Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Sehr eigenartig, dass der Herr Guttenberg plötzlich von einer Insolvenz redet"

Die Bundespräsidentenwahl war kein Testlauf für die Bundestagswahl, sagt Peter Struck, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Auch wenn die SPD-Kandidatin Gesine Schwan nun nicht mit den Stimmen der Linken gewählt wurde, schließt Struck ein rot-rotes Bündniss künftig aus - und ärgert sich über den Ablauf der Bundesversammlung.

Peter Struck im Gespräch mit Dirk Müller | 25.05.2009
    Dirk Müller: Wenn bei der Börse 50 Prozent Psychologie sind, wie viel ist es dann in der Politik? Es war die erste große Wahl in Deutschland in diesem Jahr, vor den Europawahlen, vor den Landtagswahlen in vier Ländern Ende August und vor den Bundestagswahlen im September. Horst Köhler ist der alte und der neue Bundespräsident, gleich wiedergewählt im ersten Wahlgang. Ein Erfolg für den Amtsinhaber, aber nicht nur für den, sondern auch für die CDU/CSU und auch für die FDP, die sich einmal mehr als künftiger Koalitionspartner von Angela Merkel empfohlen hat. Eine klare Niederlage hingegen für Gesine Schwan, für die SPD und die Grünen. Immerhin: Mindestens elf Stimmen aus dem rot-grünen Lager haben nicht für Gesine Schwan votiert. Im Deutschlandfunk-Interview ist nun SPD-Fraktionschef Peter Struck. Guten Morgen!

    Peter Struck: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Ein rabenschwarzer Tag für Sie war das, Herr Struck: einmal Horst Köhler und dann hat auch noch Ihr Lieblingsverein Borussia Dortmund den Einzug in die Europaliga verpasst.

    Struck: Ja, das letztere ist wirklich sehr ärgerlich, weil ich wirklich gedacht habe, der BVB hält den fünften Platz, aber so ist Fußball. Zum ersten Punkt, zur Wahl des Bundespräsidenten, muss man schon sagen, Herr Müller: Erstens, schwarz-gelb hatte keine eigene Mehrheit, da hat Fritz Kuhn völlig Recht, sondern die Freien Wähler haben zu diesen 613 Stimmen beigetragen. Und zweitens: Es war ja wirklich auch keine bundespolitische Entscheidung in dem Sinne, dass da Parteien gewählt worden sind, sondern es ist eine Person gewählt worden, ein hoch angesehener Bundespräsident, eine hoch angesehene Kandidatin, und uns war klar, dass es ein schwerer Weg für Gesine Schwan werden würde.

    Müller: Weil das jetzt anders ausgegangen ist, hat es plötzlich für die SPD keine Bundeswirkung mehr?

    Struck: Nein, nein. Das war von Anfang an schon klar. Eine Bundespräsidentenwahl ist keine vorgezogene Bundestagswahl. Das ist seit einem Jahr schon klar, seit dem Zeitpunkt, seitdem wir Gesine Schwan benannt haben oder es entschieden haben, sie vorzuschlagen, und auch Gesine Schwan sieht das nicht als vorentscheidend für die Bundestagswahl an.

    Müller: Bei der Europawahl am 7. Juni sieht das anders aus?

    Struck: Ja. Das ist schon ein bisschen anders, weil das eine bundesweite Wahl ist, aber auch die Europawahl ist etwas anderes als eine Bundestagswahl, Herr Müller, denn wir gehen davon aus, dass wir nicht eine so hohe Wahlbeteiligung schaffen werden - wir bemühen uns darum -, die normal bei der Bundestagswahl ist, bei der ja fast 70 oder über 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme abgeben. Außerdem ist Europa ein etwas spröderes Thema als die Frage, wer Deutschland weiter regieren soll.

    Müller: Kommen wir, Herr Struck, noch mal auf den Samstag zu sprechen. Sind Sie in Wirklichkeit froh, dass die Bundesversammlung so ausgegangen ist?

