Samstag, 20. April 2024

Archiv


Seelische Untiefen

Der britische Schriftsteller Simon Stephens hat ein Bühnenstück nach dem tiefsten und dunkelsten See Englands benannt: "Wastwater". Stephens Figuren kennzeichnet eine seelische Verfinsterung, die zur erdrückenden Last wird und die Verständigung mit dem Gegenüber unmöglich macht.

Von Eberhard Spreng | 28.04.2013
    Drei Miniaturen im Transit, drei Spiele des Verpassens im Niemandsland eines Großflughafens. Ein Garten östlich von Heathrow, ein Hotelzimmer in der Nähe der Landebahn, ein Hangar irgendwo auf dem Flughafengelände. Alle drei Orte hat Florian Lösche in eine abstrakte breite schwarze Fläche zusammengefasst. Neonröhren sind in sie eingelassen, die leuchten auf wie Landebahnbefeuerung oder flackern in diversen hübschen Mustern, während dröhnender Flugzeuglärm die Dialoge unterbricht. Hier trifft Frieda auf ihren Pflegesohn Harry, der gerade dabei ist, nach Kanada auszuwandern. Der trägt ein Schuldgefühl mit sich herum, glaubt für den Tod eines Freundes verantwortlich zu sein. In das alltägliche Geplauder drängt die finstere Vergangenheit. Bei Stephens Figuren kommt die seelische Verfinsterung zunächst immer nur in leicht eingestreuten Bemerkungen zum Vorschein, um sich dann zu einer erdrückenden Last zu steigern, die die Verständigung mit dem Gegenüber unmöglich macht. So haben sich Lisa und Mark zu einem Date verabredet, bei dem sie ihm in einer verstörenden Beichte von ihrem Vorleben erzählt: von Drogenkonsum, vom Spiel in Pornofilmen. Susanne Wolff spielt sie, augenscheinlich alleingelassen von einem erstarrenden Moritz Grove. Immer wieder lässt Stephens in die brüchigen Dialoge unvermittelt seine konservative Zivilisationskritik einfließen. Wo Harry im ersten Teil gegen die Erfindung der Landwirtschaft wetterte, weil sie zu Überbevölkerung geführt habe, entdeckt Mark im Hotelfernseher das Instrument zur Bekämpfung der Einsamkeitsgefühle.

    "Man kann von der Dusche aus Fernsehen. Die ganze Einrichtung ist so angelegt, dass man von jeder Stelle im Zimmer den Fernsehen sieht, egal wo man steht. Wer hier wohnt, fühlt sich wahrscheinlich so einsam, dass der Fernseher ihn an die Außenwelt erinnern muss, daran, dass alles Mögliche passiert und dass er nicht, na ja, allein ist."

    Im dritten Teil muss sich Jonathan einer absurden Befragung unterziehen. Er hat sich, nach erfolglosen Bewerbungen, für eine illegale Adoption entschieden und Siam, die ihm für viel Geld ein Kind von den Philippinen besorgt hat, erkundet Erinnerungen aus seiner verschütteten Kindheit. Leider kann Elisabeth Müller in ihrem Spiel nicht diesen maliziösen Spaß an der Macht über einen unglücklichen Mann beglaubigen, der seinerseits wohl über sein künftiges Adoptivkind eine finstere Macht ausüben dürfte. Außerdem kaschiert Ulrich Matthes pickierliche Regie Jonathans wahres Interesse an dem Kind. Dass er sich in ein ungeschütztes Netzwerk eingeloggt habe, wirft ihm Siam vor. Wie verdattert lässt Bernd Stempel die Angriffe über sich ergehen, als Opfer, nicht als Akteur mit eigener triebhafter Agenda. Wo der Ton böse aber leise sein müsste, wird laut gepoltert, wo gezwungen beiläufiges Reden über seelische Untiefen hinweghuschen müsste, werden bedeutungsvoll Erklärungen abgegeben. Dabei wäre nichts spannender als das zu erkunden, was uns eine Theaterfigur mit aller Kraft verbergen will. Nur einmal, in Susanne Wolffs Lisa trifft Zuschauers Neugier auf ein komplexes Spiel, das auch Verletzungen spüren lässt, einen ungeklärten Masochismus.
    "
    - Vielleicht verbinde ich dir die Augen und ich fessele dich an einen Stuhl und fessle deine Hände und du darfst mich nicht berühren, so sehr du auch willst. Und du kannst mich nicht sehen. - Über so etwas habe ich heute nachgedacht. Ist das jetzt schockierend?
    - Nein das ist gut, gefällt mir.
    - Und über noch etwas habe ich heute nachgedacht, noch etwas wollte ich heute Abend machen, ich wollte nämlich dass du mich schlägst. Wie wäre das für dich?"

    Bei Susanne Wolffs Bühnenkollegen will man erst gar nicht wissen, was sie im Innersten umtreibt. Den Grund von "Wastwater" - so heißt der tiefste und dunkelste See des englischen Lake-Distrikts - will keiner erkunden.

    Was in Simon Stephens Stück ohnehin schon reichlich schematisch erscheint, wird bei Matthes vollends zu einem etwas naiven Holzschnitt, der Themen streift, die sämtliche Talkshows des letzten Jahrzehnts schon hinlänglich breitgetreten haben: Mangel an Kommunikation, Vereinsamung, Entfremdung zwischen den Menschen. Die größte Überraschung aber ist, dass ein berühmter Schauspieler, der als Akteur immer wieder Beweise seiner Kunst geliefert hat, als Regisseur seine Kollegen nicht zum Glänzen bringen konnte.