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Separatisten-Prozess
Härtetest für Spaniens Demokratie

Er gilt als Prüfstein für Spaniens demokratische Kultur, der Separatisten-Prozess gegen 12 katalanische Politiker und Aktivisten in Madrid. Mit den Schlusserklärungen der Angeklagten endet die mündliche Verhandlung. Die Staatsanwaltschaft will die Männer für bis zu 25 Jahre ins Gefängnis schicken.

Von Hans-Günter Kellner | 12.06.2019
Katalanen demonstrieren in Madrid gegen den Prozess gegen führende Separatisten
Katalanen demonstrieren in Madrid gegen den Prozess gegen führende Separatisten (AFP)
Die mündliche Verhandlung über das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien ist zum Ende wieder dort angekommen, wo sie begonnen hatte. Die zentrale Debatte ist weiterhin: Reicht die Gewalt vor und während des Referendums vom 1. Oktober 2017 aus, um die Hauptangeklagten zu bis zu 25 Jahren Haft zu verurteilen? Jordi Nieva, Verfahrensrechtler an der Universität von Barcelona, hat den Prozess für spanische Medien verfolgt, er meint:
"Eine kleine Entwicklung sehe ich bei der Staatsanwaltschaft: Bei der Eröffnung der mündlichen Verhandlung wiederholten ihre Vertreter immer wieder, es habe physische Gewalt gegeben, Straßenschlachten. In ihrem Abschlussplädoyer vertraten sie das nicht mehr so vehement. Sie sprechen jetzt von einem Staatsstreich."
Zwischen Staatsstreich, Rebellion und Putsch
Im September 2017 hatte die knappe Mehrheit der Separatisten im katalanischen Parlament zwei Gesetze im Schnellverfahren verabschiedet. Eines war der rechtliche Rahmen für das Referendum, ein zweites eine Übergangsverfassung für ein unabhängiges Katalonien. Warnungen des Verfassungsgerichts vor strafrechtlichen Konsequenzen ignorierte das Präsidium. Die katalanische Regierung hielt am Referendum auch nach der Annullierung dieser Gesetze durch das Verfassungsgericht fest. Die Staatsanwaltschaft sieht darin den Beginn eines Putsches:
"Die Staatsanwaltschaft sagt, ein Staatsstreich sei auch möglich, indem man Gesetze verabschiedet, die gegen die Verfassung verstoßen. Ein Staatsstreich mit augenscheinlich demokratischen Mitteln. So wie etwa Hitler an die Macht kam. Sie stützt sich dabei auf den österreichischen Völkerrechtler Hans Kelsen. Und sie behauptet, dies sei mit dem Straftatbestand der Rebellion gleichzusetzen. Das sind für mich aber zu viele Sprünge in der Argumentation."
Wenige Tage vor dem schon verbotenen Referendum ließ ein Gericht zudem das katalanische Wirtschaftsministerium durchsuchen. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Zehntausende demonstrierten vor dem Gebäude, zwei Fahrzeuge der spanischen Polizei wurden demoliert, die Vollzugsbeamtin der Justiz konnte das Gebäude erst in der Nacht über ein angrenzendes Theater verlassen. Zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es auch am 1. Oktober vor einigen Wahllokalen. Doch als der Oberste Gerichtshof die Videoaufnahmen dieser Tage analysierte, waren dabei keine derart massiven Ausschreitungen zu sehen, wie sie zum Beispiel von internationalen Wirtschaftsgipfeln bekannt sind.
"Da ein Strafverfahren wegen Rebellion anzustrengen, halte ich nicht für verhältnismäßig. Man hätte es bei Ungehorsam gegenüber dem Verfassungsgericht belassen können, auch Nötigung wäre denkbar gewesen, aber nicht mehr. Ich bin mir sogar sicher, hätte im Ersuchen Spaniens an Deutschland um die Auslieferung des ehemaligen katalanischen Ministerpräsidenten Nötigung statt Rebellion gestanden, wäre Puigdemont ausgeliefert worden."
Drahtseilakt für die Richter
Allerdings haben die Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung ganz offensichtlich gegen die spanische Verfassung verstoßen und Urteile des Verfassungsgerichts missachtet. Dies erkannten zum Abschluss sogar ihre Verteidiger an. Ob dies aber auch strafrechtlich relevant ist, muss nun das Gericht entscheiden.
"Unser rechtlicher Rahmen hat dafür andere Lösungen vorgesehen: Die Gesetze, die gegen die Verfassung verstoßen haben, wurden annulliert. Die katalanische Autonomie wurde suspendiert. Die Region wurde aus Madrid verwaltet. Hier ist nichts weiter passiert."
Nun beginnen die Beratungen der sieben Richter der Strafkammer des Obersten Gerichtshofs. Das Urteil soll womöglich erst im Herbst bekannt werden. Die Richter, so Nieva, wüssten selbst noch nicht, wie sie am Ende urteilen.
"Ein Richter kennt sein eigenes Urteil erst, wenn er mit seinen Kollegen gesprochen hat. Er macht sich sicher seine Gedanken, aber jetzt beginnen die Beratungen. Da gibt es oft gegenteilige Meinungen. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie die Richter urteilen werden. Leicht haben sie es keinesfalls."