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Selbstbestimmtes Sterben
Die Kontroverse um den assistierten Suizid

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben – so ein entscheidendes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Februar 2020. Aber ein neues Regelwerk, wie dieses Recht umzusetzen ist, wurde mit dem Urteil nicht implementiert. Die Ärzteschaft ist in dieser Gewissensfrage gespalten.

Von Birgit Augustin | 16.12.2020
Wasserglas, Kreuz, Tabletten und Spritze auf einem schwarz-weißen Foto.
Es kommt weder auf Krankheit noch auf Alter an: Der Wunsch eines Sterbewilligen gilt, ein Regelwerk dazu aber fehlt (imago / Christian Ohde)
"Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und – soweit sie angeboten wird - in Anspruch zu nehmen."
Andreas Voßkuhle, der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zur Begründung eines Urteils, das im Februar dieses Jahres hohe Wellen schlug. Unmissverständlich entschieden die Verfassungsrichter: Der Wunsch eines Sterbewilligen gilt - unabhängig von gesellschaftlichen Leitbildern, religiösen Geboten – und sogar - "objektiver Vernünftigkeit".
"Wir mögen seinen Beschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen. Wir müssen seine freie Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren."
Patient in einem Krankenbett, jemand hält seine Hand
Urteil in Karlsruhe - Verbot der "geschäftsmäßigen Sterbehilfe" ist verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat die aktuelle Regelung zur Sterbehilfe gekippt. Genau geht es um das Verbot der "gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung".
Die Karlsruher Richter erklärten damit den 2015 ins Strafgesetzbuch aufgenommenen Paragraphen 217 für nichtig. Der hatte die geschäftsmäßige, auf Wiederholung angelegte, Förderung des Suizids unter Strafe gestellt, wie sie vor allem gegen Geld von Sterbehilfevereinen angeboten wurde. Aber auch schwerstkranke Menschen und Ärzte sahen sich durch den Paragraphen in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Berufsfreiheit eingeschränkt.

Mitgliederzahl der "Sterbehilfe" hat sich fast verdoppelt

Einer der Kläger war Roger Kusch. Ehemaliger Hamburger Justizsenator und Vorstandspräsident des Vereins "Sterbehilfe". Dass das Bundesverfassungsgericht den Strafrechtsparagraphen 217 kassierte, war für Kusch wie ein Weihnachtsgeschenk.
"Weil das Verfassungsgericht über unseren Antrag hinausgegangen ist. Wir hatten den Antrag gestellt, dass Paragraph 217 für nichtig erklärt wird. Das wurde so beschlossen. Das könnte man als hundertprozentigen Erfolg unserer Verfassungsbeschwerde bezeichnen. Und darüber hinaus hat das Verfassungsgericht sich geäußert zu der Basis des Selbstbestimmungsrechts, insbesondere zu diesem markigen Satz, es komme weder auf Krankheit noch auf Alter an. Mit diesen zwei Themen hatten wir uns in unserer Beschwerde gar nicht beschäftigt."
Seit der Urteilsverkündung im Februar hat sich die Anzahl der Mitglieder des Vereins "Sterbehilfe" fast verdoppelt – von 400 auf nunmehr 700. Dabei hat die Hilfe zum Suizid einen stattlichen Preis: 2.000 Euro kostet die lebenslange Mitgliedschaft. Wer grünes Licht für seinen Sterbewunsch will, zahlt einen zusätzlichen Betrag zwischen zweitausend und 9.000 Euro – je nachdem, wie schnell es gehen soll. 70 Menschen haben sich nach Angaben Kuschs seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Hilfe des Vereins bisher das Leben genommen.
Roger Kusch nimmt seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts beim Thema Suizid ein "höheres Maß an Gelassenheit in der Öffentlichkeit" wahr – und forderte im Sommer die Betreiber von Alten- und Pflegeheimen auf, ihre Hausordnungen so zu ändern, dass Sterbehelfer künftig problemlos Zugang zu einem Sterbewilligen im Haus bekämen. Kusch wollte eine Erklärung:
"Wie sie diese Sache handhaben. Und auch den Mitgliedern gegenüber, nein, in dieser Situation überhaupt alten Menschen gegenüber, mit offenen Karten spielen, wie sie das Selbstbestimmungsrecht garantieren oder verwirklichen."

