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Serie „Freud“
Die Psyche als Spukhaus

Die deutsch-österreichische Serie „Freud“ macht aus dem Nervenarzt einen Mordermittler und schickt ihn in die Tiefen des Unterbewusstseins. Das ist mehr Schocktherapie als Psychoanalyse - und trotzdem größtenteils gelungen.

Von Julian Ignatowitsch | 23.03.2020
Schauspieler Robert Finster sitzt als Sigmund Freud mit einer weiteren Person in einer Badewanne
Schauspieler Robert Finster als Sigmund Freud (Netflix/Jan Hromadko)
Das Ich als ein dunkles Haus, in dem eine Kerze nur spärlich und stellenweise Licht spendet:
"Sie flackert. Einmal hierhin, einmal dorthin."
Sichtbar ist nur ein Bruchteil der Gegenstände und Zimmer.
"Alles andere liegt im Schatten, alles andere liegt im Unbewussten."
Und was soll das sein?
"Trieb, Eros, Tabu, verbotene Gedanken, verbotene Begierden."
Das Spukhaus in uns
Er, Dr. Sigmund Freud, wird diese Dunkelheit in uns später das "Es" nennen und zur Grundlage seiner weltbekannten Psychoanalyse machen, bei der es, wie er einmal sagte, darum geht, Herr im eigenen Haus zu werden.
Doch wer ist das schon? Die Serie "Freud" zeigt - kurz gesagt - den Spuk, das Spukhaus in uns. Sie zeigt brutal verstümmelte Leichen, schlagend verbundene Offiziere, gnadenlos hedonistische Abendgesellschaften - und ein bisschen psychoanalytisches Grundwissen.
"Die Hysterie ist keine gehirnphysiologische Krankheit oder ein Heischen nach Aufmerksamkeit, sie ist eine Emanation dessen, was ich das Unbewusste nenne."
Im Wien des Fin de Siècle vor 1900 ist die Person Freud dabei Nervenarzt, Ermittler und Außenseiter zugleich: Er hat mit dem Unverständnis der Kollegen genauso zu kämpfen wie mit den Neurosen seiner Patienten, dem nächsten Mordopfer und dem eigenen Kokainkonsum.
"Ich höre mir diesen Schwachsinn nicht länger an, auf Wiedersehen die Herren!"
Die Serie ist ein Mix aus Biopic, Geschichtsdrama und Horror. Das Ensemble changiert zwischen historisch wahren Figuren wie Freud, dem Schriftsteller Arthur Schnitzler oder Psychologen Josef Breuer und ausgedachten Charakteren wie dem verführerischen Medium Fleur Salomé, dem ungarischen Graf Viktor von Szápáry oder den Polizisten Alfred Kiss und Franz Poschacher.
"Die lebt ja noch."
"Was?"
"Wo ist der nächste Arzt?"
Nun darf man sich sicherlich fragen, warum eine klassische Film- beziehungsweise Serienbiografie heute nicht mehr ausreicht, warum Serien immer alles zugleich sein müssen: spannend, geschichtsträchtig, gruselig und grotesk.
"Ja, was ist denn. Machen Sie doch was!"
"Blutung stoppen! Wo ist die Verletzung?"
"Unten in der Scham. Tiefe Stiche."
Optisch kunstvolle Unterhalten
Natürlich ist so ein Melange-artiges Crime-History-Format automatisch mehr plakative Schlagzeile als komplexer Befund, mehr Schocktherapie als Psychoanalyse - so lesen sich auch die Namen der einzelnen Kapitel der Serie: Hysterie, Trauma, Totem und Tabu. Dennoch gelingt es dem österreichischen Regisseur Marvin Kren, viel gelobt für seine letzte Serie "4 Blocks", auch in "Freud" nicht trivial zu sein, intelligent und optisch kunstvoll zu unterhalten und allen Genre-Anforderungen gerecht zu werden.
Besonders überzeugend sind die surrealen Traumsequenzen, da sie meist nahtlos mit der vermeintlichen Realität verschmelzen und mal an die Skurrilität eines Luis Buñuel, dann an den Terror eines David Lynch erinnern.
Dazu wird schön Wienerisch "gegrantelt", auch wenn der überwiegend österreichische Cast nicht immer darstellerisch überzeugt. Alles in allem kann sich "Freud" aber durchaus mit den besseren Produktionen dieser Art - etwa "Babylon Berlin" oder "The Alienist" - messen. Wer diese Serien gerne geschaut hat, kann auch hier bedenkenlos einschalten. Wer stattdessen lieber eine konventionelle Biografieverfilmung sucht, dem sei die "Genius"-Reihe auf Amazon empfohlen, bislang mit Picasso und Einstein. Auch der Name Freud würde hier gut passen.