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"Sehr gut | very good"

Eine Rückschau, die eigentlich keine sein will: Der Hamburger Bahnhof in Berlin feiert das Werk des 1997 verstorbenen Künstlers Martin Kippenberger. Die Ausstellung will aber nicht zurückschauen, sondern die Person Kippenbergers erforschen, in all seinen Ambivalenzen: den privaten Kippenberger, den öffentlichen und den Künstler.

Von Carsten Probst | 23.02.2013
    War Martin Kippenberger der Anti-Beuys? Kann das die pauschale Erklärung sein für den zunächst vielleicht grotesk anmutenden Markterfolg, der gleich nach Kippenbergers Tod 1997 in einem Wiener Krankenhaus einsetzte und seinen vorläufigen Höhepunkt 2009 fand, als der französische Sammler Francois Pinault das Gemälde "Paris Bar" bei Christie's in London für 2,9 Millionen Euro ersteigerte, ein Bild, das nicht einmal von Kippenberger selbst gemalt war, sondern in seinem Auftrag vom Filmplakatemaler Götz Valien?

    Der Beginn dieser seltsam steril geratenen Ausstellung in den Rieckhallen des Hamburger Bahnhofs in Berlin legt die Deutung nahe: Kippenberger habe sich als großer Entmystifizierer der Kunst und des Kunstmarktes gesehen, was läge da näher, als die künstlerische Überfigur Beuys möglichst klein zu machen. "Ja ja nee nee" tönt es aus Lautsprechern am Eingang, nicht von Beuys, sondern eben von Kippenberger gesprochen, allerdings in einer Intonation, die eher nach vergreistem Herbergsvater klingt. Auf einem Plakat für die Ausstellung "Sahara - Antisahara" im Kunstverein Rottweil 1982 lässt sich Kippenberger im Beuys’schen Filzanzug fotografieren. Dabei sitzt er auf einer verschneiten Skulptur von Erich Hauser, seines Lehrers an der Hamburger Kunsthochschule, die im Garten der Sammlung Grässlin in St. Georgen aufgestellt ist. Später hat Beuys dieses Plakat selbst signiert und auch noch mit einem Stempel "Wählt die Grünen" versehen, als ob er Kippenbergers Angriff habe neutralisieren wollen.

    In der Ecke desselben Raumes ist dazu demonstrativ die Figur "Martin, ab in die Ecke und schäm dich" platziert, als wäre Kippenberger tatsächlich nichts anderes als ein charmanter, aber irgendwie auch zeitgeistig-nihilistischer Verräter an den Gesetzen der von ihm angeblich so gehassten Kunstgeschichte. Das Gegenteil ist der Fall: Wohin man immer schaut in dieser Ausstellung und in Kippenbergers Arbeit allgemein, quillt sie über von kunsthistorischen Zitaten und Annäherungen. Die Frage: "Wie schreibt man als Künstler Kunstgeschichte?", steht ungeschrieben in fetten Lettern über allem, was Kippenberger angefangen hat – und dazu in Klammern das Selbsteingeständnis, dass er als Künstler nicht aus eigener Kraft an diese historischen Figuren heranzureichen vermag. So nähert er sich in beständiger Banalisierung einem Akt der Respektbezeugung. Beuys' Diktum, jeder Mensch sei ein Künstler, dreht er um in "Jeder Künstler ist ein Mensch". Die Frosch-Kreuzigung. Picasso wird reduziert auf seine großen Unterhosen, die sich Kippenberger vor dem Spiegel über den Bauch zieht, und stellt ihn als historische Figur neben Uwe Seeler und Idi Amin.

    Géricaults "Floß der Medusa" stellt er in gemalten und fotografierten Selbstporträts seines sichtbaren körperlichen Verfalls dar. Beuys und Warhol waren seine Vorbilder, nicht seine Antipoden, wenn es um das Spiel mit den Ökonomien der Aufmerksamkeit geht, die ganze Palette seines Berliner Dienstleistungsbüros, seines beständigen Netzwerkens, seiner unzähligen Kleinausstellungen und Publikationen, seiner Avancen an die Berliner Punkszene, seine Weltreisen – alles läuft immer auf dasselbe Ziel hinaus, präpotent und demütig zugleich am Puls der Zeit zu erscheinen, den Atem der Geschichte zu verkörpern. Dieser Punkt, die Selbstmystifizierung des Künstlers als Impresario, die Fiktionalisierung der eigenen Biografie machen ihn heute noch zu einem Beispiel künstlerischer Selbstbehauptung. Kippenberger besteht nur aus den hunderten Geschichten und Meinungen über sich, die er selber angestiftet hat, und genau dadurch spiegelt er ein immer noch gültiges künstlerisches Bewusstsein. Über ihn lässt sich alles und nichts sagen.

    Diese Berliner Ausstellung will ganz bewusst keine Retrospektive sein. Konsequenterweise gibt es auch keinen Katalog, das ist weise. Retrospektive bedeutet Abschluss, kanonische Ansichten – das kann eine Ausstellung Kippenbergers ebenso wenig liefern wie Kippenberger selbst. Stattdessen verspricht sie, den privaten Kippenberger zu zeigen, den Kippi, über den doch alle so lustige Anekdoten erzählen. Aber "den" privaten Kippenberger gibt es ebenso nur als Selbsterfindung und Fiktion des Künstlers wie den Künstler selbst. Der erstaunlich auseinandergezogene Parcours mit dreihundert Ausstellungsstücken mutet dagegen wie eine sterile Bestandsaufnahme an - als ob ein Museum sich selbst dabei zuschaut, wie es Geschichte schreibt. Das hätte Kippenberger vielleicht selbst gefreut, im Namen Uwe Seelers und Idi Amins - aber wen sonst?

    Weiterführende Informationen zur Ausstellung auf der Homepage des Hamburger Bahnhof