Ärzte sollen Sterbewunsch beurteilen

Jochen Taupitz sind solche Sterbehilfevereine ein Dorn im Auge. Der Mannheimer Jurist – ein Experte für Gesundheitsrecht und Medizinethik – hat zusammen mit drei anderen Wissenschaftlern einen ausformulierten Gesetzesvorschlag vorgelegt, wie eine Regelung aussehen könnte, die sicherstellt, dass nur frei und selbstverantwortlich handelnde Menschen Beihilfe zum Suizid bekommen – unbeeinflusst von Zwang oder Drohungen Dritter. Jochen Taupitz sieht in allererster Linie die Ärzte dazu berufen, das zu beurteilen.
"Einmal, weil sie die Einwilligungsfähigkeit eines Patienten tagtäglich zu überprüfen haben in ihrer Praxis, denken Sie an Jugendliche, denken Sie an betagte Menschen, da stellt sich immer die Frage, ob dieser Mensch für sich selbst eigenverantwortlich entscheiden und handeln kann oder ob nicht ein Vertreter für ihn entscheiden muss."
Hinzu komme: Ärzte würden die Wirkung sowie die notwendige Dosis der entsprechenden Medikamente genau einschätzen und verordnen können, so dass die Menschen keinen qualvollen Tod erleiden müssten.
"Und drittens, und das ist besonders wichtig: Ärzte sind in der Lage, die Personen lebensorientiert über ihren Zustand, über die Aussichten und auch über mögliche Handlungsalternativen zur Selbsttötung aufzuklären."

Reifliche Überlegung oder Lebenskrise?

Nach dieser Vorlage sollen zwei Ärzte dem Sterbewilligen im Abstand von zehn Tagen unabhängig voneinander bescheinigen, dass sein Wunsch auf reiflicher Überlegung beruht - und nicht Ausdruck einer akuten Lebenskrise oder einer psychischen Störung ist. Einer der beiden Ärzte soll über psychiatrische, psychotherapeutische oder psychosomatische Fachkenntnisse verfügen. Und: Ärzte, die Beihilfe zur Selbsttötung leisten wollen, sollen weder mit dem Strafgesetz noch mit ihrer Berufsordnung in Konflikt kommen.
"Ich bin nicht der Auffassung, dass die Suizid-Beihilfe eine ärztliche Aufgabe ist, im Sinne einer Pflichtaufgabe. Und in unserem Gesetzesvorschlag sagen wir auch ganz ausdrücklich, dass niemand zu einer Beihilfe zur Selbsttötung verpflichtet ist. Es ist eine Gewissensentscheidung des einzelnen Arztes. Aber es ist eine andere Frage, ob man von einer Aufgabe einerseits spricht, also von einer Verpflichtung. Oder ob auf der anderen Seite ein Recht des einzelnen Arztes besteht, solche Beihilfe zum Suizid durchzuführen. Wenn er sie denn mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren kann. Für diese Freiheit plädieren wir."
"Ärztinnen und Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten." So steht es derzeit in der Muster-Berufsordnung der Bundesärztekammer. Rechtlich bindend ist die zwar nicht. Aber von den 17 Landesärztekammern – in Nordrhein-Westfalen haben die Landesteile Nordrhein und Westfalen-Lippe eigenständige Ärztekammern – haben zehn das strenge Verbot übernommen. Damit ist es für deren Mitglieder bindend. Wer ihm zuwiderhandelt, muss im schlimmsten Fall mit dem Verlust seiner ärztlichen Zulassung rechnen. Das, sagt Klaus Reinhardt, Vorsitzender der Bundesärztekammer, könne so nicht stehenbleiben.

