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Seehofers Wahlversprechen auf der Kippe

CSU-Chef Horst Seehofer erntete in Bayern mit seiner Pkw-Maut für Ausländer lautstarken Applaus. Ob er sein Wahlversprechen durchsetzten kann, ist fraglich. Denn die Regelung verstößt offenbar gegen europäisches Recht.

Von Verena Herb | 26.09.2013
    Horst Seehofer: "Diese Maut für Ausländer muss kommen und sie wird kommen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit,"

    findet Horst Seehofer, CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident.

    Seehofer: "Wir zahlen fast auf allen Straßen in Europa. Und deshalb ist es nur gerecht, wenn andere auch bei uns zahlen."

    Die Bayern in den Bierzelten – der Pickerl-Republik Österreich nah - jubeln und haben der CSU bei der Landtagswahl ein Ergebnis von fast 48 Prozent beschert. Der Rest der Republik schüttelt den Kopf – auch Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin stellt schnell klar: Mit ihr wird es keine Pkw-Maut geben. Horst Seehofer erhöht den Einsatz, konstatiert: Er unterschreibe keinen Koalitionsvertrag, in dem die Einführung der Pkw-Maut für ausländische Autofahrer nicht drin steht. Der CSU-Chef pokert hoch: Kann er Wahlversprechen einlösen oder blamiert er sich? Volker Boehme-Neßler, Rechtsprofessor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, kommt ohne Umschweife zum Punkt:

    "Das Versprechen von Seehofer, dass es eine Pkw-Maut gibt, die nur für Ausländer gilt, und nicht für Inländer, nicht für Deutsche, ist europarechtlich nicht machbar."

    Und schlägt den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf, Artikel 18:

    Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.

    Boehme-Neßler: "Da steht ganz klar drin – und das ist sozusagen die allgemeine Norm, die vor die Klammer gezogen worden ist, die gilt für jedes Rechtsgebiet und für jedes Sachgebiet – grundsätzlich darf nicht aufgrund der Staatsbürgerschaft zwischen verschiedenen Personen differenziert werden."

    Es ist der Grundsatz der europäischen Idee überhaupt. Demnach wäre eine Maut, die ausländische Autofahrer schlechterstellt als deutsche, unzulässig. Doch was kümmern den Bayern die Bürokraten in Brüssel?

    Seehofer: "Wie man etwas durchsetzt in Berlin oder auch in Brüssel, da habe ich nun wirklich reichlich Erfahrung."

    Und präsentiert Plan B:

    "Einer dieser Vorschläge ist - und den habe ich mir zu eigen gemacht - dass mit dem Kfz-Steuerbescheid jeder, der im Inland eine Kfz-Steuer bezahlt gleichzeitig die Vignette bekommt. Und damit ist diese Vignette auch bezahlt. Also keinen Cent Mehrbelastung."

    Oder die Mineralölsteuer wird gesenkt, das Benzin wird billiger… Der Jurist Boehme-Neßler schüttelt den Kopf:

    "Alle diese Umwege sind grundsätzlich Umgehungsversuche dieses allgemeinen Diskriminierungsverbots. Und deswegen sind die grundsätzlich alle erst mal unzulässig."

    Das können die Christsozialen auch nachlesen: in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 1992. Ein ähnlicher Fall: Logistikunternehmen, die ihre Fahrzeuge über deutsche Bundesstraßen fahren lassen, sollten Maut zahlen. Zur Kompensation sollten die deutschen Unternehmen – und nur die - über eine Ermäßigung der Kfz-Steuer entlastet werden.

    Boehme-Neßler: "In diesem Fall hat der Europäische Gerichtshof ganz klar gesagt, das ist eine Umgehung des Diskriminierungsverbots. Und das funktioniert nicht. Punkt."

    Doch was wäre ein Gesetz ohne Ausnahme: So lässt der Europäische Gerichtshof mittelbare Diskriminierungen zu, wenn ein zwingendes Interesse des Allgemeinwohls dies rechtfertigt. Und was ist der Zustand unserer Autobahnen, wenn nicht ein zwingendes Interesse des Allgemeinwohls?


    Boehme-Neßler: "Der entscheidende Punkt ist aber: Es geht ums europäische Allgemeinwohl. Es geht nicht um das deutsche Allgemeinwohl. Und dann ist die Frage, ist die Finanzierung der Restaurierung der deutschen Autobahnen im europäischen Interesse? Und zwar so sehr im europäischen Interesse, dass man von einem zwingenden – nicht von einem nur einfachen, sondern von einem zwingenden Allgemeinwohl sprechen kann? Das kann ich mir allerdings nicht vorstellen."

    Dann muss eben EU- Recht geändert werden, poltert der rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stephan Mayer, im juristischen Online-Magazin Legal Tribune. Natürlich: Man kann den Vertrag über die Arbeitsweise der EU - europäisches Primärrecht - ändern; ein sogenanntes Protokoll zur deutschen Pkw-Maut schreiben und es dem Vertrag anheften. Allerdings müssten sich darauf alle EU- Mitgliedsstaaten einigen. Jedoch ist es mehr als unwahrscheinlich, dass gerade Anrainerstaaten wie Österreich, die Niederlande, Luxemburg und Belgien und Frankreich darauf einlassen würden.

    Horst Seehofer hat sich verrannt. Eine Pkw-Maut nur für Ausländer verstößt – wie man es auch dreht und wendet - gegen europäisches Recht. Allein eine komplette Reform der Kfz-Steuer mit einer neuen Maut- oder Vignettenregelung könnte die Lösung sein. Allerdings muss dann geprüft werden, ob dies mit EU-Recht vereinbar ist. Doch kurzfristig muss sich der polternde CSU-Chef wohl entscheiden: Bringt er die Pkw-Maut als Verhandlungsmasse in den Bundes-Koalitionspoker ein und bricht dann sein Wahlversprechen? Um vielleicht dafür das umstrittene Betreuungsgeld zu retten? Von mindestens einer seiner beiden "Herzensangelegenheiten" wird er sich trennen müssen. Egal, ob die künftige Regierung schwarz-rot oder schwarz-grün aussehen wird.