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Sead Husic: „Gegen die Träume“
Über die vergebliche Suche nach einer neuen Heimat

In seinem Gesellschaftsroman erzählt Sead Husic von den verlorenen Träumen jugoslawischer Migranten im Bayern der Siebzigerjahre. Dabei verfolgt Husic allerdings so viele Handlungsebenen und Figuren, dass es schwer fällt an allen anteilzunehmen. Für dieses Debüt gilt: Weniger wäre mehr gewesen.

Von Cornelius Wüllenkemper | 08.11.2018
    Buchcover: Sead Husic: „Gegen die Träume“
    Buchcover: Sead Husic: „Gegen die Träume“ (Buchcover: Divan Verlag, Foto: picture alliance / dpa)
    "Mersija fürchtet in ihrem Leben vor allem eines: so zu enden wie ihr Vater Ahmed, arm und verrückt." Mit diesem Satz beginnt das Debüt des Werbetexters und Politologen Sead Husic. Der Autor widmet seinen "Gesellschaftsroman" seiner Mutter, und so kann oder muss man annehmen, dass Mersija deren literarische Wiedergängerin ist. Mersijas Vater hat sein Vermögen verspielt und seine Villa verloren. Als "Großversager" hat er sich durch seinen Lebenswandel zwischen Alkohol und Prostituierten in seiner bosnischen Heimat zum allgemeinen Gespött gemacht hat
    "Als sie das erste Mal im Alter von kaum sechzehn Jahren hört, dass es eine ganz einfache Möglichkeit gibt, die Familie und diese Stadt zu verlassen, nämlich als Gastarbeiterin nach Deutschland zu gehen, da weiß sie, dass sie gehen wird. Denn an einem anderen Ort wird sie nicht als Tochter des Mannes erkannt werden, der sein Leben falsch gelebt hat. Bloß nicht enden wie Vater. Das will sie in keinem Fall."
    1969 setzt sich Mersija deshalb in ihrer bosnischen Heimatstadt Brčko in den Zug und fährt in Richtung Deutschland, "so weit, bis sie das Gefühl hat, aussteigen zu müssen", wie es heißt. In Traunstein in Oberbayern erwartet die junge Frau dann die triste Realität des Landes, in dem sie ihre Träume verwirklichen möchte. Sie beginnt als Aushilfe in einem Bistro zu arbeiten, dessen Betreiber der jungen Muslimin nachstellt und sie in einer gemeinsamen Nacht schließlich schwer misshandelt. Besagter Herr Otto ist in Sead Husics Roman nur eine Figur in einer ganzen Reihe an Männercharakteren, die Frauen peinigen, belügen und betrügen, die entweder durch kriminelle Machenschaften, ihren Alkoholismus oder ihre Spielsucht sich und ihre Umwelt ins Unglück stürzen.
    Auch ein Stück vom "deutschen Kuchen"
    Das gilt für alle Handlungs- und Zeitebenen, die dieser Roman zu vereinen versucht. Bereits im Zweiten Weltkrieg verliert Mersijas Vater Ahmed in den Kriegswirren zwischen den serbisch-nationalistischen Tschetniks, dem hitlertreuen Ustascha-Regime und den kommunistischen Partisanen unter Josip Broz Tito endgültig die Kontrolle über sein Leben. Auch der bosnische Migrant Muso, den Mersija viele Jahre später in Traunstein kennenlernt und der ihre Hoffnung auf ein geglücktes Leben in der Fremde schürt, erweist sich schließlich als Alkoholiker, Lügner und schamloser Betrüger. Auch die deutschen Männer kommen bei Sead Husic nicht gut weg - es sind tumbe Gestalten, die Migrantinnen als ihr Eigentum betrachten und ihre dunklen Geschäfte hinter einer deutsch-bürgerlichen Fassade verbergen. Nada, eine weitere bosnische Migrantin in Traunstein, mit der Mersija sich anfreundet, weiß davon zu berichten. Nada unterhält eine einträgliche Liebesaffäre mit ihrem Arbeitgeber, dem Hotelier Bernd Busch. Im Gespräch mit Mersija erklärt sie, welchen Regeln das Leben in Deutschland folgt.