Keine ärztliche Aufgabe, dem Tod zu helfen

"Wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass der Staat vor Verfassungshintergrund keine Berechtigung hat anderen Menschen die Hilfe zur Selbsttötung zu untersagen, gesetzlich und das unter Strafe zu stellen, dann können wir das mittelbar in unserer Muster-Berufsordnung, die eine untergesetzliche Norm ist, eigentlich auch nicht."
Im kommenden Mai will der Deutsche Ärztetag das Thema diskutieren. Gut denkbar, dass sich die Mehrheit dafür entscheidet, den kategorischen Passus über das Verbot der Hilfe zur Selbsttötung zu streichen. Die grundsätzliche Haltung aber, sagt Klaus Reinhardt, bleibe.
"Dass wir es eben nicht als ärztliche Aufgabe sehen, dem Tod zu helfen, sondern, dass wir dem Leben verpflichtet sind. Es gibt Kolleginnen und Kollegin, die haben Angst, wenn dieser Satz fiele, dass der Grundethos unseres Berufes dadurch unter Umständen in eine Schieflage geriete."
Die Ärzteschaft ist in dieser grundlegenden Gewissensfrage gespalten. Der Wittener Palliativmediziner Matthias Thöns glaubt, dass etwa 30 Prozent seiner Kolleginnen und Kollegen bereit sind, ihren Patienten im Falle eines Selbsttötungswunsches zu helfen. Auch er gehört dazu. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, sagt Thöns, sei bei ihm in der Praxis wieder alles auf "normal" geschaltet.
"Das heißt, ich kann meinen schwerkranken Patienten ganz normal die Notfallmedikamente, also auch hochdosiert Morphium aufschreiben, auch bei den Patienten, die mal mit vorzeitigen Sterbewünschen auf mich zukommen, und muss keine Angst haben, dass mich hinterher die Staatsanwaltschaft verfolgt, wenn die Patienten das mal selten einnehmen, um das Leben zu verkürzen."

Patienten möchten einen "Notausgang"

Einmal stand die Polizei bereits mit einem Durchsuchungsbeschluss in seiner Praxis. Das war Ende 2015, kurz nach dem Beschluss des Bundestages, die geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen. Einer von Thöns Patienten hatte sich das Leben genommen, wohl aus Angst, dass der Palliativmediziner ihm unter der neuen Gesetzeslage nicht mehr helfen würde. Anklage wurde damals nicht erhoben.
Symbolbild für Sterbehilfe
Recht auf Suizid und Sterbehilfe - Selbstbestimmung bis in den Tod
Egal wie alt, wie jung, wie reich oder arm, wie krank oder gesund – wer lebensmüde ist, hat das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung. So hat es das Verfassungsgericht im Februar entschieden.
Nun, seit keine Strafen mehr drohen, ist es für Mediziner wie Matthias Thöns wieder einfacher, über das Thema Suizid zu sprechen.
"Meine Patienten möchten einfach nur um diesen Notausgang wissen, dass der prinzipiell möglich wäre. Die meisten nutzen den ja gar nicht. Ich habe vielleicht eine Suizidbegleitung nur einmal im Jahr bei 400 Patienten. Das ist eine totale Rarität, dass sie das wollen. Aber dass Menschen es gut finden, diese Möglichkeit überhaupt zu haben, das habe ich oft."
Im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel führt Maja Falckenberg durch die hellen Räume ihrer Schmerzambulanz. Neben den Behandlungsräumen gibt es mehrere Zimmer für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Palliativteams. Hier werden Hausbesuche dokumentiert und Tabletten bestellt. Denn: Neben der Betreuung von schwer kranken Menschen muss auch die Büroarbeit erledigt werden. Das Team arbeitet eng mit dem gegenüberliegenden Krankenhaus zusammen, mal wird palliative Versorgung zu Hause organisiert, mal auf einer Station nebenan. Oder im Hospiz. Der Wunsch, sein Leben vorzeitig zu beenden, sagt Palliativmedizinerin Maja Falckenberg, werde häufig an sie herangetragen. Wichtig sei es dann, den Sterbewilligen Perspektiven für ihr Lebensende aufzuzeigen.
"Dass wir ihm Sicherheit geben können, dass wir die Beschwerden, wie Luftnot oder gastrointestinale Beschwerden deutlich lindern können. Und dass wir ihm auch anbieten, eine Sedierung am Lebensende durchzuführen. Für Stunden, für Tage. Und das ist eine große Beruhigung für Patienten, so dass sie von diesem akuten Wunsch "Ich will eigentlich keinen Tag mehr länger leben" wieder Abstand nehmen können."

