Mittwoch, 24. April 2024

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Seenotrettung im Mittelmeer
"Hände in den Schoß legen ist für uns keine Option"

Gerettete Flüchtlinge schnell in Sicherheit bringen oder weiter nach Menschen suchen, die im Meer zu ertrinken drohen? In dieser Zwickmühle steckt die Besatzung der Sea-Watch 3 auf dem Mittelmeer. Die aktuelle Situation sei "eine ziemliche Belastung" für alle an Bord, sagte Einsatzleiter Philipp Hahn im Dlf.

Philipp Hahn im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 28.12.2018
    Rettung aus Seenot von 305 Migranten durch das zivile Rettungsschiff Sea Watch 3 am 13.4.2018
    Sea-Watch 3 gehört den Angaben zufolge mit wenigen Suchflugzeugen und Rettungsschiffen zu den einzigen zivilen Rettungsmitteln auf dem Mittelmeer (dpa / ROPI)
    Jörg Münchenberg: Seit sieben Tagen irrt die Sea-Watch 3 über das Mittelmeer, an Bord 32 Flüchtlinge, darunter auch mehrere Kinder, doch bislang findet das Schiff keinen Hafen, der bereit ist, die Menschen aufzunehmen. Also bleibt die Sea-Watch gestrandet auf See, wie es heißt, und hofft, dass sich auch vielleicht Deutschland bereit erklärt, Menschen bei sich aufzunehmen. Ich bin jetzt verbunden mit dem Einsatzleiter auf der Sea-Watch, Philipp Hahn. Herr Hahn, einen schönen guten Morgen!
    Philipp Hahn: Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Münchenberg!
    Münchenberg: Herr Hahn, zunächst mal, wie ist die Lage an Bord?
    Hahn: Zurzeit ist die Lage relativ ruhig. Wir haben mittlerweile besseres Wetter. Tatsächlich scheint die Sonne, und die Welle hat eigentlich abgenommen. Das erleichtert uns die Situation, weil unsere Gäste, das sind ja über 30 Leute, quasi auf dem Deck campieren müssen, und hätten wir schwereres Wetter, und auch das kann in den nächsten Tagen kommen, dann erginge es unseren Leuten dort hinten (unverständlich).
    Münchenberg: Gestern war ja auch die Rede von einem weiteren Rettungseinsatz. Ist der erfolgt?
    Hahn: Da befinden wir uns in einer ziemlichen Zwickmühle. Auf der einen Seite wollen wir unsere Gäste so schnell wie möglich in einen sicheren Hafen bringen, haben uns deswegen in die Nähe von Malta verlegt. Gestern kam dann eine sehr ungewöhnliche Meldung von der Rettungsleitstelle in Rom, dass sich also 72 weitere Menschen auf einem Schlauchboot in Gefahr befinden. Wir haben uns dann doch dazu entschieden, uns in deren Richtung zu bewegen und nach Süden zu fahren, was natürlich Besorgnis bei unseren Gästen auch an Bord ausgelöst hat, denn die fragen sich natürlich, warum geht es jetzt zurück nach Libyen. Das konnten wir klären. Wir befinden uns im Moment nach wie vor in der maltesischen Such- und Rettungsgegend, um dort Ausschau zu halten, ob vielleicht diese Leute tatsächlich mit ihrem Schlauchboot noch kommen.
    "Möglichst schnell eine Lösung finden"
    Münchenberg: Herr Hahn, wie steht es um die Bemühungen, jetzt eine Anlandeerlaubnis zu bekommen?
    Hahn: Nun, da kann ich Ihnen von Bord nur bedingt etwas sagen. Dort ist ein ganzes Team in Berlin, in Holland und auch teilweise Italien und Malta für uns aktiv. Das ist unser sogenanntes Back Office, also die Leute, die im Hintergrund Arbeit machen, die schreiben also alle Kontakte an, die sie von Parlamentariern und von (unverständlich) Regierungen haben. Das Auswärtige Amt in Deutschland, in den Niederlanden wurde kontaktiert, und auch dort haben sich mittlerweile die Offiziellen, haben die Leute erkannt, dass hier was passieren muss, und im Moment hoffe ich, dass sich möglichst schnell hier eine Lösung finden lässt.
    Münchenberg: Wie gehen Sie aber trotzdem damit um, dass Sie eigentlich bei jeder Rettungsfahrt ja nie wissen, ob die Menschen dann auch, die Sie aufnehmen, die Sie retten, ob die dann von einem Land auch aufgenommen werden?
    Hahn: Das ist in der Tat eine ziemliche Belastung, zum einen für unsere Crew, die ja größtenteils aus Volontären, also aus Freiwilligen besteht, die ihren Urlaub hier opfern und sich für drei Wochen freinehmen, um hier zu helfen, können eigentlich gar nicht so genau wissen, ob sie nach drei Wochen dann tatsächlich wieder zurück nach Hause zu ihren Lieben kommen. Auch wir haben jetzt gerade die Situation, dass wir im Prinzip unsere Mission in einer Woche beenden. Wenn wir in dieser Zeit allerdings keinen Hafen finden, dann müssen unsere Leute länger bleiben.
    Davon abgesehen müssen Sie sich vorstellen, wir haben über 30 Leute bei uns auf dem Schiff, und die versuchen wir natürlich so gut wie es geht mit Informationen zu versorgen, und da kommen natürlich viele Fragen und viele Befürchtungen, wie es denn nun weitergeht. Den Menschen keine richtige Antwort geben zu können, die dort so in der Luft zu lassen, das ist natürlich extrem unangenehm und steigert noch den Stress, der sowieso schon besteht.
