst und Liebe.

Von Kai Löffler | 17.03.2015
    Aufgenommen am 21.07.2013 in Münster-Altheim.
    Scott McCloud beherrscht virtuos das Medium Comic (picture alliance / dpa / Susannah V. Vergau)
    "You know, I'm just very, very slow ..."
    Allerdings hat Scott McCloud einen guten Grund für seine Langsamkeit:
    "Ich habe viel zu tun, viele Themen, über die ich Bücher schreibe, viele Internet-Experimente. Allerdings war mir gerade diese Geschichte sehr wichtig."
    Der junge David, der Protagonist in McClouds Graphic Novel "Der Bildhauer", ist zwar ein ehemaliges Wunderkind, aber inzwischen als Künstler erfolglos. Er hat sich selbst geschworen, nie Almosen anzunehmen, und so geht er zunehmend hungrig ins Bett und steht außerdem kurz davor, seine Wohnung zu verlieren. Da läuft ihm der Tod in Gestalt seines kürzlich verstorbenen Großonkels über dem Weg und macht ihm ein verlockendes Angebot: Die Fähigkeit, alles mit seinen Händen zu formen was er sich vorstellen kann.
    200 Tage, dann ist Schluss
    Der Preis dafür ist allerdings ein kürzeres Leben: Noch 200 Tage und dann ist Schluss. Während seine letzten Monate anbrechen und ihm seine Gabe nicht die erhoffte Anerkennung bringt, verliebt sich David in die Schauspielerin Meg. Die ahnt natürlich nicht, dass David ein Verfallsdatum hat. Gerade die Liebesgeschichte des "Der Bildhauers" ist sehr persönlich - obwohl McCloud das gar nicht so geplant hatte.
    "Ich wollte nicht zu viele persönliche Details reinbringen; da wird schnell ein Brief an sich selbst draus, ein reiner Insider. Aber nach und nach wurden uns die Figuren immer ähnlicher. Vor allem wurde Meg mehr und mehr zu meiner Frau, und einige der Dialoge waren genau wie Gespräche, die wir geführt hatten. Ich glaube die Geschichte hat dadurch mehr Substanz bekommen, wurde wärmer und auch komplexer. Im Endeffekt bin ich also froh, dass ich einen Teil unseres Lebens habe einfließen lassen."
    Faustschen Pakt
    Trotz solcher persönlicher Details ist der "Bildhauer" weit entfernt von biografischen Comics wie Art Spiegelmans "Maus" oder Reinhard Kleists "Boxer". Durch den Faustschen Pakt hat die Geschichte ein starkes Fantasy-Element und - vor allem gegen Ende - außerdem Aspekte einer Superhelden-Story. Der Bildhauer ist nicht McClouds erster Ausflug in das Genre - in den 80er-Jahren het er die futuristische Superhelden-Serie "Zot" geschrieben und später als Webserie fortgesetzt.
    "Superhelden-Comics hatten zwar oft Probleme, aber natürlich können auch in diesem Genre Kunstwerke entstehen. Tatsächlich gibt es schon fantastische Superhelden-Comics, wie 'Watchmen' von Alan Moore und Dave Gibbons. Fast jeder von uns hat als erstes Superhelden-Comics gelesen. 'Der Bildhauer' ist gewissermaßen mein Zugeständnis an meine Machtfantasie-Wurzeln. Das ist vielleicht auch okay so, und ich sollte es einfach als Teil meiner künstlerischen Identität akzeptieren. Gerade diese Geschichte macht es auf jeden Fall lebendiger."
    Tragische Liebesgeschichte
    Tatsächlich lassen die übernatürlichen Elemente die Themen des Bildhauers noch stärker in Erscheinung treten: McClouds Comic ist eine tragische Liebesgeschichte und eine Meditation über den Stellenwert der Kunst. Darin beweist Scott McCloud, dass er das Medium Comic virtuos beherrscht; scheinbar mühelos manipuliert er Zeit und beschwört die unterschiedlichsten Emotionen herauf. Aber trotz dieses umfangreichen narrativen Arsenals feuert "Der Bildhauer" stilistisch nicht pausenlos aus allen Rohren.
    "Die Bilder sind oft ungewöhnlich angeordnet, aber alles folgt den gleichen Regeln; man spürt den Rhythmus, das Grundgerüst der Geschichte. So wie in der Musik oder wie das Versmaß im Gedicht."
    500 opulent gestaltete Seiten
    Ein stabiles Gerüst ist eine Notwendigkeit, um ein Werk wie den "Bildhauer" zusammenzuhalten. Darin erzählt Scott McCloud nicht nur eine ambitionierte Geschichte; mit seinen rund 500 opulent gestalteten Seiten ist der Band auch zeichnerisch ein gewaltiges Unterfangen; vielleicht sogar sein Magnum Opus?
    "Ich würde es nicht als mein Magnum Opus bezeichnen; überhaupt vergibt man als Künstler nicht selbst solche Bezeichnungen. Auf jeden Fall ist es aber das größte und ambitionierteste Projekt, an dem ich je gearbeitet habe und ich kann versprechen, dass ich in den nächsten fünf Jahren nichts Vergleichbares schreiben werde."
    Rund drei Jahrzehnte hat Scott McCloud gewartet, bis er den " Bildhauer" zu Papier gebracht hat. Und in vieler Hinsicht hat sich das Warten gelohnt; das Ergebnis ist eine der besten Graphic Novels der letzten zehn Jahre; technisch virtuos und trotzdem voll emotionaler Wucht. Scott McCloud selbst nimmt Worte wie "Magnum Opus" oder "Meisterwerk" nicht gerne in den Mund - dabei hat der "Bildhauer" genau diese Bezeichnungen verdient.