Freitag, 19. April 2024


September 2012: Vom Sockel gestürzt

Vom Sockel gestürzt... das bedeutet Veränderung und neue Sichtweisen, die Vergänglichkeit von Werten und Kulturen, dramatische oder stille Revolutionen, Spuren der Zeit innerhalb von Jahrtausenden oder wenigen Jahren, Veränderungen weltgeschichtlich oder ganz privat.

01.09.2012
    Im Landesmuseum Trier wurden fast alle Dinge, die dort ausgestellt sind, einmal "Vom Sockel gestürzt". Früher waren diese Dinge vielleicht wichtiger Besitz von Römern oder Kelten, heute liegen sie in der Museumsvitrine. Oder Bilder von Göttern und Kaisern wurden erst verehrt und dann zerstört, heute werden ihre Trümmer hier gezeigt.

    Auch die Geschichte der Stadt Trier, die im Stadtmuseum Simeonstift behandelt wird, erzählt von Aufstieg und Sturz: von berühmten Persönlichkeiten, die hoch hinaus wollten und tief gefallen sind, von Ereignissen, die gesellschaftliche und politische Ansichten über den Haufen geworfen haben. In den Relikten vergangener Zeiten ist dieser Wandel bis heute greifbar.

    Als thematisch korrespondierende Texte haben wir Gedichte von Heinrich Heine und Manfred Schlüter, der im September mehrere Schreibwerkstätten in Trier leiten wird, ausgewählt. Der Einsendeschluss für eure Texte ist der 30. September 2012. Wir sind gespannt und fragen uns: Was bedeutet "Vom Sockel gestürzt" für euch?


    Es fällt ein Stern herunter

    Es fällt ein Stern herunter
    Aus seiner funkelnden Höh!
    Das ist der Stern der Liebe,
    Den ich dort fallen seh.

    Es fallen vom Apfelbaume
    Der Blüten und Blätter viel!
    Es kommen die neckenden Lüfte,
    Und treiben damit ihr Spiel.

    Es singt der Schwan im Weiher,
    Und rudert auf und ab,
    Und immer leiser singend,
    Taucht er ins Flutengrab.

    Es ist so still und dunkel!
    Verweht ist Blatt und Blüt,
    Der Stern ist knisternd zerstoben,
    Verklungen das Schwanenlied.

    Heinrich Heine (1822)


    Des Dichters kühner Entschluss

    Es wächst in mir ein Zwang,
    ein ungeheurer Drang,
    der mir sagt, ich solle schreiben,
    und zwar nicht zum Zeitvertreiben,
    sondern um der Menschheit Willen
    solle ich die Blätter füllen,
    mit großen Worten, doch verständlich,
    auf das, was scheinbar unabwendlich,
    den Poetenfinger richten,
    um das Böse zu vernichten . . .
    Derart sprach in mir der Drang,
    und es dauerte nicht lang,
    da war mir überdeutlich klar,
    dass i c h der Menschheit Retter war -
    "Jawohl! Ich schreibe ein Gedicht!"
    (Doch nicht jetzt - jetzt passt es nicht)

    Manfred Schlüter (geb. 1953)



    Die verspottete Göttin

    Dass dieser Stein aus edlem Marmor einmal die schönste aller Frauen, die römische Liebesgöttin Venus, darstellte, ist heute nur noch schwer vorzustellen. Erhalten ist die Figur nur noch von der Brust bis zu den Knien, und sie ist stark verstümmelt. Ursprünglich stammt sie aus dem 2. Jahrhundert nach Christus.

    Nach der Römerzeit wurden die alten, heidnischen Götter verdammt und bekämpft. Die schöne Venus wurde beim Trierer Kloster St. Matthias aufgestellt und von den Gläubigen mit Steinen beworfen. Damit wollten sie zeigen, dass sie die alten unchristlichen Götter ablehnten. Durch eine Inschrift, die bei der Venus gefunden wurde, ist klar, dass dies seit dem späten Mittelalter geschah, vielleicht ist der Brauch aber auch schon älter.

    In einer Inschrift, die um das Jahr 1600 entstand, erzählt die Figur in einer Art Gedicht: "Wollt ihr wissen, was ich bin, ich bin gewesen ein Abgöttin. (…) Ich was geehrtet als ein Gott, Jetzt stehen ich hie der Welt zu Spot. (…)".


    Der Napoleonbecher

    Nachdem die Französische Revolution die herrschenden Fürsten vom Sockel gestürzt hatte, nutzte Napoleon Bonaparte die Gelegenheit, das politische Podium zu erklimmen. Durch geschickte militärische und politische Schachzüge gelang es ihm, in wenigen Jahren eine atemberaubende Karriere vom einfachen Soldat zum Kaiser von Frankreich hinzulegen. Durch seine Feldzüge vergrößerte er sein Land zu einem Reich von immensen Ausmaßen. Auch Trier war unter ihm französisch.

    Trotz der gewaltsamen Eroberung wurde er dort 1804 jubelnd von den Bürgern begrüßt. Die Trierer überreichten ihm einen goldenen Becher, um den berühmten Moselwein zu kosten. Auf den Becher sind Porträts römischer Kaiser eingraviert, in deren Nachfolge sich Napoleon gerne sah. Diese Ehrerbietung zeigt, dass die Trierer Napoleons Herrschaft anerkannten.

    Der Kaiser brachte nämlich viele Neuerungen für die Stadt: freiheitliche Bürgerrechte, eine bessere Armen- und Krankenfürsorge und neue Infrastruktur. Außerdem kümmerte er sich um das kulturelle Erbe Triers. Nichtsdestotrotz ereilte auch Napoleon das Schicksal seiner Vorgänger: Letztlich wurde er vom Sockel gestürzt und musste in der Verbannung sein Ende fristen.


    Lyrix-Kunst im Doppelpack: Rheinisches Landesmuseum Trier und Stadtmuseum Simeonstift Trier

    Das Rheinische Landesmuseum Trier ist eines der wichtigsten archäologischen Museen in Deutschland. Mosaiken, Steindenkmäler und der größte römische Goldmünzenschatz der Welt erzählen hier von der glanzvollen Vergangenheit Triers als älteste Stadt Deutschlands und römische Kaiserresidenz.

    Das Stadtmuseum Simeonstift Trier ist auf die Geschichte der Stadt und der Region vom Mittelalter bis zur Gegenwart spezialisiert. Malerei, Skulptur, Textilien und Kunsthandwerk ab dem 10. Jahrhundert dokumentieren das Leben Triers und seiner Menschen.


    Venus Statue, 2. Jh. n. chr.
    Venus Statue, 2. Jh. n. chr. (Rheinisches Landesmuseum Trier)
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor