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Seid verschlungen, Millionen

Deutschland ist Winterwunderland. Jedenfalls belegen seine Athleten bei Olympischen Winterspielen in der Regel Platz eins in der Medaillenstatistik. Doch Sporterfolge müssen teuer bezahlt werden. Versuche zu ermitteln, wie teuer Sportmedaillen tatsächlich sind, enden in der Regel im undurchdringlichen Dickicht von Bundes-, Landes und Kommunalförderung sowie in verwirrenden Mischfinanzierungen.

Von Thomas Purschke und Fred Kowasch | 31.01.2010
    Im thüringischen Wintersportzentrum Oberhof wurde im August 2009 die modernste Skilanglaufhalle der Welt eingeweiht mit einer Loipe, die fast zwei Kilometer lang ist. Zur Freude der Biathleten und Skilangläufer, die jetzt auch im Hochsommer quasi vor der Haustür unter winterlichen Bedingungen trainieren können. Für den Bau des 14 Millionen teuren Projektes wurden sechs Hektar Fichtenwald abgeholzt. Die Skihalle ist ein Prestigeprojekt, finanziert und subventioniert aus Steuereinnahmen, dazu ökologisch hoch umstritten.

    Der deutsche Steuerzahler alimentiert den deutschen Spitzensport mit seinen Wettkampf- und Trainingsanlagen mit vielen Millionen Euro. Muss das so sein? Ist der Aufwand angemessen? Diese und ähnliche Fragen werden öffentlich nur selten gestellt.

    Ein Millionengrab als Erbe eines wahnsinnigen Spitzensport-Wettrüstens ist die Skisprung-Großschanze in Klingenthal in Sachsen, die sogenannte Vogtlandarena, die im Jahr 2006 eingeweiht wurde. Die Kosten für die Anlage im Grenzgebiet zu Tschechien sind mittlerweile auf über 17 Millionen Euro gestiegen, die Finanzierung erfolgt auch in diesem Fall durch öffentliche Gelder. Konzipiert wurde das Bauwerk einmal als deutsch-tschechisches Sport- und Begegnungszentrum. Dafür wurden EU-Fördergelder beantragt und genehmigt.

    Der Landrat des Vogtlandkreises Tassilo Lenk erklärte bei der Grundsteinlegung im Jahr 2004:

    "Über diesen neuen grenzenlosen Raum, die Tschechen sind dazu gekommen, haben wir natürlich auch Mittel gefunden, um dieses Angebot Europas - wir wollen zusammen wachsen - eben auch im sportlichen Teil, so zu aktivieren dass diese wundervolle Infrastruktur, diese einmalige in der Profilgebung in Europa einmalige Schanze nun entstehen wird."

    Über zehn Millionen Euro hat die EU für dieses Bauprojekt ausgegeben. Für eine Skisprungschanze, auf der ein einziges Weltcupspringen pro Jahr stattfindet. Doch was ursprünglich als europäisches Musterprojekt gedacht war, erwies sich bald als Millionengrab, für das letztendlich der deutsche Steuerzahler zur Kasse gebeten wurde. Die gesamte von der EU zur Verfügung gestellte Summe musste zurück überwiesen werden. Knut Schreiter vom Bund der Steuerzahler in Sachsen sagte dazu im WDR-Fernsehmagazin "sport inside":

    "Zunächst war also hier eine Nachwuchs-Schanze geplant eines deutsch-tschechischen Begegnungszentrums. Leider ist das nie mit Leben so richtig erfüllt worden. Und insofern hat auch, berechtigterweise, die Europäische Union die Fördermittel zurückgefordert. Und wäre der Freistaat Sachsen nicht eingesprungen, wäre also diese Maßnahme der Ruin für den Vogtlandkreis gewesen. Schlecht geplant, schlecht gemacht und das Konzept ist auch nicht stimmig. Hier fehlen die notwendigen Veranstaltungen, um dieses Projekt profitabel zu gestalten."

    Ortswechsel: Die Rodel- und Bob-Bahn im bayerischen Königssee. Weil dort im nächsten Jahr die Bob-Weltmeisterschaft stattfinden soll - und 2018 vielleicht die olympischen Bob- und Rodelwettbewerbe - wird jetzt kräftig umgebaut und investiert. Der Chef der seit 1969 bestehenden Kunsteisbahn Königssee Markus Aschauer erklärt:

    "Investitionsbedarf ist derzeit bei 22 Millionen Euro netto. Dieser wird zum größten Teil aus dem Konjunkturpaket zwei gedeckt. Da gibt’s bei uns eine Kostendeckelung. Wir dürfen die Kosten auf keinen Fall überschreiten und müssen die ganzen Baumaßnahmen bis Ende des Jahres 2011 abschließen."