    Struck: Nein, das bin ich nicht. Ich habe die Kandidatur ja am Anfang auch mit Skepsis gesehen. Das weiß man, das habe ich auch öffentlich erklärt. Ich habe die Arbeit des Bundespräsidenten geschätzt, aber auf der anderen Seite hat mich auch das Argument überzeugt, dass eine große demokratische Partei wie die SPD durchaus einen eigenen Kandidaten, in diesem Fall eine sehr hoch angesehene Frau aufstellen sollte, denn zur Demokratie gehört auch eine personelle Alternative. Dass Gesine Schwan unserer Partei Ehre angetan hat, auch denjenigen, die mit der Arbeit des Bundespräsidenten nicht so ganz zufrieden waren, ist hier eine Selbstverständlichkeit.

    Müller: Sie waren damals skeptisch, sagen Sie. Viele sagen, Sie waren damals dagegen. Also es war kein Fehler, mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen zu gehen?

    Struck: Nein, es war kein Fehler. Ich glaube schon, dass den Menschen in Deutschland klar geworden ist, dass wir, wenn wir das Staatsoberhaupt wählen, auch die Möglichkeit haben sollten, eine personelle Alternative zu haben, und diese personelle Alternative war überzeugend. Nur die Lagerbildung, die jedenfalls im Bereich von schwarz-gelb und bei den Freien Wählern entstanden ist, hat ja die Entscheidung zu Gunsten des Bundespräsidenten bewirkt.

    Müller: Weil Horst Köhler wiedergewählt worden ist, Herr Struck, haben Sie jetzt die rot-rote Debatte vom Hals. Ist doch auch nicht schlecht?

    Struck: Das glaube ich nicht, dass dies das Entscheidende ist, Herr Müller, denn dass unser Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und unser Parteivorsitzender Franz Müntefering, Peer Steinbrück oder auch ich entschiedene Gegner von rot-rot-grün sind, das weiß man. Das ist auch bei den Menschen in Deutschland absolut angekommen. Da glaubt niemand, dass Frank Steinmeier mit Herrn Lafontaine und den Grünen eine Regierung bilden wird. Das war nicht meine Hauptsorge.

    Müller: Das hatten damals aber von Kurt Beck auch alle geglaubt.

    Struck: Ja. Nun ist es ein Unterschied, ob man über ein Land redet, oder ob man über den Bund redet. Das muss ich auch nicht weiter ausführen, denn in einem Land wird nun nicht über Außenpolitik entschieden oder über Sozialleistungen, die der Staat gewähren soll oder nicht, denn bundespolitisch sind die Vorschläge der Roten, der PDS und Linken, also absolut inakzeptabel.

    Müller: Also können wir festhalten: lieber Opposition als Linkspartei?

    Struck: Ja. Wir halten fest, dass unser Wahlziel ist, wenn es geht eine rot-grüne Regierung zu bilden. Wir haben sieben Jahre lang in Deutschland rot-grün regiert, das war eine gute Zeit unter Gerhard Schröder. Wenn das nicht reicht, treten wir schon ein Ampelbündnis an, und als letzte Alternative bleibt immer noch die Große Koalition übrig, wenn diese beiden anderen Möglichkeiten nicht gehen, immer vorausgesetzt man einigt sich natürlich auch in wichtigen politischen Bereichen.

    Müller: Da muss ich noch mal fragen. Also lieber Opposition als Linkspartei?

    Struck: Mit der Linkspartei wird es kein Bündnis geben.

    Müller: Ablauf der Bundesversammlung, Peter Struck. Das war an diesem Wochenende auch eine Diskussion. Da hat es "Unregelmäßigkeiten" gegeben. Die Saaldiener beispielsweise wussten eher Bescheid als die Abgeordneten, die Blumensträuße waren schon verteilt, bevor sie dann noch einmal verteilt werden sollten. Sie wussten nichts davon. Was ist da schiefgelaufen?

    Struck: Das ist so ein bisschen peinlicher Vorgang. Offenbar hat der Bundestagspräsident auf den Bundespräsidenten draußen vor der Tür gewartet. Das habe ich alles so nicht mitgekriegt, weil wir im Plenum gesessen haben und auf das Wahlergebnis gewartet haben. Das finde ich schon einen eigenartigen Vorgang, aber da kann man dann mit dem Ältestenrat des Bundestages darüber reden. Das werden wir auch tun. Das war schon sehr komisch, dass die Bläsergruppe in den Bundestag kam. Jeder wusste also, wir brauchen keinen weiteren Wahlgang mehr zu machen, und trotzdem hat keiner das Ergebnis gekannt. Das war ärgerlich.