Schwierig: den Sterbewunsch bewerten

Dass sie selbst einem Sterbewilligen ein todbringendes Medikament besorgt oder zur Verfügung stellt, ist für Maja Falckenberg unvorstellbar. Symptomlinderung – ja. Aber keine "Leidpille". Das sei eine Grenzüberschreitung.
"Es ist ein deutlicher Unterschied, ob ich lebenserhaltende Maßnahmen einschränke, also ein Beatmungsgerät reduziere, abstelle, auf Patientenwunsch eine Ernährung reduziere, abstelle, oder ob ich ein Medikament zur Verfügung stelle, das dann unmittelbar zum Tod führt. Also diese Zielsetzung ist anders."
Die Mehrheit der deutschen Medizinerinnen und Mediziner sieht Hilfe zum Suizid nicht als ärztliche Aufgabe an. Aber ebenso klar ist, dass es Regeln geben muss, wie ein Mensch, der sterben möchte, diesen Wunsch verwirklichen kann.
Symbolbild zum Thema Sterbehilfe.
Paragraf 217 - Palliativmediziner uneins über Sterbehilfe
Das Bundesverfassungsgericht hatte das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe im Februar aufgehoben. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin warnt vor der Normalisierung der Suizidbeihilfe.
"Also unser Dilemma ist so ein bisschen, dass wir sagen: Es muss dringend was geregelt werden. Aber wie, um Gottes Willen?"
Sagt Lukas Radbruch, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Ärzte sollten zwar eingebunden sein, um zu überprüfen, ob es nicht Alternativen zum Suizid gebe – oder eine schwere Depression vorliege, die den Selbsttötungswunsch auslöse – aber wie konkret das dann vonstatten gehen solle, klagt Lukas Radbruch, dafür gebe es noch gar keine Handhabe.
"Das nächste Dilemma, was wir haben ist, dass das Bundesverfassungsgericht klar gesagt hat, man darf die Motivation ja eigentlich nicht infrage stellen. Also egal, was da jemand als Motivation nennt. Also auch der 18-Jährige, der sagt, der Liebeskummer ist so schlimm, ich möchte mich gerne töten. Da darf ich jetzt nicht sagen: Das reicht mir nicht aus. Das ist nicht ernsthaft genug. Die Motivation darf laut Bundesverfassungsgericht nicht bewertet werden. Aber ich soll die Ernsthaftigkeit bewerten. Und ich weiß nicht, wie das gehen soll."

