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Semperoper
Schönbergs Oper „Moses und Aron“ klingt schön in Dresden

Die Saison an der Semperoper unter dem neuen Intendanten, Peter Theiler, wurde mit Schönbergs Oper „Moses und Aron“ eröffnet. Auch wenn die Inszenierung von Calixto Bieito unseren Kritiker nicht gänzlich überzeugte, das Orchester und sein Dirigent Alan Gilbert leisteten Großes.

Von Stefan Zednik | 01.10.2018
    Der Komponist Arnold Schönberg (1874-1951) beim Dirigieren des Rundfunk Sinfonie Orchesters Berlin. Undatierte Aufnahme.
    Der Komponist Arnold Schönberg (1874-1951) beim Dirigieren (picture-alliance / dpa / APA Publications Arnold Schönberg Center)
    Intendant Peter Theiler: "Für mich ist jede künstlerische Äußerung seit dem Altertum im Grunde genommen immer eine Stellungnahme zu Problemen des Menschen in seinem gesellschaftlichen Kontext und ich habe Kunst nie anders verstehen können. Auch Musik nicht. Ich denke wir sind in einer Zeit der Umbrüche, der Ängste, der Verunsicherungen, auch der Unzufriedenen, ich denke das muss man alles mit aufnehmen und in seine Arbeit mit einfließen lassen, das gehört zum Alltag."
    Meint Semperoper-Intendant Peter Theiler. Eine Positionierung gegen das beliebte, auch von den in Dresden zahlreichen Touristen gern gesehene Operntheater alten Stils? Zwei Stellschrauben bieten sich für jeden Intendanten, die Stückauswahl und die Art der Inszenierung. Bei beiden wagt Theiler einiges, auch wenn das Eröffnungsstück beinahe 90 Jahre alt ist.
    "Mit Moses und Aron denke ich sind wir sicher mit dem richtigen Stück zur richtigen Zeit, weil da geht es ja um die Verfälschung des Worts und der Wahrheit und die Mechanismen auch der Verführung beispielsweise oder die Suche nach ganz einfachen Lösungen nach geradezu populistischen Lösungen."
    Moses wird von Gott beauftragt, das Volk Israel auf den einen Gott einzuschwören und aus der ägyptischen Knechtschaft zu befreien. Doch er fühlt sich der Aufgabe nicht gewachsen, bezweifelt vor allem seine rhetorischen Fähigkeiten, und so stellt Gott ihm Moses’ sprachgewandten Bruder Aron zur Seite. Es entsteht eine mehrfache Abhängigkeit: Moses empfängt die reinen Gedanken Gottes, Aron muss die empfangenen Gedanken dem Volk vermitteln, das Volk soll glauben und folgen.
    "Der Chor," so der spanische Regisseur Calixto Bieito," das sind wir, das Volk. Wir sind manipulierbar und haben Angst, den Halt zu verlieren. In der Oper entwickelt sich im Kampf um das Volk ein scharfer, am Ende tödlicher Konflikt. Der von Schönberg nicht mehr komponierte dritte Akt erzählt vom überlegenen Moses und dem gefangenen Aron, der schließlich sterben muss."
    Ersten beiden Akte werden inszeniert
    Das Dresdner Team zeigt nur die beiden ersten, fertig komponierten Akte. Man blickt in einen schmutzig-weißen Bühnenkasten, aus rohen Brettern gezimmert, hinten begrenzt durch eine bühnenbreit ansteigende Rampe. Moses ist allein, ein grauhaariger Mann im Anzug, von Bass John Tomlinson, dem ehemaligen Bayreuther Wotan mit großer Bühnenpräsenz und beeindruckender rhythmischer Präzision gestaltet.
    Dann tritt Aron auf, der Bruder, der Stellvertreter, der Diener. Die Partie ist für Tenor geschrieben, auch hier setzt Schönberg mit musikalischen Mitteln ein Zeichen. Aron soll "schön" klingen, durch Klang überzeugen, was dem Sänger Lance Ryan vor allem in den lyrischen Momenten gut, in den dramatischen weniger gut gelingt. Hier ist die jahrelange Belastung seiner Stimme durch Wagner’sche Heldenpartien unüberhörbar.
