Freitag, 29. März 2024

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"Sehr großzügig und zum Teil auch etwas beliebig"

Die Vergabe von Ehrendoktoren habe auch etwas mit Eitelkeiten zu tun, meint Peer Pasternak vom Institut für Hochschulforschung Wittenberg. Grundsätzlich müsse angesichts von 20.000 Promotionen an deutschen Universitäten pro Jahr die Fixierung auf akademische Titel überdacht werden.

Peer Pasternack im Gespräch mit Jörg Biesler | 06.03.2013
    Jörg Biesler: Die Universität Lübeck will der ehemaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan die Ehrendoktorwürde verleihen. Noch ist die Verleihung des Doktors ausgesetzt – auf eigenen Wunsch von Annette Schavan, wie die Uni in Lübeck betont. Denn bekanntlich kämpft die CDU-Politikerin gerade vor Gericht um ihren wissenschaftlichen Doktortitel. Begründung für die Ehrendoktorwürde ist unter anderem, dass die damalige Ministerin den Medizinstandort der Uni gerettet habe. Ein Ehrendoktor also aus Dankbarkeit.

    Beispiele für die Praxis der Ehrenpromotion haben wir gerade gesammelt und festgestellt, dass auch Kermit der Frosch einen Doktor honoris causa bekommen hat. Nun ist das eine amerikanische Idee gewesen und ja auch ganz lustig, es fragt sich aber angesichts der Listen der Ehrendoktoren deutscher Universitäten schon, wozu eigentlich diese Auszeichnung dienen soll. Wissenschaftler sind auch unter den Ehrendoktoren, aber auch unzählige Schriftsteller und in- und ausländische Politiker. Kurz vor der Sendung habe ich mit dem Hochschulforscher Peer Pasternak vom Institut für Hochschulforschung Wittenberg gesprochen und ihn gefragt, ob sich eigentlich insgesamt eine Kultur der Vergabe von Ehrenpromotionen in Deutschland erkennen lässt?

    Peer Pasternack: Eine differenzierte Kultur. Also, es gibt, wie Sie schon sagten, auch Wissenschaftler, die ehrenpromoviert werden. Das sind solche Wissenschaftler, die alle sonstigen Auszeichnungen schon erlangt haben, also insbesondere alle sonstigen akademischen Grade schon erlangt haben, und die jetzt praktisch nur noch durch eine Ehrenauszeichnung überhaupt angemessen gewürdigt werden können. Das geschieht dann häufig auch erst in fortgeschrittenem Lebensalter. Daneben gibt es die Kultur oder Unkultur, das ist eine Frage der Bewertung, politische Ehrendoktoren zu verleihen, um es mal so zu sagen. Denn es handelt sich dabei nicht um wissenschaftliche Ehrendoktoren, wenn man Politiker auszeichnet. Dabei wiederum gibt es zwei verschiedene Arten. Die eine kann man als den Dank für Unterstützung kennzeichnen, für Politiker und Politikerinnen, die im Inland – also in der Bundesrepublik selbst oder in einem bestimmten Bundesland – sich um die Ausstattung einer Hochschule verdient gemacht haben, und es gibt, wie man sie nennen könnte, diplomatische Ehrendoktoren, die an ausländische Staatsmänner und Staatsfrauen verliehen werden. Die diplomatischen Ehrenpromotionen gehen häufig gar nicht von der jeweiligen Hochschule aus, sondern werden über die Bundesregierung vermitteln. Und ob man das nun Kultur oder Unkultur nennt: An Kriterien hapert es ein wenig, was die Vergabepraxis zum Teil sehr großzügig und zum Teil auch etwas, finde ich, beliebig macht.

    Biesler: Ja, werten Sie doch mal! Also, wenn man wie im Fall von Annette Schavan auch seitens der Universität Lübeck ganz deutlich sagt, es gab hier das Einschreiten, als die Medizinabteilung bedroht war, durch so einen kleinen Trick, durch ein Hintertürchen hat der Bund quasi die Finanzierung da mit übernommen und wir zeichnen jetzt Frau Schavan mit einem Ehrendoktortitel aus für diese Rettungsaktion: Finden Sie das okay?