    "Du musst schon mindestens ein verdammt skrupelloses Miststück sein, um es in diesem Land zu etwas zu bringen, glaub mir, meine Kleine." Nada saß rauchend am Tisch in der Mitte des Raumes. "Ich beobachte sie, seit ich hier arbeite. Diese reichen deutsche Männer. Sie treffen sich mit Bernd vorne im Restaurant, schieben jedes Mal zwei Tische zusammen und besprechen, wie sie an viel Geld kommen können. Sie denken, die hübsche Jugoslawin kriegt nichts mit." Verschwitzt blickte Mersija Nada an. So etwas hatte sie noch nie gehört. Im nächsten Moment erfasste sie, dass Nada etwas vorhatte. "Mach keine Dummheiten, Nada, ich bitte dich, lass dich nicht zu sehr mit ihnen ein‘, sagte Mersija. "Ich mache keine Dummheiten, ich will aber auch ein Stück vom deutschen Kuchen abhaben", sagte Nada.
    Abrechnung mit dem Einwanderungsland
    Mit Nada, der hübschen Bosnierin, die ihren glücklosen und gleichgültigen Mann Sava mit dem Bayrischen Bonzen betrügt, um die soziale Leiter hinaufzuklettern, wird es kein gutes Ende nehmen. Mersija wiederrum versucht eisern, sich mit lauteren Mitteln ein geordnetes Leben in Deutschland aufzubauen. Doch die Türen in die gehobene Gesellschaft bleiben auch ihr verschlossen. Was sich bei Sead Husic unter anderem dadurch erklärt, dass die Deutschen aus der Sicht der jugoslawischen Migranten betrügerisch, einfältig, borniert, gewalttätig und scheinheilig sind. Als das alte Jugoslawien in den Neunzigerjahren zerfällt, verlieren die Exilanten ihren letzten Traum von Heimat. Die Verbitterung der bosnischen Einwanderer in Deutschland schildert Muso gegenüber seiner Ehefrau Mersija mit deutlichen Worten:
    "Weißt du, Mersija, du denkst, die Deutschen seien ganz anständig, anständiger als wir. Du denkst, dass sie so anständig und gut sind, du denkst, dass sie nette Menschen sind, aber du siehst nichts und du hörst nichts. Nichts von der Wahrheit. Aber auch du wirst eines Tages sehen. Versuch mal, mit ihnen auf Augenhöhe zu sprechen, dann werden sie dir zeigen, wie sie wirklich sind. Solange du Danke sagst und vor allem viel öfter Bitte und ihnen das Gefühl gibst, sie würden dir helfen, so lange sind sie freundlich, aber wehe dir, du willst von Gleich zu Gleich mit ihnen sprechen. Alle sind so, eben das macht sie ja aus. Und ist einer nicht so, dann ist er kein Deutscher."
    Wütende Pauschalurteile treffen in Husics Roman eben nicht nur Männer im Allgemeinen, sondern auch die Deutschen in toto. Bei aller gesellschaftlicher Relevanz, die die Wirren und die Bigotterie der deutschen Migrationsgeschichte seit den Sechzigerjahren in sich bergen, gleicht Husics Auseinandersetzung mit dem Thema leider allzu oft einer Abrechnung, ja einer sehr persönlichen Traumabewältigung.
    Viele Handlungsebenen, offene Fragen
    Schnell stellt man sich bei der Lektüre die Frage, was dieser Roman eigentlich erzählen will. Geht es um die Kollaboration Jugoslawiens mit Hitler, der immerhin zahlreiche Seiten eingeräumt werden, während Mersijas Schwangerschaft und die Geburt ihres Sohnes in Deutschland auf einer knappen Seite abgehandelt werden? Oder dreht sich diese Geschichte um die Konflikte der Einwandererkinder zwischen den kulturellen Wurzeln ihrer Eltern und der neuen Heimat? Geht es um Frauenverachtung, Fremdenfeindlichkeit, oder um kriminelle Milieus in Deutschland?
    Husic verfolgt so viele Handlungsebenen und Figuren, die zudem allzu offensichtlich soziokulturelle Klischees bedienen, dass man nicht an einer einzigen wirklich anteilnimmt. Ärgerlich sind dem gegenüber sprachliche Nachlässigkeiten und offensichtliche Widersprüche im Handlungsverlauf. So bleibt etwa unklar, ob die Hauptfigur Mersija nun mit 16 Jahren oder mit 19 Jahren ihre Heimat verließ. Wiederholt drängt sich der Eindruck auf, dass Sead Husic sich in der Vielzahl seiner Erzählebenen und abrupten Zeit- und Themensprünge literarisch übernommen hat. Das ist schade, weil man dem Autor trotz aller strukturellen Schwächen des Romans seine unbändige Lust am Erzählen anmerkt. Für dieses Debüt gilt: Weniger wäre mehr gewesen.
    Sead Husic: "Gegen die Träume"
    Divan Verlag, Kassel. 400 Seiten, 16,90 Euro.