Der Gesetzgeber ist gefragt

Das Bundesverfassungsgericht hat den Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches nichtig erklärt – aber damit noch kein neues Regelwerk implementiert. Das wäre Aufgabe des Gesetzgebers. Das Bundesministerium für Gesundheit hat einige Monate nach dem Urteil Fachgesellschaften, Verbände, Kirchen und Sachverständige aufgefordert, ihre Expertise einzubringen. Doch in einer aktuellen schriftlichen Stellungnahme des Ministeriums gegenüber dem Deutschlandfunk heißt es:
"Die Prüfung gesetzgeberischen Handlungsbedarfs ist noch nicht abgeschlossen. Eine Positionierung der Bundesregierung über das Ob und Wie einer möglichen Neuregelung der Suizidhilfe liegt noch nicht vor.""
Fast neun Monate nach dem Richterspruch aus Karlsruhe: Keine Festlegung seitens des Ministeriums. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr wirft Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Verschleppungstaktik vor.
"Im Gesundheitsministerium will man einfach so, so nehme ich das wahr, das Thema mit immer neuen Argumenten nicht auf die Tagesordnung setzen, weiter verschleppen und die Betroffenen da nicht unterstützen."
Das Bundesgesundheitsministerium lässt durchblicken, dass man darauf wartet, dass das Parlament konkrete Vorschläge macht. Bislang wirbt vor allem Katrin Helling-Plahr für ein liberales Sterbehilfegesetz und versucht, Mitglieder anderer Fraktionen ins Boot zu holen. Ein solches Gesetz, sagt die FDP-Frau, solle das Recht auf einen selbstbestimmten Tod ernst nehmen. Aber auch Maßnahmen verankern, die sicherstellen, dass derjenige, der sich für den Freitod entscheidet, tatsächlich selbstbestimmt handele. Dass ein Arzt das tödliche Medikament verschreiben muss, ist weitgehend unstrittig. Aber wie sichert man diese Entscheidung ab? Die FDP-Abgeordnete Helling-Plahr plädiert für staatliche Einrichtungen, nach dem Vorbild der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen:
"Ich glaube, dass soziale Beratung, die ja auch zu erfolgen hat, wenn jemand überlegt, sterben zu wollen, weil er nicht weiß, wie es finanziell weitergehen kann, weil er organisatorisch vielleicht überfordert ist bei dem Weg in ein Pflegeheim, dann sind das Punkte, die meines Erachtens nicht zwingend zu einer ärztlichen Beratung gehören, da vielleicht auch gar nicht so sehr hinpassen. Insofern hielte ich ein breites Angebot einer Beratungsstelle dafür passender."

Todbringende Medikamente werden nicht ausgehändigt

Nach der Prüfung des Sterbewunsches auf Freiwilligkeit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit wäre dem Sterbewilligen dann auf Rezept in der Apotheke das todbringende Medikament auszuhändigen. So der Vorschlag von Katrin Helling-Plahr. Gut 200 Menschen mit Sterbewunsch haben in den vergangenen Jahren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einen Antrag auf Herausgabe von Natrium-Pentobarbital gestellt – alle wurden abgelehnt. Im Jahr 2017 allerdings urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig: Im extremen Einzelfall dürfe der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht, nicht verwehren.
Doch an der Herausgabepraxis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte hat sich seither nichts geändert. Das Urteil des höchsten deutschen Verwaltungsgerichtes gilt nur für den Einzelfall – nicht für andere, gleichgelagerte Fälle. Juristisch sei das korrekt, sagt Jochen Taupitz, der Mannheimer Medizinrechtler, politisch aber fragwürdig.
"Das ist eine Frage, ob man sich einer Auffassung eines höchsten deutschen Gerichtes nun widersetzt. Und ich finde es eigentlich skandalös, dass, so wie es jetzt die Praxis ist, andere Betroffene wieder vor das Gericht ziehen müssen, wieder den ganzen Instanzenzug durchlaufen müssen, um dann letztendlich zu ihrem Recht zu kommen."
Denn kurz nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wies Gesundheitsminister Jens Spahn zudem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte an, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu berücksichtigen und auch bei ähnlich gelagerten Fällen die Anträge von Suizidwilligen abzulehnen. Ein Skandal, findet die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr.
"Es findet sogar noch so eine Art Show-Prüfung dort statt, wo also Unterlagen beigebracht werden sollen und so weiter. Aber eigentlich mit der geklärten Situation, dass hinterher alle Anträge abgelehnt werden. Die Betroffenen strengen seit 2017 Gerichtsverfahren an. Wir reden hier ja auch über schwer und unheilbar Kranke in einer besonderen Notlage, so hat es das Bundesverwaltungsgericht genannt. Das heißt, Personen, denen ein langer Rechtsweg, ein Zuwarten eigentlich überhaupt nicht zumutbar ist. Insofern halte ich das, was Minister Spahn da macht, für unhaltbar und absolut herzlos."