    Das sind nur zwei Beispiele einer fragwürdigen kostenintensiven Spitzensport-Subventionierung in Deutschland. Selten stehen solche Projekte in der Kritik, der Sport scheint in dem Verteilungskampf, der um ihn herum tobt, nahezu sakrosankt. Ein Kritiker dieser Praxis ist der Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen in Bayern, Ludwig Hartmann:

    "Es ist erst erstaunlich, wie schnell da Steuergeld ausgegeben wird. Zum Beispiel aus dem Kulturprogramm fließen 55 Millionen in Spitzensportanlagen. Eishalle Inzell, in die Bobbahn am Königssee 22 Millionen. Und wenn man es damit vergleicht: In Oberbayern hat nur jede dritte Schule im Konjunkturprogramm einen Zuschlag bekommen, um ihr Gebäude zu sanieren. Also in Bayern sind faktisch die Spitzensportanlagen mehr wert, als faktisch die Schulsanierung. Und das finde ich erstaunlich."

    Königssee ist eine von insgesamt vier Bob- und Rodelbahnen auf dem Gebiet der Bundesrepublik. So viele leistet sich sonst kein Land der Welt. Von den 15 Bahnen in ganz Europa steht mehr als ein Viertel in der Bundesrepublik. Vier Bahnen – im Westteil Königssee und Winterberg, im östlichen Deutschland Oberhof und Altenberg in Sachsen. Es ist ein Erbe der deutschen Teilung: Vier Eisbahnen für insgesamt gerade mal 160 Athleten, die den Schlitten- und Bobsport professionell betreiben.

    Der bayerische Landtagsabgeordnete Ludwig Hartmann von den Grünen:

    "Für mich ist ganz klar, für so eine Randsportart, dass da ein paar Leute Bob fahren - kann man nicht mehrere Anlagen in einem Land unterhalten. Man müsste sich eigentlich darauf einigen: es gibt nur einen Standort, den man dann faktisch dementsprechend unterhält. Aber es kann nicht sein, dass man faktisch Konkurrenzstandorte im eigenen Land, faktisch vom gleichen betreibt. Das kann ja nicht funktionieren. Und dann müsste man ganz offen zu mancher Region sagen: hier gibt es kein Geld mehr. Wir haben uns auf einen Standort geeinigt, wo noch Geld rein fließt, aber dann auch, es ist gut damit."

    Die Sportfunktionäre sehen das natürlich ganz anders. Der Präsident des deutschen Bob- und Schlittenverbandes, Andreas Trautvetter, war mal Landesminister in Thüringen, nun sind ihm als Lobbyisten des Sports die öffentlichen Finanzen offenkundig nachrangig:

    "Da kann man viel sinnieren: Brauchen wir vier? Es gibt auch einen Bundesrechnungshofbericht, der hat mal sämtliche Trainingsfahrten aufaddiert und hat gesagt: das könnt ihr auch auf einer Bahn machen. Aber wenn ich mich nicht in der Breite, in allen Regionen, stark aufstelle, dann kriege ich die Leistungsstärke nicht hin."

    Vor 14 Tagen beim Rodel-Weltcup in Oberhof gewannen die deutschen Starter in sämtlichen Disziplinen alle Medaillen. Spötter bezeichneten das Spektakel als "Offene deutsche Meisterschaften". Die Teilnehmer aus den anderen Nationen mutierten zu Statisten. 500.000 Euro im Jahr kostet es, eine Bahn wie in Oberhof zu unterhalten. Macht zwei Millionen für vier Bahnen, nur an Betriebskosten. Die Unterhaltskosten für die Skihalle in Oberhof werden auf jährlich 700.000 Euro veranschlagt. Der Bund hält sich nach seiner Anschubfinanzierung aus den Folgekosten heraus; für die müssen der Freistaat Thüringen bzw. seine Steuerzahler geradestehen, und die hat nie einer gefragt, ob sie für diese fragwürdigen Sportprojekte in die Tasche greifen wollen.

    Die Frage ist grundsätzlicher Art. Wie viel sind dem Bundesbürger Sportmedaillen wert, wenn deren Finanzierung immer teurer wird, zugleich aber die sozialen Lasten weiter steigen und wesentliche Gesellschaftsaufgaben wie Bildung und Forschung an finanzieller Auszehrung leiden.