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Serie: Endspiel ums Klima (7)
Sportstätten für die Zukunft

LED-Flutlicht, wasserlose Urinale oder Regenwasserrückgewinnung: Sportstadien sind wahre Klimakiller, bieten allerdings enorm viel Potential für eine gute Umweltbilanz. Allerhand Varianten werden getestet. Vorreiter ist ausgerechnet ein brütend heißer Wüstenstaat.

Von Christian Bartlau | 10.02.2019
    Das neue Nationalstadion von Tokio - Herberge von Olympia 2020.
    Das neue Nationalstadion von Tokio - statt regionaler Hölzer wird Tropenholz eingesetzt. (Yomiuri Shimbun/AP Images)
    Ein Containerschiff läuft im Hafen von Doha ein, wo Bauteile durch die Luft fliegen und ein Stadion formen. Die Container heben ab vom Schiff und fügen sich wie Lego-Teile in die Arena ein. Sie dienen als Toiletten, Imbiss-Stände oder Souvenirshops.
    Von Zauberhand wie im animierten Werbevideo wird das Stadion Ras Abu Aboud in der Realität nicht gebaut. Für einen Aha-Effekt soll es trotzdem sorgen: Als erstes Stadion der Fußball-WM-Geschichte, das nach dem Turnier komplett wieder abgebaut wird.
    Stadionabbau nach dem Turnier - Blaupause für die Zukunft?
    Modularbau lautet das Zauberwort: Im Baukastenprinzip wird das Stadion zusammengesetzt und wieder auseinandergenommen. Möglich machen das eine spezielle Rahmenkonstruktion und Bauteile wie die Schiffscontainer.
    Ein Stadion, dessen Teile nach dem Turnier in aller Welt verbaut werden - ist das eine Blaupause für die Zukunft? Oder nur ein Feigenblatt? Simone Magdolen, Doktorandin am Lehrstuhl für Erneuerbare und Nachhaltige Energiesysteme der TU München, sieht durchaus Vorbild-Potential.
    "Ich hatte zuletzt untersucht, was die Veranstaltung von so Großveranstaltungen für eine Stadt bringen und zum Beispiel bei den Olympischen Spielen in Peking hat man beobachten können, wie sich die Regularien hinsichtlich Energieeffizienz verbessert haben, wie das eben einen Push gegeben hat von diesem Know-how für diese Wettkampfstätten und der Qualität in der da gebaut wurde."
    Nachhaltig oder Greenwashing?
    Die Kataris versprechen für 2022 die erste CO2-neutrale WM der Geschichte. Und das, obwohl die Stadien klimatisiert werden. Ein Lösungsansatz: Solarkraftwerke, die sogar mehr Energie erzeugen sollen, als für die Kühlung benötigt wird.
    Alle acht Stadien erhalten ein Nachhaltigkeitssiegel. Solche Zertifikate sind auch bei Sportbauten mittlerweile weit verbreitet, das bekannteste heißt LEED, kurz für: "Leadership in Energy and Environmental Design". Was so ein Zertifikat wirklich aussagt, darüber lässt sich streiten, erklärt Simone Magdolen.
    "Es gibt da auch Fortschritte, muss man schon sagen. Aber was bisher in den Zertifikaten für Kriterien übernommen sind, die sind einfach noch zu lasch und das hat für mich immer noch ein bisschen den Anklang von Greenwashing. Vielleicht wurde das Mobilitätskonzept überdacht, aber im Endeffekt basiert es dann doch hauptsächlich auf Individualverkehr, und weniger auf öffentlichem Nahverkehr. Oder es wurde vielleicht ein Pfandsystem im Stadion durchgeführt, aber der irrsinnige Luxus von VIP-Bereichen, da gibt's keinen Nachhaltigkeitsgedanken dran."
    Das Olympiastadion von Sydney - Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 2000.
    Das Olympiastadion von Sydney - bis heute eines der nachhaltigsten Arenen der Welt (picture-alliance / Sven Simon)
    Hüpfende Fans als Stromerzeuger
    Sportstätten sind Aushängeschilder, im Guten wie im Schlechten: Oft genug enden sie als selten genutzte "weiße Elefanten" und dienen als Argument gegen den Gigantismus von FIFA und IOC. Die Veranstalter nutzen sie aber auch als Ausweis ihrer grünen Agenda, so wie bei den selbsternannten "Green Games" in Sydney 2000. Der Architekt Christopher Lee von der Firma Populous hat damals am Olympiastadion mitgearbeitet, das bis heute als eines der nachhaltigsten der Welt gilt: Die Architektur nutzt den Wind für natürliche Kühlung, und der Rasen wird mit gespeichertem Regenwasser gewässert.
    "An dem Thema arbeiten wir schon seit Jahrzehnten. Der spannende Teil ist: Die Technologie hat sich so schnell verbessert und verbilligt, selbst innerhalb der letzten fünf Jahre - somit sind Dinge, die früher unvorstellbar teuer waren, heute denkbare Optionen."
    Entwurf des Architekturbüros Populous von 2017 für die Zeitschrift "National Geographic" mit einer Skizze des Stadions der Zukunft.
