Dienstag, 19. März 2024

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Selbstwahrnehmung bei Tieren
Putzerfische erkennen sich im Spiegel

Putzerfische haben mehr geistige Fähigkeiten als angenommen. Das hat ein internationales Forscherteam herausgefunden. Die Fische erkennen ein Spiegelbild als Abbild ihrer selbst. Ob sie sich dabei ihrer selbst bewusst sind, sei fraglich, sagt Verhaltensforscher Frans de Waal, Emory University Atlanta, im Dlf.

Frans de Waal im Gespräch mit Lennart Pyritz | 08.02.2019
    Ein Grauer Doktorfisch wird am australischen Great Barrier Reef von einem Putzerfisch gereinigt.
    Ein Grauer Doktorfisch wird am australischen Great Barrier Reef von einem Putzerfisch gereinigt. (imago / OceanPhoto)
    Lennart Pyritz: Stellen Sie sich vor, jemand würde Ihnen unbemerkt einen roten Punkt auf die Stirn malen und Ihnen dann einen Spiegel vorhalten. Würden Sie versuchen, den Farbklecks auf dem Spiegelbild zu berühren oder auf ihrer eigenen Stirn? Vermutlich Letzteres, weil wir schon mit etwa zwei Jahren begreifen, dass wir im Spiegel unser eigenes Abbild sehen. Genau dieses Experiment wurde auch schon mit Affen, Elefanten und Vögeln durchgeführt, um auf deren Selbstwahrnehmung oder Ichbewusstsein zu schließen. Jetzt berichtet ein Team im Fachmagazin "PLOS Biology", dass auch Fische im sogenannten Spiegeltest erstaunlich gut abschneiden. Der Verhaltensforscher Frans de Waal von der Emory University in Atlanta hat den Test in der Vergangenheit mit Affen und Elefanten durchgeführt und einen Kommentar zur Studie geschrieben. Über seine Einschätzungen haben wir vor der Sendung am Telefon gesprochen. Ich habe ihn zuerst gefragt, was in der Vergangenheit klassischerweise unter Selbstwahrnehmung oder Ich-Bewusstsein bei Mensch und Tier verstanden wurde?
    Frans de Waal: Das hat alles angefangen mit dem Spiegeltest. Man hat gefunden, dass Schimpansen sich selbst erkennen im Spiegel, aber die meisten anderen Tiere nicht, und dann gab es eine Theorie, dass nur Menschen und die Menschenaffen, eine Gruppe Tiere, Selbsterkennung hatten und also selbst Kenntnis hatten. Die letzten 50 Jahre hat es sehr viele Provokationen gegeben, weil sehr viele Wissenschaftler nicht einig sind mit diesem Schwarzweiß-Unterschied zwischen Arten.
    Spiegeltest zur Selbstwahrnehmung
    Pyritz: Sie haben jetzt schon das klassische Experiment zur Selbstwahrnehmung genannt, den Spiegeltest. Können Sie ganz kurz beschreiben, wie der abläuft?
    de Waal: Der Spiegeltest, man setzt eine visuelle Markierung auf den Kopf, meistens auf den Kopf, eines Tiers, die das Tier nicht sehen kann ohne Spiegel. Dann introduziert man den Spiegel, und dann sieht man, ob das Tier eine Verbindung macht zwischen der Marke, die sie sehen im Spiegel und ihrem eigenen Körper, und wenn sie das machen, sagt man, die haben eine Spiegel-Selbsterkenntnis.
    Pyritz: Kinder können das in der Regel mit spätestens zwei Jahren. An welchen Tieren wurde denn dieser Spiegeltest bislang durchgeführt und welche haben den bestanden sozusagen?
    de Waal: Es hat angefangen mit Menschenaffen, also bei Menschen und Menschenaffen gibt es die Selbsterkenntnis, und nachher hat es sehr viele Versuche gegeben mit sehr vielen Arten wie Kleinaffen und Hunden. Es gibt nur drei andere Arten, die erste: die Delfine und der asiatische Elefant, die es gemacht haben. Allen anderen Arten ist es nicht gelungen, den Spiegeltest zu machen.
    Pyritz: Versuche dazu, Spiegeltests mit Menschenaffen und auch asiatischen Elefanten haben Sie ja selbst auch durchgeführt. Dieser Spiegeltest wurde nun auch mit Fischen, genauer: mit Putzerfischen durchgeführt. Wie ist diese Studie abgelaufen? Fische haben ja keine Hände oder keinen Rüssel, keine Krallen, mit denen sie sich selbst kratzen oder anfassen können.
