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Sechs Jahre nach der Revolution
Ägyptens Achterbahnfahrt

"Seit der Revolution hat sich alles verändert", sagen viele Ägypter - und das ist keineswegs positiv gemeint. Denn das Land steckt in einer massiven Wirtschaftskrise, der Tourismus ist faktisch zusammengebrochen und die Inflation lässt die Lebenshaltungskosten enorm ansteigen. Sechs Jahre nach der Revolution ist von der damaligen Aufbruchstimmung wenig übrig.

Von Anna Osius | 25.01.2017
    Ein Wandbild des Street-Art-Künstlers Ammar Abo Bakr in der Bustan-Straße in Kairo, gegenüber Goethe-Institut, aufgenommen am 23.05.2015. Wenn der Street-Art-Künstler Ammar Abo Bakr aufbricht, um in Kairo graue Wände zu bemalen, dann meist abends.
    Oppositionelle riskieren in Ägypten Leib und Leben. (dpa / picture alliance / Gregor Mayer)
    Ahmed steuert das Auto seines Vaters durch den Kairoer Stau. Die Straßen sind verstopft wie immer, er schlängelt sich durch, bringt Geschäftsleute zu ihren Terminen, einige der wenigen Touristen zum Flughafen. Der 23-Jährige arbeitet als Fahrer – wie sein Vater und sein Bruder. Einen Job, den er eigentlich nie wollte.
    "Ich habe Buchhaltung studiert, war einer der besten meines Jahrgangs. Eigentlich sollte ich eine Stelle an der Uni bekommen, aber dann wurde ein anderen genommen, dessen Vater Doktor ist und der bessere Kontakte hat. Jetzt schreibe ich Bewerbungen, suche jeden Tag nach einer Stelle, aber ich finde einfach keine Arbeit."
    Ägypten steckt in einer massiven Wirtschaftskrise. Tausende junge Ägypter sind arbeitslos. Der Tourismus ist faktisch zusammengebrochen. Das Pfund wurde abgewertet, es gibt eine Inflation: Die Preise für Lebensmittel haben sich teilweise mehr als verdoppelt.
    "Seit der Revolution hat sich alles verändert. 1 kg Fleisch hat mal 40 Pfund gekostet, jetzt sind es 140 Pfund. Tomaten, Reis, Benzin, alles ist teuer. Das Leben ist sehr schwierig. Ich würde gerne heiraten, aber ich kann das Brautgeld nicht bezahlen. Ich verdiene nur 1000 Pfund im Monat, das sind 50 Euro - im Monat. Ich müsste 30 Jahre lang sparen, dann könnte ich vielleicht heiraten."
    Millionen Ägypter leben unter der Armutsgrenze
    Wirtschaftlich macht Ägypten gerade schwere Zeiten durch, erklärt Hassan Nafaa, Politikwissenschaftler an der Kairo Universität. Und das könnte schlimme Folgen haben:
    "Ich befürchte, dass es neue Unruhen geben wird. Aber diesmal wird es keine politische Revolution geben, mit einem klaren Ziel, einem Ideal, Führungsfiguren, sondern einen anarchischen Aufstand des Hungers. Schon jetzt leben Millionen Ägypter unter der Armutsgrenze, selbst der einstige Mittelstand. Das ist sehr gefährlich. Die Ägypter sind ein geduldiges Volk, aber irgendwann ist eine Grenze erreicht."
    Ein Land auf Achterbahnfahrt
    Steht der nächste Aufstand in Ägypten bevor? Oder sind es die Ägypter leid, auf die Straße zu gehen? Politisch hat das Land in den vergangenen sechs Jahren eine Achterbahnfahrt hinter sich: Die massiven Demonstrationen seit dem 25. Januar 2011 bewirkten, dass der langjährige Diktator Mubarak zurücktrat. Ein Jahr später kam es zu den ersten freien Wahlen des Landes. Diese gewann Mohammed Mursi, ein Muslimbruder, dessen islamistische Politik zu neuen Protesten führte. Den Sommer 2013 bezeichnen viele Ägypter als zweite Revolution, andere als Putsch: Nach erneuten Massendemonstrationen stützte das Militär Präsident Mursi und ging in den folgenden Monaten massiv gegen demonstrierende Muslimbrüder vor. Bei der gewaltsamen Auflösung von islamistischen Protestlagern wurden mehrere hundert Demonstranten getötet. Militärischer Oberbefehlshaber war damals General Abdel Fatah al Sisi, der sich 2014 zum Präsidentschaftskandidaten erklärte und mit großer Mehrheit gewählt wurde. Seitdem regiert Sisi Ägypten mit großer Härte gegen politische Kritiker und Islamisten – Sisi nennt es einen Kampf gegen Terroristen. Kritiker sagen, Sisi führe Ägypten zurück zu einer Diktatur wie unter Mubarak oder sprechen von einer Militärdiktatur.
    "Die Revolution im Januar 2011 wurde von den Muslimbrüdern gestohlen, die Juni-Revolution 2013 von Interessengruppen, die Mubarak nahestehen. Ich spreche von missbrauchten Revolutionen. Heute haben wir weniger Meinungsfreiheit als unter Mubarak. Menschenrechte werden verletzt, es gibt Folter, Menschen verschwinden, es ist schlimmer als damals. Ich bin überzeugt, dass wir uns auf ein totalitäres Regime zubewegen."
    Regimekritiker landen im Gefängnis
    Die Gefängnisse sind überfüllt mit Regimekritikern – gemäßigte und islamistische. Viele Menschen haben Angst, offen über Politik zu sprechen. Auch dieser Anhänger der islamistischen Muslimbruderschaft redet nur noch hinter verschlossenen Türen und anonymisiert.
    Ein ägyptisches Mädchen vor ihrem Haus im Slum nahe der Nile City Towers im Viertel Ramlet Bulaq in Kairo
    Ein ägyptisches Mädchen vor ihrem Haus im Slum nahe der Nile City Towers im Viertel Ramlet Bulaq in Kairo (picture alliance / dpa / Khaled Elfiqi)
    "Sechs Jahre nach der Revolution hat sich alles verändert. Mursi hätte weiterregieren müssen. Ein Jahr war zu kurz, man hätte ihm Zeit lassen müssen. Aber ich habe noch Hoffnung auf Veränderung. Ich weiß nicht, wie lange es noch dauert, aber es wird wieder ein Aufstand kommen, weil die Menschen die Unterdrückung nicht mehr ertragen können. Wir wollen ein Leben in Würde."
    Veränderung? Viele Anhänger der gemäßigten Opposition sind da nicht mehr so optimistisch. Und Ahmed, der 23-jährige Fahrer, der eigentlich Buchhalter sein möchte? Er – eigentlich Teil der Generation, die den Wandel in Ägypten herbeigesehnt hat – setzt nicht mehr auf Revolution für Demokratie und Menschenrechte. Er wünscht sich den alten Diktator zurück.
    "Mubarak war ein guter Präsident. Wenn wir Sisi und Mubarak vergleichen, da war Mubarak viel besser. Alle, die Mubarak loswerden wollten, sagen jetzt: Komm wieder Mubarak, sorry, es tut uns leid."