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Seelische Folgen der Organtransplantation

Die Zahl der Menschen, die nach dem Tode ihre Organe gespendet haben, hat im vergangenen Jahr gegenüber 2002 um 11 Prozent zugenommen. Zusammen mit den Lebendspenden konnten im letzten Jahr mehr als 70.000 Transplantationen durchgeführt werden. Trotzdem stehen immer noch viele Tausend Patienten auf einer Warteliste und gehen am Ende leer aus.

Von Michael Engel | 27.07.2004
    Doch auch jenen Menschen, denen geholfen werden konnte, geraten oftmals in eine seelische Krise. Viele Organempfänger entwickeln Schuldgefühle gegenüber dem unbekannten Spender oder sie kommen mit dem fremden Organ psychisch nicht zurecht.

    Die Patientin hatte Mukoviszidose – eine genetisch bedingte Erkrankung der Lunge – die das Atmen zur Qual macht. Am Ende konnte ihr nur eine Organ-transplantation helfen.

    Also, direkt nach der Transplantation war ich eigentlich nur froh, dass ich weiterleben konnte, weil ich ein neues Organ bekommen habe. Und nach und nach habe ich aber gemerkt, dass ich – also ich habe angefangen, ganz schlecht zu träumen, ich habe immer versucht, eine Person zu sehen, bzw. deren Gesicht, und habe Schuldgefühle entwickelt, dass nun jemand sterben musste, damit ich weiterleben darf. Dass ich also ein Organ von jemandem bekommen habe, welcher sterben musste.

    Solche Entwicklungen sind typisch für viele Organempfänger. Quälende Ge-danken zur Identität des Spenders – sie treten allerdings erst später auf, Wochen und Monate nach der Transplantation. Und dann gibt es noch Probleme mit dem Organ selbst: Da ist das neue Herz, das irgendwie anders schlägt, die neue Lun-ge, die sich anders anfühlt – bei jedem Atemzug:

    Gerade die Akzeptanz eines Organes ist wichtig, dass ein Patient im Verlauf nach der Transplantation die Kontrollen wahrnimmt, seine Medikamente zu-verlässig einnimmt. Wenn ein Patient Probleme damit hat, dann werden die Medikamente abgesetzt, es wird nicht mehr verantwortlich damit umgegan-gen, wie es eben für einen langfristigen guten Verlauf notwendig ist. Und deshalb ist es wichtig, die Patienten auch in der Hinsicht zu stärken. Aber wir haben dort sicherlich Defizite, das muss man ganz ehrlich sagen, dort sind weitere Anstrengungen zwingend notwendig.

    So das Urteil von Dr. Rainer Lück. "Defizite", von denen der Transplantations-mediziner in der Medizinischen Hochschule Hannover spricht, sind messbar. Eine Studie aus Ulm konnte zeigen: Organempfänger mit psychotherapeutischer Begleitung lebten länger als jene, die keine Hilfe in Anspruch nahmen. Der see-lische Beistand führte nämlich dazu, dass Medikamente mit größerer Sorgfalt eingenommen wurden. Elisabeth Wellendorf – Psychotherapeutin aus Hannover – kennt die psychischen Krisen vieler Organempfänger:


    ...... und da entstehen dann - vor allem in Träumen wird es so ausgedrückt – Vorstellungen, als hätte man sich sozusagen etwas angemaßt, was einem gar nicht gar nicht zusteht.

    Die Gründerin des Instituts für Psychoanalytische Kunsttherapie betreut seit mehr als 30 Jahren Organempfänger. Es ist nicht nur das Fremde, mit denen sich die Patienten auseinander setzen müssen. Auch der Verlust, zum Beispiel der eigenen Lunge, die zuvor entfernt werden musste, damit das neue Organ Platz findet, kann Depressionen auslösen.

    Und das Arbeiten da dran könnte zum Beispiel so aussehen, dass man mit der Lunge Kontakt aufnimmt und ihr vielleicht in Form eines Briefes dankt. Also sagt: Die ganze Zeit hab’ ich mich einerseits mit Dir herumgequält, aber ich weiß, Du hast bis zum Schluss Deine Arbeit getan. Du konntest nicht an-ders, und jetzt danke ich Dir, und wir trennen uns.

    Das Transplantationsgesetz schreibt vor, dass Organspender anonym bleiben müssen. Ein Dankeschön am Grab des Spenders ist deshalb nicht möglich. Die Medizinische Hochschule Hannover will jetzt eine Art "Andachtsstätte" einrich-ten, damit sich Organempfänger für das "anonyme Geschenk" bedanken kön-nen. Doch damit sind längst nicht alle Probleme gelöst. Schon gar nicht mit Blick in die Zukunft. Dramatischer werden die seelischen Folgen sein, wenn erst einmal tierische Organe verpflanzt werden können, vermuten Psychotherapeu-ten. Auch die sogenannte "embryonale Stammzelltherapie", die das Ziel hat, Organe aus einem geklonten Zwilling zu gewinnen, wird die Patienten der Zu-kunft mehr denn je psychisch belasten:

    Ich glaube, es ist ein bisschen so ähnlich, als wenn man mit dem Flugzeug ganz schnell große Entfernungen überwinden kann und in eine völlig andere Kultur kommen kann. Und ich hab’ auch das Gefühl, dass die High-Tech-Medizin mit ihren fantastischen Möglichkeiten zu etwas fähig ist, wo der Mensch noch gar nicht soweit ist – innerlich - und eine Zeit braucht, bis er das verkraftet.