Ärzte bei Sterbewünschen im rechtlichen Vakuum

Kein Gesetzentwurf aus dem Ministerium, keine konkreten Vorschläge aus dem Parlament – in diesem rechtlichen Vakuum müssen Ärztinnen und Ärzte mit den Sterbewünschen ihrer Patienten umgehen. Und sich selbst Regeln ausdenken, wie die Hilfe zum Suizid organisiert werden soll. Auch wenn sie, wie Lukas Radbruch, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, sich daran eigentlich gar nicht beteiligen wollen.
"Die Frage ist nur: Wie leicht macht man es den Leuten, also muss man ihnen wirklich das Ganze schon auf den Nachttisch legen? Oder am besten aus dem Automaten verteilen, oder so? Oder wie groß macht man die Hürden, die davor sind? Das ist das eine. Das zweite ist: Wir normal finden wir das? Also ist das die absolute seltene Ausnahme, die man sozusagen als letzte Option vielleicht noch aus der Tasche ziehen kann? Oder sagen wir: Das ist einfach ein Angebot wie jedes andere auch?"
Hilfe zum Suizid als ärztliche Dienstleistung mit Gebührenziffer – das wird kommen, fürchtet auch Maja Falckenberg, die Hamburger Palliativmedizinerin. Ihr ist das alles zu "mechanisiert".
"Wir müssen Leute ausbilden, wir müssen prüfen, wir müssen eine Abrechnungsmöglichkeit dafür finden, all solche Dinge werden folgen. Ich finde das eigentlich unvorstellbar. Ich finde das gruselig, also dieses Thema Sterben so zu organisieren. Und ich glaube, das ist auch nicht wirklich das, was Menschen wollen."

Diskussion um selbstbestimmtes Sterben hat begonnen

Die Palliativmedizinerin plädiert für mehr Fürsorge seitens der Ärzte – und weniger Autonomie des Patienten in letzten Dingen.
Matthias Thöns, Palliativmediziner, aufgenommen in seiner Praxis
Palliativmediziner Thöns - "Der Wille steht über der Lebensrettung"
Der Palliativarzt Matthias Thöns gehört zu den Personen, die Verfassungsbeschwerde gegen Paragraf 217 eingelegt hatten. Derzeit würden Schwerkranke geradezu "zum Leben genötigt" sagt er.
Der Wittener Palliativmediziner Matthias Thöns dagegen fordert, sich der Thematik des assistierten Suizids nicht zu verschließen, sondern die künftigen Regelungen aktiv mitzugestalten.
"Ich glaube, wir Ärzte sind gut beraten, wenn wir selber Standards und Regeln, also Leitlinien und Handreichungen machen. Also es gibt ja durchaus einen nennenswerten Anteil an Ärzten, ungefähr 30 Prozent, die dem Thema offen gegenüberstehen, und da gibt es durchaus aktive Runden, die schon dabei sind, Handreichungen zu erstellen."
Denn zurzeit gilt: Hilfe zum Suizid, auch geschäftsmäßige, ist nicht strafbar. Während Ärztinnen und Ärzte sich mit der Formulierung von Regeln schwertun, kündigt Roger Kusch vom Verein Sterbehilfe bereits an, erneut vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen, sollte es zu einem Gesetz kommen, das nur Ärzten Sterbehilfe erlaubt.
‚Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.‘ So hat es das Bundesverfassungsgericht im Februar postuliert. Doch wie dieses verfassungsmäßig verbriefte Recht konkret umzusetzen ist – diese Diskussion hat gerade erst begonnen.