    Pasternack: Also, ich finde zunächst mal sehr ehrlich von der Universität Lübeck, dass sie da nicht drum herumredet, was ihre Motive sind. Und sie erweist damit dieser ganzen Debatte durchaus auch einen Dienst, würde ich meinen. Indem sie nämlich sagt: Ja, es gibt diese Art von Ehrenpromotionen, dazu bekennen wir uns, wir als Universität Lübeck haben das ja auch nicht erfunden, aber wir schließen uns hier eine üblichen Praxis an. Für die Universität Lübeck muss man natürlich sehen, was da alles dahintersteckt, nämlich am Ende die langfristige Eigenständigkeit der Universität überhaupt und so weiter. Also, man kann das aus der individuellen Sicht der Einrichtung schon gut verstehen und man sollte es zunächst mal würdigen, dass sie da jetzt keine Nebelkerzen zünden und etwas von wissenschaftlichem Verdienst Annette Schavans erzählen oder so, sondern sagen, nein, das war die Sache mit der Rettung der medizinischen Fakultät. Ganz anders war der Fall, als seinerzeit Hannelore Kohl von der Universität Greifswald die Ehrenpromotion bekommen sollte und es dann zu der großen Peinlichkeit kam, dass, als sie dann nach vielem Hin und Her – also Protesten und Abwiegelung von Protesten – die Ehrenpromotion der medizinischen Fakultät bekam, der Rektor der Universität es sich nicht nehmen ließ, in seiner Glückwunschrede – wobei man Glückwunsch da eher in Anführungsstriche setzen musste – dreimal darauf hinzuweisen, dass diese Ehrenpromotion keine Entscheidung der Universität, sondern eine Entscheidung der Fakultät war, also quasi eine faktische Distanzierung da stattgefunden hat. Und der Hintergrund in dem Falle waren die Verdienste, die Hannelore Kohl im Zuge ihrer gemeinnützigen Stiftung erworben hatte. Das ist damals von der medizinischen Fakultät als wissenschaftliches Verdienst apostrophiert worden und das war sozusagen heikel.

    Biesler: Sie haben ja vorhin schon angedeutet, woher das mit der Ehrenpromotion eigentlich kommt: Es zeichnete ursprünglich mal Wissenschaftler aus, die eigentlich schon jeden akademischen Grad erworben haben und sozusagen jetzt eine besondere Nähe vielleicht zur wissenschaftlichen Gemeinschaft einer bestimmten Fakultät bekommen sollten, indem man sie in den Kreis der dort Promovierten hineinnimmt. Mittlerweile ist es ja häufig auch so, dass die Hochschulen sich selbst quasi auszeichnen, indem sie zum Beispiel Literaturnobelpreisträger zum Ehrendoktor machen. Das ist dann ein schöner akademischer Abend mit einem wahrscheinlich interessanten Vortrag und so ein bisschen Glamourfaktor auch, das kann man noch verstehen. Aber warum ist eigentlich in vielen Kreisen – Sie haben jetzt einige Beispiele genannt – dieser Doktor honoris causa so begehrt?

    Pasternack: Ja, die Frage, die kann man sich in der Tat stellen. Zunächst mal ist er ja überhaupt nichts wert. Wenn ein Literaturnobelpreisträger einen Doktor h.c. hat, dann weiß ja jeder, wie er dazu gekommen ist. Er hat ihn nicht bekommen, bevor er Literaturnobelpreisträger war, jedenfalls in aller Regel, sondern erst danach. Ist ja an sich eine ziemlich peinliche Sache, dass man erst einen Preis bekommen muss, um dann für auszeichnungswürdig durch eine Universitätsfakultät erkannt zu werden. Die Erklärung liegt darin, dass man mit einem Titel Eitelkeiten befriedigen kann, und diese Eitelkeiten sind mit einem akademischen Titel besonders gut zu befriedigen, weil der zum einen ein sehr hohes Sozialprestige genießt und zum anderen nach landläufiger Auffassung, wie man so schön sagt, anredefähig ist. Also, der Doktor darf in den Personalausweis eingetragen werden. Und dieser Umstand, der ist nur erklärbar vor dem Hintergrund einer allgemeinen Titelsucht, wie sie Länder wie Deutschland, Österreich, Tschechien oder Russland kennzeichnet. Man muss sich also die Frage stellen, wenn man etwas grundsätzlicher werden will, ob denn überhaupt diese Fixierung auf Titel jeglicher Art, und dabei insbesondere akademische Titel, eigentlich angemessen ist, ob man da nicht etwas dem entgegensetzen müsste auch vor dem Hintergrund, dass ja durch die Bildungsexpansion 20.000 Doktoren an deutschen Universitäten jedes Jahr promoviert werden! Dann kann man nicht mehr davon sprechen, dass dieser Titel jetzt wirklich was Besonderes darstellt. Also, die Frage nach der allgemeinen Titelsucht ist zu stellen, wenn man nach den Hintergründen des Doktor honoris causa fragt und dessen Beliebtheit.

    Biesler: Professor Dr. – das sei hier gesagt – Peer Pasternack war das vom Institut für Hochschulforschung in Wittenberg. Danke, Herr Pasternack!

    Pasternack: Ja, gerne! Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.