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Seelsorge auch für Nichtchristen

In der Bundesrepublik ist rund ein Drittel der Bevölkerung konfessionsfrei, gehört also keiner christlichen Kirche mehr an. Deshalb fordert der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) neben der christlichen eine gleichberechtigte humanistische Soldatenbetreuung in den Kasernen zuzulassen. Zumal es dafür schon gute Vorbilder innerhalb der NATO gibt.

Von Thomas Klatt | 25.10.2013
    "Wir tragen eine Uniform mit den folgenden Dienstgraden. Dienstleitende mit dem Dienstgrad eines Generals, Hauptberater mit dem Dienstgrad eines Offiziers und die Berater 1. und 2. Klasse mit dem Dienstgrad eines unteren Offiziers."

    In ihrem Zivilberuf war Annie van Paemel Ethiklehrerin. Seit 14 Jahren leitet sie nun aber als Generalin die humanistische Soldatenbetreuung in der 35.000 Mann starken belgischen Armee. Vom Marinestandort Zeebrugge aus organisiert sie den Einsatz von insgesamt acht freireligiösen Seelsorgern.

    "2012 hat unserer Dienst 1230 Konsultationen abgenommen. Konflikte mit Vorgesetzten, Burn-out, Sucht, Ehescheidung, finanzielle Probleme, Einsamkeit, Erziehung der Kinder, Partnerschaftsbrüche, die den längeren Missionen zuzuschreiben sind."

    Die humanistischen Berater sind studierte Therapeuten, Psychologen oder Lehrer. Wenn es um besonders schwere Traumatisierungen und Probleme geht, würden sie die Soldaten an Fachleute weitervermitteln, sagt van Paemel. Wichtig sei es eben, ein erster Ansprechpartner zu sein, gerade für die, die mit der kirchlichen Tradition nichts mehr anzufangen wüssten. Die Humanisten bieten auch Rituale an, Begräbnisse etwa für tote Kameraden, nur eben ohne Kreuz oder andere christliche Symbolik. Seit 1999 gibt es die humanistische Seelsorge bei den belgischen Streitkräften. Dieses Angebot musste erst mühsam vor Gericht erkämpft werden, besonders gegen den Widerstand der dominierenden katholischen Kirche, sagt Generalin van Paemel. Bis heute gebe es daher auch kaum Kooperationen mit den katholischen Seelsorgern in den Kasernen. Vor allem die unteren Dienstgrade würden sich aber vertrauensvoll an die freireligiösen Seelsorger wenden. Etwa bei Konflikten mit Vorgesetzten. Genauso wie bei Pfarrern gelte auch für die humanistischen Berater das Seelsorgegeheimnis.

    "Unser militärischer Dienstgrad gibt uns die Möglichkeit auf einer Stufe mit dem Kader zu verhandeln. Wir respektieren die persönliche Integrität des Hilfesuchers und werden nie persönliche Informationen freigeben, es sei denn auf persönliche Bitte des Hilfesuchers oder da jemand Gefahr läuft."

    Innerhalb der NATO gibt es nur in der belgischen und niederländischen Armee eine humanistische Soldatenbetreuung. In den USA fordert die 1998 gegründete Soldatenvereinigung Military Association of Atheists & Freethinkers "Humanist Chaplains" zuzulassen. Auch hierzulande fordert der Humanistische Verband Deutschlands HVD eine ähnliche Offenheit bei der Bundeswehr. Denn Trost und Hilfe könne man in Krisensituationen nicht nur als christlicher, sondern auch als freireligiöser Betreuer leisten, etwa beim Tod eines Kameraden, meint Bruno Osuch vom HVD-Bundesverband.

    "Wir haben keinen Trost nach dem Tod, das ist wohl wahr. Aber wir haben die Kraft der Erinnerung. Wir haben die Kraft der Emotionen. Wir haben die Kraft des Vertrauens in die eigene Kraft. Die Arbeit mit Schwerstkranken in unseren eigenen Hospizen in Berlin ist entstanden aus dem Versuch, Trauerarbeit systematisch zu organisieren. Und wir bieten ja in diesem Bereich eine mehrjährige Weiterbildung an für Trauerberatung."

    Dass man für Freireligiöse und Konfessionslose beim Militär da sein will, ist unter Humanisten unstrittig. Streit gibt es aber bei der Frage, ob man dafür dem Militär ähnlich wie die evangelische und katholische Kirche eigene beamtete Seelsorger zur Verfügung stellen sollte. Der humanistische Philosoph Thomas Heinrichs.

    "Also wir können ja gerne Soldaten beraten, das Recht haben wir, steht in der Verfassung. Wenn es da einen humanistischen Soldaten gibt in der Bundeswehr, der sagt, er möchte gerne beraten werden, dann muss ein humanistischer Berater zu ihm in die Armee hineingelassen werden. Das Problem ist, dass der offizielle HVD gerne möchte, dass die Bundeswehr dafür bezahlt. Und wer sich von der Bundeswehr bezahlen lässt, der lässt sich von der Bundeswehr auch kaufen. Und die Bundeswehr bezahlt nur für das, was ihr nützt, also die Soldaten fit zu machen für den Einsatz, das ist mit einer humanistischen Weltanschauung nicht vereinbar."

    Die Mehrheit beim HVD sieht darin aber kein Problem. Denn ähnlich wie die evangelische und katholische Soldatenbetreuung sich als unabhängig vom militärischen Befehlsapparat versteht, würde auch eine künftige humanistische Soldatenbetreuung sich als autonom gegenüber der Armee begreifen wollen. Der Philosoph Frieder Otto Wolf, Präsident der Humanistischen Akademie Berlin, fordert den Gleichheitsgrundsatz.

    "Dass auf gleicher Augenhöhe und mit gleichen Bedingungen Christen, Muslime, Buddhisten und konfessionsfreie Humanisten tatsächlich eine Beratung erfahren. Wenn man das wirklich zugänglich machen will, reicht es nicht, dass wir das von außen anbieten und finanzieren, sondern das muss auch finanziert werden und erreicht sonst die breite Masse der Soldaten nicht."

    Noch aber gibt es seitens des Bundesverteidigungsministeriums keinerlei Signale zur Einrichtung eines humanistischen Dienstes nach belgischem oder niederländischem Vorbild. Ob der HVD nun den langen und mühsamen Weg bis vors Bundesverfassungsgericht antritt, bleibt offen. Nur Klärungsbedarf gebe es schon jetzt. Im Lebenskundlichen Unterricht LKU, der zwei Stunden pro Monat für alle Dienstgradgruppen stattzufinden hat, geht es um Themen wie Menschenführung, Toleranz, Freiheit, Gewissen, oder eben die beste Friedens- und Konfliktethik. Aber obwohl immer weniger Soldaten vor allem der unteren Dienstgrade sich noch kirchlich gebunden fühlen, sind für diesen ethischen Unterricht allein Pfarrer zuständig, beklagt Frieder Otto Wolf.

    "Ich finde es auch ein Unding, dass dieser Lebenskundeunterricht in der Bundeswehr überwiegend und ausschließlich von Feldgeistlichen gemacht wird. Das geht so nicht, das ist klar verfassungswidrig und das muss geändert werden. Wenn es erste Schritte zur Veränderung gibt, also zur Pluralisierung des Lebenskundeunterrichtes, da können wir mitmachen."