    Müller: Alles in Verantwortung des Bundestagspräsidenten?

    Struck: Ich glaube schon, dass Herr Lammert da einige Fragen beantworten muss im Ältestenrat.

    Müller: Und Herr Köhler war zwischendurch mal im Schloss Bellevue. Können Sie das nachvollziehen?

    Struck: Ich kann es eigentlich nicht nachvollziehen, denn es war ja klar, das Auszählen dieser Stimmen, der 1224 Stimmen, dauert vielleicht eine bis eineinhalb Stunden. Er hätte durchaus in der Nähe des Reichstages - und auch im Reichstag selbst hätte man ihm ja mit Sicherheit auch Räume zur Verfügung stellen können - auf das Wahlergebnis warten können. Nun hat er einen anderen Weg gewählt. Das sind Dinge, Herr Müller, die sind in zwei oder drei Tagen vergessen. Aber ärgerlich war das alles schon.

    Müller: Themenwechsel, Herr Struck. Wir haben zwei Aspiranten auf Staatshilfen: Opel und Karstadt. Auseinandersetzung, Streit in der Koalition, weil der Wirtschaftsminister sagt, wir müssen uns auch die Option bei Opel einer Insolvenz offenhalten, und der SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier sagt, das geht auf keinen Fall. Wie sehen Sie es?

    Struck: Ich sehe es genauso wie Frank Steinmeier. Ich finde es schon sehr eigenartig, dass der Herr Guttenberg plötzlich von einer Insolvenz redet. Jeder weiß, was Insolvenz in Deutschland bedeutet. Dann ist ein Unternehmen pleite und dann geht es bergab. Und wir sind ja noch gar nicht so weit, dass wir davon reden können, dass das Unternehmen keine Zukunftsperspektive hat. Beide Konzepte, Fiat, Magna, aber auch das dritte von amerikanischen Unternehmen da, müssen jedenfalls ernsthaft geprüft werden. Mir scheint es so zu sein, dass Herr Guttenberg als erste Option die Pleite, die Insolvenz anstrebt, während wir mit Frank Steinmeier und Peer Steinbrück an der Spitze versuchen wollen, möglichst viele Arbeitsplätze von Opel Deutschland zu retten. Wir müssen auch genau prüfen, welche Möglichkeiten haben wir, wie sehen die Konzepte aus. Das Entscheidende ist aus meiner Sicht, dass wir möglichst alle Arbeitsplätze in Deutschland, in den vier Werken in Deutschland halten.

    Müller: Aber Sie wären dann schon bereit, um die Existenz zu sichern, dann möglicherweise auch auf Teile der Arbeitsplätze zu verzichten?

    Struck: Nein. Ich kenne die Konzepte nicht so wie die Mitglieder der Bundesregierung, weil es auch nicht die Aufgabe des Parlaments ist, bevor die Regierung sich entschieden hat, sich nun einzumischen. Aber ich weiß genau, dass es das oberste Ziel auch des Finanzministers ist, möglichst viele Arbeitsplätze von Opel in Deutschland zu retten. Ob alle gerettet werden können, weiß ich nicht. Ich weiß auch, dass wir jedenfalls, die SPD, an einer Seite mit dem Gesamtbetriebsrat stehen.

    Müller: Jetzt haben wir nicht mehr ganz so viel Zeit, Herr Struck. Dennoch die Frage: Jetzt kommt auch noch Karstadt mit 650 Millionen Bürgschaft. Das ist eine Kette ohne Ende. Wie reagieren Sie darauf?

    Struck: Ja. Ich bin trotzdem dafür, dass wir einen Arbeitsplatz einer Verkäuferin bei Karstadt genauso wichtig bewerten, wie einen Arbeitsplatz eines Arbeiters bei Opel. Auch hier muss geprüft werden, welche Konzepte gibt es für die Zukunft und wie kann man das Unternehmen möglichst erhalten. Das heißt, auch wenn Bürgschaften in Frage stehen, kann man die auch durchaus ernsthaft prüfen und zur Not gewähren, wenn das Konzept stimmt.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, SPD-Fraktionschef Peter Struck. Vielen Dank für das Gespräch.

    Struck: Danke, Herr Müller.

    Müller: Auf Wiederhören.