    Münchenberg: Ist das nicht aber trotzdem auch ein riskanter Ansatz, auf der einen Seite Menschen zu retten, aber nicht zu wissen, ob man denen tatsächlich auch helfen kann im Sinne von: Es gibt ein Land, das bereit ist, sie aufzunehmen?
    Hahn: Ja, da befinden wir uns wirklich in einer Zwickmühle. Am Ende des Tages kann ich aber nicht anders handeln, als die Leute erst mal aus Seenot herauszuholen, gerade deswegen, weil wir in unserer Kommunikation auch mit den von Ihnen genannten libyschen Einsatzkräften, die vor Europa aufgebaut wurden, dass wir mit denen in der Kommunikation deutlich merken, dass es sich nicht um professionelle Retter handelt.
    Telefonnummern, die angegeben sind, sind nicht erreichbar. Wenn sie erreichbar sind, dann haben wir nur Kontakt zu Leuten, die nur arabisch sprechen, kein Englisch. Im Einsatz erleben wir diese Einsatzkräfte ja auch, und das ist alles andere als professionell oder auf Rettung gemünzt, sondern sieht teilweise sehr brutal aus beziehungsweise ist teilweise sehr brutal.
    Münchenberg: Offiziell gehen ja die Flüchtlingszahlen jetzt auf dieser Route zwischen Libyen und Italien zurück. Deckt sich das mit Ihren eigenen Beobachtungen?
    Hahn: Nun, wir waren lange Zeit in Malta festgehalten ohne irgendwelche richtige juristische Handhabe. Deswegen haben wir jetzt sehr wenig Erfahrung und wissen relativ wenig über das, was in den letzten Monaten passiert ist. Was wir wissen, sind die Zahlen derer, die leider tot an die libysche Küste angespült wurden. Das heißt, die Zahl derer, die ertrunken sind, ist im jeden Fall stark gestiegen. Die Zahl derer, die von Libyen aus aufgebrochen sind, ist relativ unbekannt, und die Zahl, auf die sie sich jetzt quasi berufen, ist die Zahl derer, die angekommen sind. Die ist stark zurückgegangen. Das ist wohl richtig.
    "Menschen steigen so oder so in die Boote"
    Münchenberg: Die italienische Regierung verweist ja auf ihre harte Flüchtlingspolitik, unter anderem ja auch gegen private Einrichtungen wie das Ihre ist und sagt, auch das hätte dazu beigetragen, dass die Zahlen zurückgehen.
    Hahn: Das ist interessant und gut, dass Sie es erwähnen, denn tatsächlich sind es die Auswirkungen der vorgegangenen italienischen Regierung, die zu dieser Situation geführt haben und der jetzige Innenminister* Salvini sich da mit diesen Lorbeeren schmückt. Ja, das ist eigentlich die Situation.
    Münchenberg: Wie gehen Sie um mit dem Argument trotzdem, das auch immer wieder zu hören ist, dass man sagt, gerade so private Hilfsboote, wie das ja Ihres auch ist, würden auch indirekt dazu führen, dass Schlepper aufs Mittelmeer bringen, weil sie wissen, da sind auch private Retter vor Ort?
    Hahn: Um ehrlich zu sein, als ich 2015 das erste Mal von dem Projekt Sea-Watch hörte, war das auch mein erster Gedanke, der mir in den Kopf schoss. Tatsächlich zeigt jetzt die Erfahrung, dass wir eher davon ausgehen müssen, dass die Menschen so oder so in die Boote steigen und versuchen zu fliehen und versuchen wegzukommen und dass eher die Frage, wie viele dabei umkommen, dass die davon abhängt, wie viele Rettungsboote in der Umgebung sind. (Unverständlich) dass auf jeden Fall eine Such- und Rettungsmission von europäischer, von Staaten Seite aus zu erfolgen hat, um zu verhindern, dass jemand stirbt.
    Münchenberg: Noch kurze Frage: Wie geht es weiter im nächsten Jahr? Die Bedingungen insgesamt haben sich ja deutlich erschwert, auch durch die neue italienische Flüchtlingspolitik. Wird die Sea-Watch trotzdem weiter versuchen, Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten?
    Hahn: Ja, also wir werden alles tun, um hier weiter operativ sein zu können, um zu verhindern, dass hier Menschen sterben. Das ist die Aufgabe, die wir uns auf die Fahnen geschrieben haben, und zugucken und die Hände in den Schoß legen, ist für uns keine Option.
    Münchenberg: Sagt der Einsatzleiter der privaten Rettungsorganisation Sea-Watch an Bord direkt jetzt von der Sea-Watch 3, Philipp Hahn. Herr Hahn, vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen, und wir bitten, die schlechte Leitungsqualität zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    [*] Anmerkung der Redaktion: In dem Telefon-Interview sprach der Gesprächspartner von Ministerpräsident Salvini. Tatsächlich ist Matteo Salvini stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister Italiens.