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Serie "Fliegen und Sterben"
Wintermücken: Konkurrenzlos durch die kalte Jahreszeit

Auch im der kalten Jahreszeit gibt es Mücken. Für die 15 verschiedenen sogenannten Wintermückenarten haben niedrige Temperaturen einen entscheidenden Vorteil: Es gibt weniger Konkurrenz um Ressourcen. Aber auch andere Tierarten profitieren von den kleinen fliegenden Überlebenskünstlern.

Von Joachim Budde | 14.08.2019
Eine Wintermücke (Trichocera annulata) sitzt im Schnee, Deutschland, Nordrhein-Westfalen, Sauerland
Eine Wintermücke (Trichocera annulata) sitzt im Schnee (dpa / blickwinkel / J. Fieber)
Anfang Februar. Es ist kalt und grau in Bonn. Der Schnee ist vor zwei Tagen geschmolzen. Björn Rulik sucht dennoch nach Insekten.
"Sie mögen halt eben gerne feuchtes Wetter und so um und bei Null oder ein paar Plusgrade."
Genau so ist das Wetter gerade.
"Wir gucken vielleicht mal eben nochmal hier an der Wand oder auch am Fenster. Manchmal hat man Glück am Fenster. Ansonsten keschern wir hier mal durch die Vegetation."
In dem kleinen Garten hinter dem Forschungsmuseum Alexander Koenig streicht der Mücken-Experte mit einem Kescher aus weißer Gaze über einen Busch.
"So wie es aussieht, haben wir nur Laub gefangen. Aber es ist natürlich auch nicht gesagt, dass sie in einer Buchenhecke sitzen."
Aber irgendwo müssen sie ja stecken, die Wintermücken.
"Irgendwelche Aktivität? Sieht mir alles eher nach - doch da, wir haben sie, wir haben sie. Würde ich mal sagen."
Kleiner Überlebenskünstler
Das Tierchen ist ins Netz gegangen.
Reporter: "Ich hätte es mir dicker, also breiter vorgestellt." - Björn Rulik: "Ja, das ist relativ filigran, relativ schlank, die Flügel sind also länger als das Abdomen, relativ lange Beine, relativ kleiner Kopf, die Fühler sehen wir jetzt hier durch die Gaze nicht so wirklich. Ich werde jetzt gleich mal probieren, das Tierchen vorsichtig rauszunehmen und an den Beinchen festzuhalten, sodass wir vielleicht uns das ein bisschen genauer angucken können."
Dr. Björn Rulik vom Forschungsmuseum Alexander Koenig auf Wintermücken-Jagd.
Der Mückenexperte Björn Rulik auch der Suche nach der Wintermücke (Joachim Budde)
Der Biologe steckt seine Hand in den Kescher und erfasst die Mücke mit erstaunlicher Zartheit für einen so großen und kräftigen Mann.
"Ist also relativ dunkel, wir haben hier ein Männchen, es hat keine langen Hinterleibsanhänge, sondern einen kurzen Knubbel hier. Und wenn wir hier gucken: Es gibt bei uns zwei Gattungen in Deutschland. Und das ist die Gattung Trichocera, weil die erste oder zweite Anal-Ader hier eben nicht extrem kurz ist."
Es gibt 15 Wintermückenarten in Deutschland
Björn Rulik erkennt das anhand der Adern auf den Flügeln. Wenn er bestimmen sollte, welche der 15 Wintermückenarten in Deutschland wir genau vor uns haben, müsste er sogar ihre Genitalien herausholen und unter einer starken Lupe betrachten.
Reporter: "Als Laie würde man ja sagen: Anfang Februar, da ist überhaupt nix unterwegs an Insekten. Denen ist es einfach zu kalt. Wie kommt es, dass die jetzt unterwegs sind?"
Björn Rulik: "Das ist der große Irrglaube. Es ist zwar richtig, dass wir während der kalten Jahreszeit weniger Aktivität haben als im Hochsommer. Wir haben aber verschiedene Familien sowie auch die Wintermücken, die sich diesen zeitlichen Bereich erobert haben, um konkurrenzlos dastehen zu können. Sprich: Die wenigen Ressourcen, die ansonsten nicht genutzt werden, können dann genutzt werden."
Exlusiver Snack für Vögel und kleine Nagetiere
Bei manchen Wintermückenarten leben die Larven in der Laubschicht am Boden. Bei anderen in Exkrementen.
"Zu der Jahreszeit, wenn man dann so eine Energieressource hat, dann gehört einem halt eben der gesamte Haufen. Und man kann sich dort dann entspannter drin entwickeln."
Exklusive Snacks für Vögel und andere Nagetiere
Wenn die anderen Insekten in der Winterpause sind, legen die Wintermücken erst richtig los. Und finden dann nicht nur exklusive Nahrungsmöglichkeiten, sondern sind selbst exklusive Snacks in einer ansonsten mageren Zeit. Für Vögel, aber auch für kleine Nagetiere.
"Gerade bei Spitzmäusen sind gerade solche Wintermücken aber auch andere Dipteren-Familien, die im Winter aktiv sind, stehen die mit bis zu einem Viertel mit auf der Speisekarte. Gerade diese Spitzmäuse brauchen ja ständig was zu fressen, weil deren Stoffwechsel so hoch ist."
Eine Fliege in der Hand eines Mannes
Björn Rulik beim Fliegenjagen - Fliege gefangen (Deutschlandradio / Joachim Budde)
Aber wie machen es die Mücken selbst? Schließlich leben die erwachsenen Tiere zwei bis drei Wochen lang. Normalerweise trinken ausgewachsene Insekten Nektar, um Energie zum Fliegen zu bekommen. Aber dennoch leben die Tiere zwei bis drei Wochen lang.
"Nektar fällt um diese Jahreszeit weg. Es gibt nur wenige Lebendbeobachtungen. Soweit man weiß, nehmen sie maximal irgendwie Flüssigkeit auf. Das heißt, sie haben all ihre Energie, die sie brauchen, um sich zu reproduzieren, um sich zu paaren und Eier zu legen, schon im Larvenstadium sozusagen aufgenommen und zehren dann eben von den Reserven."
Reporter: "Eine ganz besondere Art von Winterspeck also."
Rulik: "Ja. Wenn es zu warm wird, legen die ihre Ruhepause ein, das heißt, sie können dann ihren Stoffwechsel runterfahren und liegen einfach in der Streuschicht rum und machen gar nichts."
Reporter: "Sommerschlaf."
Rulik: "Sommerschlaf sozusagen, und dann sobald es wieder kühler wird – also nicht nur Temperatur, sondern auch sogar lichtgesteuert – kriegen die dann irgendwie ein Trigger, und dann fangen die irgendwann wieder an mit ihrer Aktivität, sodass sie dann irgendwann rechtzeitig im Spätherbst fertig sind mit ihrer Verwandlung, und entsprechend dann sich verpuppen, damit sie dann im frühen Winter schlüpfen können."
Flotter als gedacht
Reporter: "Sollen wir die wieder fliegen lassen?"
Björn Rulik: "Die lassen wir jetzt hier wieder fliegen. Die wird sich erst einmal ein bisschen - da und weg. Das hätte ich jetzt gar nicht vermutet, dass sie so flott sein kann, aber ich glaube, sie hat einfach mal die Nase voll."