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Selbstständigen-WG in Hamburg
Im Büro schlafen war gestern

"Selbst" und "ständig" - in Hamburg gibt es eine Wohngemeinschaft von Selbstständigen, die zwischen Zuhause und Büro ganz bewusst gar nicht mehr unterscheiden. "CoLiving" nennen sie ihr Wohnmodell, in dem sie einander helfen und beruflich aufeinander aufpassen.

Von Laura-Nadin Naue | 14.11.2017
    Zwei Studenten kochen zusammen in einer WG-Küche
    Konferenzraum/Küche: In der CoLiving-WG in Hamburg praktizieren Theresa Grotendorst und ihre Mitbewohner eine Art betreutes Wohnen für Selbstständige. Hier leben sie, arbeiten sie und helfen einander bei ihren Jobs und Startups. (Ute Grabowsky / imago)
    Theresa Grotendorst kocht Spaghetti mit Tomatenpesto, es ist Mittagszeit in der Hamburger CoLiving-WG. Ihr Mitbewohner Manuel Dingemann möchte helfen.
    Manuel: Und Theresa, hast du schon alles geschafft für heute?
    Theresa: Alles? Nein.
    Manuel: Woran arbeitest du denn gerade?
    Manuel Dingemann produziert Videos für nachhaltige Unternehmen, Theresa Grotendorst ist Trainerin für Medienkompetenz. Was andere in der Kantine besprechen, geschieht in dieser Wohnung am Küchentisch.
    "Maßnahme zur Förderung von Selbstständigkeit"
    "CoLiving" nennen sie ihr Projekt. Es bedeutet: Leben und Arbeiten in einer Wohnung. Ein Vorbild dafür befindet sich unter anderem im Silicon Valley. In Deutschland hingegen ist "CoLiving" neu. Natalie Richter begeisterte die Idee vom Zusammenleben und –Arbeiten mit anderen Gründern sofort, sie lebt von Beginn an in der WG, ebenso wie Manuel Dingemann:
    Theresa Grotendorst: "Das steckt einen an, man will selber Weiterkommen. Man fängt auch an, mehr an sich zu glauben, auch mal stärke Risiken vielleicht einzugehen. Weil man einfachen ein Umfeld hat von Menschen, die ähnlich ticken wie man selber."
    Manuel: "Es ist eine Maßnahme zur Förderung von Selbstständigkeit. Und eine recht effektive."
    Nur einer der Bewohner arbeitet festangestellt, die anderen sind selbstständig: Als Videoproduzent, Cutterin, Vermittlerin für Medienkompetenz, Startup-Gründerin. In der CoLiving-WG teilen sich die Bewohner ihre Sorgen. Das sei unter Existenzgründern nicht selbstverständlich, sagt Theresa Grotendorst:
    "Von den wirklichen schlimmen Momenten und in den Phasen in denen man zweifelt, von denen erzählt natürlich niemand. Und das ist toll, dass auch solche Momente hier geteilt werden können. Weil dadurch, dass wir uns so lange begleiten und ein stückweit aufeinander aufpassen und einfach die Entwicklung auch mitgehen, können wir auch uns in diesen Phasen irgendwie auffangen und bereichern. Weil es ist halt nicht immer alles Sonnenschein."
    "Ohne die WG würde mein Startup nicht mehr existieren"
    Rückschläge gehören zum Gründen. Auf den sogenannten "Fuck-Up-Nights" erzählen Unternehmer zwar vom Scheitern – doch bis sie vor dem Publikum stehen, haben sie die Hürden bereits gemeistert. Theresa Grotendorst:
    "Da stellt sich keiner hin, der auf der Bühne heult und sagt 'ich bin am Boden zerstört'. Sondern da stellen sich Leute hin, die im Nachhinein drüber lachen können, das irgendetwas schief gelaufen ist. Aber in dem Zeitpunkt, wo es ihnen schlecht ging, oder wo etwas nicht geklappt hat, zu dem Zeitpunkt hatten sie vielleicht kein Auffangbecken."
    Die Mitbewohner der "CoLiving-WG" verbinde Freundschaft, darum könnten sie sich offen und ehrlich austauschen, sagt Natalie Richter. Sie hat erfahren, wie wichtig die Gespräche sind. Die junge Frau führt ein StartUp für sortenreinen Apfelsaft, zunächst gemeinsam mit einer Mitgründerin. Doch der setzte das Startup-Leben zu, es wurde ihr zu viel. Ihre Partnerin sprang ab. Und Natalie Richter musste sich entscheiden: Könnte sie das Projekt auch alleine schaffen?
    "Und da haben eben meine Mitbewohner ganz eng dann bei mir gestanden und sich mit mir ausgetauscht nicht per se du musst weitermachen sondern mit mir genauer erörtert was ist das für was ist das wieder. (...) Zu gucken was es für mich als Mensch das Beste und weil sie mich so gut kennen können sie hat auch sagen, was das Beste ist. Oder zu was ich selber vielleicht auch fähig bin, wo ich mir an mich glauben sollte. Und das hat mir total weitergeholfen am Ende die Kraft zu finden weiter zu machen. (…) wenn ich die WG nicht gehabt hätte, dann würde mein Startup heute nicht mehr existieren."
    Die Selbstständigen unterstützen sich gegenseitig
    Was das Konzept von anderen Wohngemeinschaften unterscheidet: Die sechs leben nicht nur miteinander, sondern sie unterstützen sich gegenseitig bei der Arbeit, wenn jemand Hilfe braucht.
    Musik, "Yeah, Hoppe Reiter". Sofia Kats und Manuel Dingemann gucken auf dem Laptop einen Film. Die "Hoppe-Reiter", zwei Personen mit einem Mofa, verteilen Getränke bei den Harley Days.
    Manuel: "Sehr gute Musikauswahl."
    Sofia: "Dankeschön"
    Den Film haben Manuel Dingemann und Sofia Kats gemeinsam gedreht und geschnitten, für das Startup von Natalie Richter. Sie sind spontan eingesprungen, nachdem die eigentlichen Helfer ausgefallen waren. Die gegenseitige Hilfe ist hier selbstverständlich:
    "Ich glaube, dass ich hier eben sehr viele Freunde gefunden habe auf die ich immer zählen kann. Und die auch nicht weg sein werden, wenn jemand mal von uns hier ausziehen wird. Weil das einfach so eine prägende Phase und Zeit ist durch die wir hier gemeinsam gehen, dass das ein total zusammenschweißt. Und deshalb ist es für mich ein bisschen wie Familie."
    Ihre Festanstellung hat sie gekündigt
    Erst ein paar Monaten wohnt Sofia Kats in der WG, ihre Festanstellung hat sie gekündigt. Nun hilft ihr Manuel Dingemann, indem er seine Mitbewohnerin in eigene Video-Projekte einbezieht. Gemeinsam besprechen sie, wie sie ihre Kalkulation aufstellen und welches Honorar angemessen ist. Und so entsteht für Sofia Kats Stück für Stück eine neue Existenz in der "Co-Living"-WG.