Donnerstag, 25. April 2024

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Seit 50 Jahren Nabu-Aktion "Vogel des Jahres"
PR-Stunt für den Artenschutz

Das Rotkehlchen ist der "Vogel des Jahres" 2021 – und damit der * 51. Gewinner dieses Titels: im Frühjahr 1971 kürte der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) erstmals eine Art zum "Vogel des Jahres", um auf ihre Gefährdung aufmerksam zu machen. An Kandidaten mangelt es auch 50 Jahre später nicht.

Von Monika Seynsche | 22.03.2021
    Die späten 1960er-Jahre waren eine düstere Zeit für Wanderfalken. Die großen Greifvögel litten unter Umweltgiften wie DDT, das die Schalen ihrer Eier brüchig werden und so ihre Brut sterben ließ. Und sie wurden vor allem von Falknern erbittert gejagt, erinnert sich Lars Lachmann vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu):
    "Der Wanderfalke hatte wirklich nur noch eine Handvoll Brutpaare in Deutschland. Die mussten teilweise rund um die Uhr bewacht werden, weil auch noch Falkner gerne junge Falken aus den Nestern geholt haben, um sie dann zur Falknerei abzurichten. Und deswegen gab's eben diese Bewachungsaktionen."


    1971 entschied der Naturschutzbund in Baden-Württemberg deshalb, den Wanderfalken zum ersten "Vogel des Jahres" zu wählen. Durch viele Aktionen, Vorträge und Veröffentlichungen machten die Umweltschützer ein ganzes Jahr lang aufmerksam auf die Probleme dieser Art. Mit Erfolg. Sämtliche Greifvögel wurden gesetzlich geschützt, die Jagd auf sie verboten.

    "Und gleichzeitig wurde DDT, also dieses Insektengift, verboten, und die Eier sind nicht mehr kaputtgegangen bei den Greifvögeln, und durch diesen Schutz hat sich die Population erholt, und wir haben inzwischen ein Vielfaches der Wanderfalkenbestände in Deutschland wieder, ich glaube, wir sind jetzt bei etwa 1500, 1700 Brutpaaren. Und das ist natürlich eine ganz tolle Erholung. Und dazu beigetragen hat garantiert, dass der Wanderfalke 1971 zum 'Vogel des Jahres' erklärt wurde und seine Problematik in der Öffentlichkeit bekannter geworden ist."
    Ein erwachsener Wanderfalke (Falco Peregrinus) fliegt am 16.05.2013 über der City von Leipzig (Sachsen)
    Ein Wanderfalke fliegt munter über Leipzig. Die lange akut bedrohte Art war 1971 Preisträger im ersten Wettbewerb "Vogel des Jahres" (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)

    Vogelarten als Symbole für Naturschutzthemen

    Aufgrund des großen Erfolges 1971 entschloss sich der Nabu, von nun an jedes Jahr eine Art zum "Vogel des Jahres" zu küren. Oft sind es gefährdete Arten, oder solche, die Symbol für ein bestimmtes Naturschutzthema sind. Auf den Wanderfalken folgten der Steinkauz, der Eisvogel, die Mehlschwalbe. Wolfgang Fiedler ist Vogelforscher am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell. Seiner Ansicht nach hat die Aktion "Vogel des Jahres" in den vergangenen 50 Jahren für den Naturschutz viel gebracht:
    "Es ist mit Sicherheit viel einfacher, gerade auch zunehmend komplexe Probleme, wie wir sie heute haben, also Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung oder so was, an einer Vogelart festzumachen und zu sagen, der Kiebitz nimmt ab, als lang zu erklären, warum jetzt die Wiesenlandschaft sich bei uns verändert. Und da ist diese 'Vogel des Jahres'-Aktion mit Sicherheit ganz wertvoll gewesen. Und dass es eine gute Idee war, sieht man ja auch daran, dass wir heute alle möglichen 'Tiere und Pflanzen des Jahres' haben, also da sind auch andere neben den Vogelschützern darauf gekommen, dass das ein gutes Vehikel ist."
    Ein Weißstorch (Ciconia ciconia) sucht in einer Wiese im Spreewald nach Nahrung 
    Spreewald - Störche finden immer weniger Frösche
    Die Artenvielfalt im Spreewald südlich von Berlin ist laut einer Erhebung des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) zufolge in großer Gefahr. Manche Arten seien um 90 Prozent zurückgegangen. Besonders Weißstörche finden immer weniger Futter.
    Der Weißstorch war zweimal "Vogel des Jahres", 1984 und 1994. Heute brüten in Deutschland mehr als doppelt so viele Weißstörche wie damals. Sie wurden unter Schutz gestellt, werden nicht mehr vergiftet, und die Jagd auf sie ist verboten. Dadurch haben sich auch weitere, gerade große Vogelarten erholt. Vielen ganz anderen Arten aber geht es heute wesentlich schlechter als vor 50 Jahren, so Lars Lachmann;

    "Heute haben bei uns vor allem eher kleinere Vogelarten ein Problem. Insbesondere solche Vogelarten, die eigentlich überall vorkommen sollten, die eigentlich flächendeckend verbreitet sein müssten, aber in unserer Normallandschaft keine Möglichkeit zum Überleben mehr haben. Das sind dann Arten wie die Feldlerche zum Beispiel, oder der Kiebitz, die früher überall vorgekommen sind, die jetzt aber zum Teil nur noch in Schutzgebieten überleben können. Das ist also das Problem, was wir im Moment haben, dass einfach die Landschaftsqualität sehr stark nachgelassen hat, insbesondere in der Agrarlandschaft."

    Wilderei bleibt ein Problem

    Felder werden immer intensiver bewirtschaftet, Brachflächen fallen weg, genauso wie Hecken und Feldränder. Dadurch verlieren viele Vogelarten ihren Lebensraum und ihre Nahrung. Denn in den Feldern selbst können die Vögel nicht überleben. Die Landmaschinen zerstören ihre Nester, Pestizide und Dünger vernichten Insekten und Sämereien. Und gerade Zugvögel leiden darüber hinaus bis heute unter Wilderei, etwa in Süd- und Westeuropa, sagt Wolfgang Fiedler:
    "Ganz besonders besorgniserregend sind ganz sicher solche Arten, die weit wandern und dabei sowohl Lebensraumverlust als auch Jagddruck aushalten müssen, also da ist die Turteltaube zum Beispiel eine Art, da gehört mit Sicherheit auch der Ortolan hin, das ist eine Ammern-Art, die heute fast keiner mehr kennt, die früher sehr häufig war. Die werden einerseits noch intensiv bejagt, andererseits ziehen sie in Gebiete, wo einfach auch im Winter immer weniger Lebensraum da ist, in Westafrika."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Artenschutz - "Die Bedrohung zieht sich quer durch die Tierwelt"
    In Deutschland ist die Zahl der Vogelarten und Insekten in den letzten drei Jahrzehnten dramatisch gesunken. Ein Trend, der sich auch weltweit fortsetzt. Einer der Gründe ist unser Konsum von Luxusgütern, berichtet Daniela Freyer, Wildtier-Expertin bei der Organisation Pro Wildlife.
    Denn auch dort fallen Brachflächen und damit Lebensraum weg. Und die Situation der Vögel wird in Zukunft nicht besser werden, denn mit dem Klimawandel und dem sich verändernden Nahrungsangebot wartet gerade eine neue Gefahr auf sie.
    * Ursprünglich wurde im Teaser eine falsche Gewinneranzahl genannt.