    "Fische kratzen sich an Steinen"
    de Waal: Dass sie keine Hände haben, ist ein Problem natürlich. Das war auch ein Problem mit den Delfinen, aber die Delfine haben sehr variable Verhalten gezeigt, wenn sie markiert waren, mit dem Spiegel, aber die Fische haben nur eine Handlung: das ist das … How do you call self-scraping?
    Pyritz: Sie kratzen sich an Steinen oder am Rand.
    de Waal: Ja, das haben die gemacht, und das ist nur eine spezifische Handlung, die die machen, und die Diskussion ist natürlich auch, was bedeutet das – ist das wirklich dasselbe wie sich selbst berühren, wie es ein Schimpanse macht und so weiter.
    Pyritz: Also diese Fische …
    de Waal: Und ein Problem des Spiegeltests mit den Fischen ist, dass es schwierig ist, das Verhalten zu interpretieren.
    Pyritz: Da würde ich jetzt gleich noch drauf kommen. Also um das noch mal kurz zusammenzufassen: Diese Putzerfische, die sozusagen auch eine Markierung bekommen haben, die sie nur im Spiegel sehen konnten, haben dann versucht, diese Markierung an sich selbst abzukratzen oder abzureiben.
    de Waal: Ja.
    Pyritz: Und daran entbrennt jetzt die Diskussion. Deutet das darauf hin, dass Fische in ihrer Selbstwahrnehmung uns und Menschenaffen näher sind als gedacht, oder taugt dieser Spiegeltest nicht wirklich, um ein Ichbewusstsein bei verschiedenen Tieren aufzuspüren?
    de Waal: Es gibt zwei Sachen mit dem Fischtest. Eins ist, dass das Verhalten sehr beschränkt ist, und das Zweite ist, dass man keine Markierung auf einen Fisch machen kann, ohne eine Irritation zu machen.
    Pyritz: Die bemerken, dass sie markiert werden, die Fische.
    de Waal: Ja, es ist eine Markierung, die nicht nur visuell ist. Weil es unter der Haut ist, dass sie das machen, gibt es eine Irritation. Wir wissen von Experimenten an kleineren Affen wie Makaken, dass sie normalerweise nicht den Spiegeltest machen, aber wenn man eine Markierung macht, die die fühlen können, können die das machen. Also das Gefühl kombiniert mit der visuellen Markierung, das hilft den Kleinaffen, den Spiegeltest zu machen.
    Auch Tiere brauchen ein Selbstbewusstsein
    Pyritz: Also Sie sehen diese Ergebnisse zu den Fischen und dem Spiegeltest durchaus kritisch. Sie haben vorhin trotzdem gesagt, dass man eventuell von diesem Schwarzweißdenken weggekommen muss, also dass Bewusstsein keine Frage von Schwarz und Weiß ist, da oder nicht.
    de Waal: Ja, das Wichtige dieser Experimente ist, dass wir jetzt wieder eine Diskussion haben werden, was ist das eigentlich, Selbsterkennung, was ist eigentlich Selbstbewusstsein. Es gibt eine Gruppe, die sagt, das ist Schwarzweiß, es gibt nur einige Tiere, die sind wie wir, die können den Spiegeltest machen, die sind selbstbewusst, und alle anderen Tiere haben es nicht, kein Selbstbewusstsein. Das ist für einen Biologen sehr schwierig zu sehen, wie das möglich sein wird. Ich glaube auch, dass das Selbstbewusstsein, eine Selbstidentität jedes Tier braucht. Jedes Tier soll wissen, wie es ist in der physischen Umgebung, aber auch soziale Umgebung. Ohne Selbstbewusstsein, ich glaube nicht, dass sie leben können.
    Pyritz: Führt das nicht auch zu der Frage, ob unsere menschlichen Experimente immer dazu taugen, das Selbstbewusstsein, die Selbsterfahrung anderer Lebewesen nachzuvollziehen?
    de Waal: Es ist eine sehr schwierige Frage, was Selbstbewusstsein ist. Man weiß nicht, was es ist. Auch die Philosophen wissen nicht, was es ist. Es ist für uns sehr intuitiv, den Spiegeltest zu machen, weil wir sehen uns selber jeden Tag im Spiegel, und für uns ist das auch eine Reflexion auf uns selber und so weiter, aber wenn man etwas tiefergeht, verstehen wir nicht ganz, was da geschieht und was das zu tun hat mit Selbstbewusstsein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.