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Senioren sind erst zu dick, dann zu dünn

Zu viel Fleisch und Fett und zu wenig Flüssigkeit: Eine Untersuchung stellt gravierende Mängel bei der Ernährung von Pflegebedürftigen fest. Das ungesunde Essen erhöht das Risiko von Stürzen und die Sterblichkeit.

Von Michael Engel | 02.04.2013
    Viele Senioren essen nicht gesund
    Viele Senioren essen nicht gesund (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Viele Seniorinnen und Senioren werden von ihren Angehörigen in puncto Essen falsch versorgt. Das ist das Ergebnis einer Befragung von 345 Haushalten in Bonn, Paderborn und Nürnberg. 33 Prozent der Pflegebedürftigen hatten einen Bodymass-Index von über 30. Das ist "Fettsucht" und damit gesundheitsgefährlich, so Dr. Thomas Ellrott von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung:

    "Wenn Angehörige pflegebedürftige Familienmitglieder zuhause pflegen, dann müssen sie sich klar machen, dass auch die Versorgung mit Essen ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist für den Gesundheitszustand. Und darum müssen sie sich einfach auch Gedanken machen, was gibt es da zu essen, wie ist der Gewichtsverlauf, und ein Stück aufmerksam sein gegenüber diesem Thema."

    48 Prozent der befragten Seniorinnen und Senioren beklagten eine "unerwünschte Gewichtszunahme" im Laufe ihrer Pflegebedürftigkeit. Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bekommen sie zu viel Fleisch, zu viel Fett, zu wenig pflanzliche Lebensmittel. Bei den Hochbetagten indes ändert sich das Bild schlagartig. Mit zunehmender Hilflosigkeit – wenn Schluckbeschwerden, Appetitlosigkeit und Depressionen das Leben schwer machen - kippt die Ernährungssituation ins Gegenteil – in eine Mangelversorgung, bemerkt Professor Helmut Heseker, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung:

    "Und diese ungewollten Gewichtsverluste werden oft gar nicht richtig bemerkt. Man hat oft so – zumindest im familiären Umfeld – nicht immer die richtigen Möglichkeiten, trotzdem noch Lebensmittel so zuzubereiten, dass sie gut geschluckt werden können, dass man sie fein püriert und so weiter. Ein Gewichtsverlust bedeutet eben nicht nur ein Verlust an Fettmasse, sondern auch an Muskelmasse. Und weniger Muskelmasse bedeutet, dass die Sturzanfälligkeit steigt, und dass eben gerade im hohen Alter die Beweglichkeit nachlässt und vielleicht irgendwann die Gehfähigkeit verloren wird."

    86 Prozent der pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren daheim bekommen die warmen Mahlzeiten von ihren Angehörigen. Nur in etwas mehr als zehn Prozent der Fälle wird "Essen auf Rädern" bestellt, ein Service, der in früheren Studien überraschend gut abgeschnitten hatte. Pflegekurse für Angehörige gibt es schon seit vielen Jahren. Mehr Hilfe nun auch in Fragen der Ernährung wünscht sich Helmut Heseker für die daheim pflegenden Angehörigen:

    "Klar, dass man erst mal das Wissen vermittelt, wie man auf der einen Seite einen schlechten Ernährungszustand relativ einfach mit einfachen Mitteln feststellen kann. Auf der anderen Seite, dass man eben dann auch gezielt Hilfestellungen gibt, wie man die Ernährung trotzdem verbessern kann. Wenn zum Beispiel Appetitlosigkeit da ist, keine großen Portionen mehr gegessen werden können, kann man natürlich mit Fingerfood anfangen: Viele kleine Mahlzeiten über den ganzen Tag verteilt geben. Wenn nicht ausreichend Trinken eine Rolle spielt, was gar nicht so selten ist, weil das Durstgefühl bei vielen Hochbetagten abhandenkommt, da kann man so eine Trinkmenge des Tages irgendwo hinstellen an einem sichtbaren Ort, sodass der Hochbetagte ständig sieht, was er trinken muss. Sodass er eine äußere Anforderung hat zu trinken."

    Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung fordert nun mehr Informationen und Beratungsangebote speziell für pflegende Angehörige. "Ambulante Ernährungsberater" – so die Studie – könnten Hausbesuche anbieten. Auch Krankenkassen, Hausärzte und Pflegeberatungsstellen sollten als "Multiplikatoren" wirken, Volkshochschulen zum Beispiel entsprechende Kurse anbieten. Die Lebensmittelhersteller wiederum werden aufgefordert, schmackhafte und nährstoffreiche Gerichte zu entwickeln. Studien belegen: Mangelernährung birgt ein hohes Risiko. Die Sterberate ist gegenüber normalgewichtigen Senioren um den Faktor vier erhöht.