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Selbstdarstellung und Voyerismus

Anfangs Modephänomen beherrschen die sozialen Netzwerke inzwischen nicht nur das World Wide Web, sondern sie beeinflussen auch immer stärker unser Denken und Handeln. Doch je mächtiger Facebook und Co werden, desto wichtiger ist eine Debatte über Freiheit, Transparenz und Privatsphäre.

Von Helga Spannhake | 08.05.2012
    "Welcome to the internet my friend."

    "12:17 Petition unterschrieben. 12:21 Kaffee geholt”

    "Ich kann nicht nachvollziehen, wie man so was reinstellen kann. Ich frag mich auch, wer den Unsinn lesen soll. Ich denke ganz klar, muss man sich immer überlegen, was hat das für Konsequenzen."

    Eine hemmungslose Informations-Diarrhöe überschwemmt das Netz - gehört für viele da nicht hin. Aber wieso eigentlich veröffentlichen Menschen so viel Belangloses über sich? Andrea "Princess" Wardzichowski vom Chaos Computer Club Stuttgart ist seit den 90er-Jahren im World Wide Web unterwegs und meint:

    "Es ist einmal die Selbstdarstellung. Es ist einfach was ganz Menschliches, dass man auch mal berühmt sein möchte. Und auf der anderen Seite bedient es natürlich auch den Voyeurismus."

    Der Internet-Smalltalk über eigene Befindlichkeiten scheint bei vielen Usern aber doch gut anzukommen, Frank Gärtner vom Film und Medienkulturförderverein Wand 5 erlebt dass immer wieder:

    "Interessanterweise sind gerade diese Meldungen, grad auf Facebook bekommen dann erstaunlich viel Zuspruch und likes und Kommentare."

    Kein Wunder, denn emotional sind uns die frustrierten Alltagshelden mit ihren Befindlichkeiten nun mal sympathischer als erfolgsverwöhnte Strahlemänner. Außerdem: In den endlosen Weiten des Webs sind wir scheinbar unerkannt, oft nur mit Nick Name, unterwegs. Da chatten wir viel intimer, als wir je von Angesicht zu Angesicht mit Freunden reden würden. Wir geben locker sensible Daten von uns Preis und glauben sie gut verwahrt. - Für Andrea "Princess" Wardzichowski gilt vor jeglichem Einstellen von Infos immer die Wichtigkeitsfrage:

    "Will ich das morgen noch lesen? Soll das meine Familie lesen? Soll das der Arbeitgeber lesen? Man hat immer so im Kopf ich schreibe das jetzt für meine Freunde da rein, aber man schreibt es für das gesamte Netz rein. Also, dieses Begrenzen auf einen bestimmten Kreis, das findet einfach nicht statt. Und das kann ich auch in den ganzen Communitys mit sämtlichen Sicherheitseinstellungen und Privatheits-Einstellungen eigentlich nicht herstellen. Denn spätestens bei der Community ist alles gespeichert und kann natürlich früher oder später dort, auch ja wieder rausleaken."

    Denn das Netz vergisst nichts:

    "Es ist so, dass ich heutzutage eine Webseite betreibe und einen Blog. Das tue ich letzten Endes damit meine heutigen Artikel, Veröffentlichungen und Vorträge schneller gefunden werden, als meine Jugendsünden. Denn als ich ins Netz gekommen bin, war noch lange nicht absehbar, dass das jemals für jedermann zugreifbar sein würde."

    Ob wir es wollen, oder nicht: Bei jedem Besuch im Web hinterlassen wir nicht löschbare digitale Spuren, sind im Zweifel darüber auffindbar und auch verletzbarer geworden:

    "Dass Dinge über mich veröffentlicht werden, die nicht autorisiert sind, die nicht von mir kommen, oder die mir untergeschoben werden. Ich denke, da werden wir in nächster Zukunft noch Probleme mit haben."

    Probleme bereiten auch die sogenannten Trolls. Viele User sind sich sicher: Diese provokativen Störenfriede, die im Netz ihr Unwesen treiben, gehören da nicht hin. Designer Stefan Krappitz allerdings hat seine Diplomarbeit über die Kultur des Trollens geschrieben und sieht das inzwischen ganz anders:

    "Ich denke, dass das Trollen einfach ein nicht wegzudenkender Part der Gesellschaft ist. Es ist auch älter als das Internet selber. Viele Trolls bezeichnen zum Beispiel Sokrates als den ersten Troll. Bei Diogenes aus der Tonne könnt man sich auch überlegen, dass er ein Troll war. Wie er da auf dem Marktplatz in der Tonne gelebt hat und teilweise auf Kritiker uriniert hat. Heutzutage bietet Trollen auch ein künstlerisches, ein politisches Potenzial."

    Das Internet ist eben Tummelplatz für Menschen aller Couleur. Den schmalen Grat zwischen sinnvoller Veröffentlichung und allzu Privatem im Netz muss dabei jeder für sich selbst ausloten.

    "Now existing windows – have a nice day."