    Entwurf des Architekturbüros Populous von 2017 für die Zeitschrift "National Geographic" mit einer Skizze des Stadions der Zukunft. (National-Geographic)
    Populous hat vor zwei Jahren für die Zeitschrift "National Geographic" das Stadion der Zukunft skizziert: Einen Hightech-Tempel, in dem Drohnen die Bratwurst liefern und statt echten Spielern Hologramme grätschen. Der Clou: Ihren großen Energiehunger soll die Arena selbst stillen.
    Bei Populous sucht ein eigenes "Stadium Sustainability Team" nach Möglichkeiten, im Stadion Energie zu generieren, zum Beispiel mit kinetischer Energie: Können also spazierende oder hüpfende Fans mithilfe spezieller Bodenplatten Strom erzeugen?
    Der finanzielle Aspekt steht im Vordergrund
    Bereits etabliert im Stadionbau sind energieeffiziente Technologien: LED-Flutlicht, wasserlose Urinale oder Regenwasserrückgewinnung. Alle diese Dinge werden immer mehr nachgefragt, erzählt Christopher Lee.
    "Für unsere Kunden geht es dabei vornehmlich um den finanziellen Aspekt: Kann ich damit langfristig Geld sparen?"
    Energiesparen tut Geldbeutel und Umweltbilanz gut - allerdings sind die meisten Profisportarenen nur fünf bis zehn Prozent ihrer Lebenszeit überhaupt in Betrieb. Damit hat der Bauprozess einen viel größeren Anteil am ökologischen Fußabdruck als etwa bei Bürogebäuden. Und wer nachhaltig bauen will, muss vor allem aufs Material schauen.
    Beleuchtetes Nationalstadion im Olympiapark in Peking, China
    Das Olympiastadion von Peking - Ein einziger Stahlfresser (imago / imagebroker / Peter Schickert)
    Tropenholz im neuen Tokioter Olympiastadion
    So vielgepriesen etwa die Architektur des sogenannten Vogelnests in Peking war: Es verschlang dreimal so viel Stahl wie das Olympiastadion in London. Christopher Lee hat gerade die neue Arena von Premier-League-Klub Tottenham konstruiert, mit einer innovativen Dachkonstruktion: Einer Kabelstruktur, die nur halb so viel wiegt wie die traditionelle Stahlbauweise. Ein weiteres Plus für die Ökobilanz: Teile des alten Stadions wurden im neuen verbaut.
    "In Tottenham haben wir rund drei Viertel des abgerissenen Materials entweder wiederverwendet oder recycled. Typischerweise landet ein Großteil dieses Bauschutts auf der Müllhalde."
    Trotz alledem: Es bleibt ein Gigant aus Beton und Stahl, zwei energieintensive Baustoffe. Das Material des 21. Jahrhunderts soll nachhaltiger sein. Viele Architekten landen bei einem Baustoff, der grüner kaum sein könnte, weil er nachwächst und CO2 bindet: Holz.
    Das neue Nationalstadion in Tokio für die Spiele 2020 setzt auf Holz im Dach und bei den Sitzen. Doch Umweltaktivisten wittern Greenwashing: Statt regionaler Hölzer werde bei den Bauarbeiten Tropenholz eingesetzt.
    Allgemein gelten Holzbauten als zu teuer, zu schwierig, zu wenig erprobt. Auch aus diesen Gründen nahm etwa der SC Freiburg Abstand von einem Holzstadion.
    Das neue Stadion von Tottenham Hotspur soll 2019 eröffnet werden. 
    Das neue Stadion von Tottenham Hotspur: Abgerissenes Material soll wiederverwendet werden (SOPA Images via ZUMA Wire / Dinendra Haria)
    Stadien von der Stange
    Doch schon jetzt arbeiten Unternehmen daran, das Image zu ändern: Bear Stadiums aus Italien kombinieren den nachhaltigen Baustoff mit einer Modularbauweise: Wie von der Stange können sich Klubs eine Arena zwischen 5000 und 20.000 Plätzen aussuchen. Die Stadien bestehen zu 80 Prozent aus Holz, genauer: aus verleimtem Brettschichtholz.
    Jaime Manca Di Villahermosa, Stadionarchitekt und Mitbegründer von Bear Stadiums, ist ein ganzheitlicher Ansatz wichtig.
    Es wird viel geredet über grünes Bauen, aber was heißt das? Vielleicht auch wenn man schnell baut, mit einem einfachen System, dann ist der gesamte Entstehungsprozess grün.
    Gerade baut die Firma eine Multifunktionsarena unter anderem für den kanadischen Fußball-Erstligisten Pacific FC. Weitere Projekte sind geplant. Auf Wunsch installiert das Unternehmen auch Windkrafträder oder eine Photovoltaikanlage.
    Doch Villa Hermosa will die Klubs nicht nur mit Nachhaltigkeit überzeugen.
    "Den Klubs gefällt der Preis und die Schnelligkeit, mit der wir ein Projekt realisieren können. Ein 20.000-Sitze-Stadion würde klassischerweise rund zwei Jahre brauchen, wir kriegen es in acht, neun, zehn Monaten hin."
    Ob sich die Visionen von heute auch durchsetzen, hängt eben davon ab, ob sie sich bezahlt machen - entweder auf dem Konto oder, siehe Katar, fürs Image.