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Selbstdisziplin kombiniert mit musikalischer Reife und jeder Menge Wut

Iggy Pop, Punkikone, Anarchist, Rebell und Rock-Provokateur, hat gemeinsam mit The Stooges ein neues Album herausgebracht. Altersmilde sucht man vergeblich: Die Texte und Lieder wettern gegen skrupellose Wirtschaftsbosse, religiöse Fanatiker und Waffennarren.

Von Marcel Anders | 27.04.2013
    "Ich fühle mich genauso delinquent wie eh und je. Und habe immer noch dieselbe unkorrekte Attitüde. Von daher wird es kaum passieren, dass ich plötzlich sage: 'Ich bin jetzt 66, also muss ich nett zu kleinen Kindern sein.' Ich denke eher, dass ich mich langsam in ein Reptil verwandle. Ich öffne meinen Mund, und wenn du deinen Fuß rein hältst, beiße ich zu. Wobei es mir völlig egal ist, ob das richtig oder falsch ist. Ich fresse dich trotzdem."

    Iggy Pop hat sich kein bisschen verändert. Auch, wenn er inzwischen eine dicke Brille zu schicken Designer-Anzügen trägt und in noblen Hotels residiert: In seinem tiefsten Inneren ist der Godfather of Punk immer noch Anarchist, Rebell und Rock-Provokateur. Mit den legendären Stooges hat er seit 2003 wieder genau die Band um sich, die in den späten 60ern und frühen 70ern Meilensteine wie "Funhouse" oder "Raw Power" schuf. Und bis auch heute kein bisschen altersmilde ist. Im Gegenteil: Mit James Williamson, der den verstorbenen Ron Asheton ersetzt, präsentiert sich das Trio als fiese Rentner-Gang, die Rock 'n roll spielt und lebt:

    "Eigentlich hat sich keiner in der Band grundlegend verändert. Es ist nur so, dass wir alle etwas ruhiger und cooler geworden sind. Früher hatten wir zum Beispiel ziemliche Drogenprobleme. Und selbst wenn wir immer noch nicht komplett dagegen sind, ein bisschen vernünftiger sind wir schon. Wir arbeiten zum Bespiel nicht mehr, wenn wir high sind. Denn genau daran sind wir in den 70ern gescheitert."

    Selbstdisziplin kombiniert mit musikalischer Reife und jeder Menge Wut. Eine Mischung, die die Stooges erst richtig gefährlich macht. Und für ein Album sorgt, dessen Titel wie pure Ironie wirkt. Denn "Ready To Die", bereit zu sterben, ist dieser unverwüstliche Haufen noch lange nicht. Dafür klingen die Songs, die zwischen heftigem Garagenrock und akustischen Balladen pendeln, einfach zu frisch. Und auch die Texte haben es in sich: Da wettert Iggy gegen skrupellose Wirtschaftsbosse, religiöse Fanatiker und Waffennarren. Womit er die USA ihrer Doppelmoral und Scheinheiligkeit überführt."

    "Hier spielt an einem Abend Aerosmith, am nächsten tritt der Dalai Lama auf. Dann kommt Madonna oder die Antifada hält eine Spendengala ab. Das ist das heutige Amerika. Und was die Leute unter einem lustigen Wochenende verstehen. Nämlich ein bisschen Porno, ein Stripklub, ein paar fiese Drinks, ein wenig S&M. Also verrückt – total verrückt."

    Klare Worte, die der Mann aus Michigan mit unmissverständlichen Bekenntnissen zu Abenteuer, Freiheit, Selbstverwirklichung und Ausleben der eigenen Sexualität würzt. Etwa im Stück "DDs", das sich als Liebeserklärung an üppige Oberweiten à la Russ Meyer versteht, und auf launige Weise zeigt, dass Iggy Pop auch nach fünf Dekaden Musikgeschäft fernab des Mainstream und der schönen, strahlenden Promi-Welt agiert. Mehr noch: Er ist immer noch Underground, Sub-Kultur und Überlebenskünstler.

    "Im Vergleich zu anderen Rockstars lebe ich seit Jahren mit einem ziemlich überschaubaren Vermögen. Denn die einzigen Leute, die ich wirklich mag, sind arm. Was ein Problem ist. Denn mit so vielen armen Freunden werde ich nie reich. Einfach, weil sie mir die ganze Kohle klauen."

    Kein Wunder, dass Iggy noch nicht an die Rente und den Rückzug ins Sonnenparadies Miami denkt. Momentan tourt er durch Australien, Japan und die USA. Im Sommer kommt er nach Europa. Mit einem Programm, das neben neuen Stücken auch das dritte und zwischenzeitlich letzte Album der Stooges umfasst: "Raw Power" von 1973. Damals produziert von David Bowie, mit dem Pop eine lange Männerfreundschaft verbindet. Die – so sagt er – inzwischen merklich abgekühlt sei.

    "Wir sind keine Kumpel, die zusammen fischen gehen. Wir hatten mal etwas gemeinsam und haben es immer noch - weil wir etliche Songs geschrieben haben. Ansonsten führen wir unterschiedliche Leben mit unterschiedlichen Ansprüchen. Was nicht heißt, dass es irgendwelche Ressentiments gibt. Ich habe nur keinen Grund, mit ihm in Kontakt zu treten. Und ich denke, dass es Bowie genauso geht. Er macht andere Sachen, bewegt sich in anderen Kreisen, denkt anders und lebt in einer anderen Stadt. Es ist einfach etwas Anderes."

    Auch musikalisch. Denn im Vergleich zu Bowies "The Next Day" wirken Iggy und die Stooges kein bisschen melancholisch und sentimental, vergehen sich nicht an Selbstzitaten, und legen ein Spätwerk vor, dem man das Alter seiner Macher so gar nicht anhört.