    Auch Aron erscheint im Anzug, ein Manager mit Krawatte und Einstecktuch. Er bildet schon äußerlich einen Kontrast zu dem in Fabrikarbeiteroutfit gekleideten Volk. Doch während Moses sich seiner Business-Kleidung teilweise entledigt, sich anzupassen sucht, bewahrt zunächst Aron die Form, die äußere Erscheinung. Beide, als ökonomische und intellektuelle Elite, haben die Aufgabe, das Volk zu führen, und das heißt: ihm einen Sinn zu geben.
    Zwischen Pornografie, roher Gewalt und Ego-Shooter-Spiel
    Die Frage nach dem Sinn, die Frage nach der Religion – Calixto Bieito scheint den Gläubigen um seine Gewissheit zu beneiden. Doch was ergibt sich aus dieser zweifelnden Frage? Bieito, der auch durch radikale, mitunter verstörend gewalttätige Exzesse auf der Opernbühne bekannt wurde, hat es hier mit einem Werk zu tun, das schon vom Libretto her voll rohester Gewalt ist: Totschlag, kollektiver Selbstmord, freiwillige Selbstopferung, alles auf offener Bühne. Höhepunkt ist die Szene um das goldene Kalb: Moses hat sich auf den Berg zu Gott zurückgezogen, Aron kann die zweifelnden Massen nicht mehr halten und gibt ihnen ihre alten Götter zurück. Das Kalb ist bei Bieito ein Homunkulus, der vom Menschen geschaffene Maschinenmensch, zudem werden Virtual-Reality-Brillen verteilt. Das Volk nutzt die schicken Brillen, und als Projektionen sehen wir verpixelte Traumbilder, zunächst harmlos. Doch sie verwandeln sich in einen LSD-artigen Bilder-Rausch, der sich zwischen Pornografie, roher Gewalt und Ego-Shooter-Spiel bewegt.
    Ansonsten verweigert Bieito die Bilder: Keine Schlange, keine sich selbst heilenden Hände, kein brennender Dornbusch, kein machtvoller Mosestab. Die Gesetzestafeln schrumpfen zum Taschenkalender. So stellt sich der Regisseur, auch wenn man Arons Nöte durchaus miterleben kann, letztlich auf die Seite des bilderfeindlichen Propheten. Eine immerhin klare Positionierung, die man auch anders entscheiden kann. Der Filmemacher Jean-Marie Straub etwa stellte in seiner legendären Verfilmung der Oper klar heraus, was Moses in der biblischen Geschichte auch ist: ein Massenmörder.
    Nur halbherzige, oberflächliche Antworten von Bieito
    So verweigert sich die Produktion leider dem komplexen Problem, um das es in der Oper letztlich geht. Ist es besser, moralisch "sauber" ins Himmelreich zu streben oder pragmatisch "unrein" im Irdischen zu verharren? Fundamentalismus oder Pragmatismus? Bieito ist gerade im theatralischen Nachdenken über Fragen aus dem Grenzbereich von Moral und Metaphysik ein ausgewiesener Spezialist. In Dresden aber gelingen ihm nur halbherzige, oberflächliche Antworten.
    Ein Wunder dagegen ist es, diese komplizierte und mitunter als konstruiert geschmähte Musik durch die Sächsische Staatskapelle zu erleben. Dass das Orchester präzise spielen kann, ist bekannt, doch dass es seine an der Orchestersprache von Richard Strauss geschulte Klangschönheit derartig in den Dienst Schönbergs zu stellen vermag, ist betörend. Nie musiziert es dabei nur in den eigenen Klang verliebt, nie vernebelt dieser die Struktur der Musik. Das Orchester und sein Dirigent Alan Gilbert leisten damit wahrhaft Großes, denn sie beweisen: Diese Musik klingt schön.