Donnerstag, 25. April 2024

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Serie "Grünes Wirtschaften" (1)
Grün statt grenzenlos: Ist ein anderes Wachstum möglich?

Die Wirtschaft soll weiter wachsen – aber anders. Nach grünen Kriterien. Die EU-Kommission will mit dem European Green Deal die Union bis 2050 klimaneutral machen. Doch wie ressourcenschonend kann grünes Wachstum sein? Kritiker sprechen von einem Märchen.

Von Caspar Dohmen | 06.04.2020
Eine Frau hält eine Pflanze in der Hand
Hilft nachhaltiges Wachstum wirklich, um die natürlichen Ressourcen zu schonen? (imago / blickwinkel / McPhotox / Erwin Wodicka)
Michael Braungart, Verfahrenstechniker und Chemiker: "Es gibt wunderbare Dinge - zum Beispiel essbare Möbelbezugsstoffe."
Michael Braunart gehört zu den Optimisten, wenn es um die Schaffung einer grünen Wirtschaft geht. Er steht am Rande eines Kongresses, wo es um das von ihm entwickelte Konzept Cradle-to-Cradle geht, eine umfassende Kreislaufwirtschaft - von der Wiege bis zur Bahre für Produkte gewissermaßen.
"Wenn die Geschwindigkeit so bleibt bei der Umstellung auf Cradle-to-Cradle dann wird vor 2050 alles Cradle-to-Cradle sein, nicht bloss Kreislaufwirtschaft, alles nützlich sein für die Biosphäre oder die Technosphäre."
Wer sich mit Braungart unterhält, gewinnt den Eindruck, als ob diese Transformation der Wirtschaft ein Kinderspiel sei. Noch verbraucht unsere Wirtschaft aber eine Menge neuer Ressourcen, ob Eisenerz für die Stahlherstellung oder seltene Erden für neue Handys. Könnten wir den Ressourceneinsatz auf null reduzieren und grünes Wachstum ermöglichen? Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung.
"Ich glaube, dass grünes Wachstum möglich ist. Grünes Wachstum ist vielleicht nicht unbegrenzt und immer möglich, aber auf absehbare Zeit ist es durchaus möglich, den Wohlstand der Menschen zu erhöhen, ohne weiter unsere Umwelt zu belasten."
Drei Hebel müssten dafür umgelegt werden: Erstens müssten Unternehmen langlebigere Produkte herstellen. Zweitens müsse die Wirtschaft umweltfreundlich produzieren. Drittens müssten die Verbraucher ihr Verhalten ändern.
Eine Grafik zeigt Hände, die einen Globus halten
"Grünes Wirtschaften" (2) - CO2-neutral - ein glaubwürdiges Label?
Der Kaffeebecher ist klimaneutral, Konzerne wollen klimaneutral werden: Doch wie nachhaltig kann "klimaneutrales Heizöl" sein, wenn das CO2, das bei der Verbrennung entsteht, lediglich kompensiert wird durch Investitionen in Klimaschutzprojekte?
Digitalisierung als Chance für nachhaltigeres Wachstum?
"Wir müssen eben gucken, was gibt es sonst noch, was unser Wohlergehen erhöhen kann, was unsere Wohlfahrt erhöhen kann, aber nicht die Umwelt belastet. Und hier kann man an ganz viele personennahe Dienstleistungen denken. Also, wenn sie gut essen gehen, statt zu Hause zu kochen, dass erhöht ihr Wohlbefinden, aber es kostet nicht unbedingt mehr Ressourcen, es kann sogar ressourcenschonender sein, wenn in einer großen Küche gekocht wird und da weniger Energie verbraucht wird."
Einen Beitrag kann nach Ansicht mancher Experten auch die Digitalisierung leisten. Wer früher jemandem ein Foto schicken wollte, brauchte eine Kamera und einen Film, musste die Bilder entwickeln und mit der Post verschicken – heute geht das mit dem Smartphone und Social Media. Das benötigt Strom, aber weniger sonstige Ressourcen.
"All das ist heute digital darstellbar und verursacht zehn Mal weniger Ressourcen als vorher," erklärt der Ökonom Peter Bofinger. "Wenn Sie gucken, was ein Smartphone für Geräte beinhaltet, die man früher separat hatte, ob das Diktiergerät war, die Stoppuhr, der Diabetrachter. Wir haben eine enorme Entmaterialisierung und wichtig ist, dass wir genug Strom haben und das der Strom aus erneuerbaren Energien kommt und das meine ich, ist machbar."
Andere sind skeptischer, was eine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch anbelangt.
"Momentan ist unter dem, was wir an Wachstum messen ja noch unheimlich viel Material und CO2 darunter, also die Kurven liegen ja fröhlich nebeneinander. Diese Entkopplung hat, wenn überhaupt, nur im Relativen stattgefunden." Erklärt die Politökonomin Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung.
Fünf  Stühle in verschiedenen Farben und Größen stehen nebeneinander. Von links nach rechts werden die Stühle immer größer.
"Grünes Wirtschaften" (3) - Ein grünes BIP als alternative Größe
Wachstum und Nachhaltigkeit sollen zusammengehen – doch ist die Berechnung des BIP noch zeitgemäß, wenn etwa CO2, das bei der Produktion freigesetzt wird, als Wirtschaftsleistung zählt?
Erneuerbare Energien als Basis – aber sie sind nicht unbegrenzt
Wir verbrauchen in Deutschland zwar weniger Energie und Ressourcen als früher für unser Wachstum, kommen aber nicht ohne zusätzliche aus. Zu einer ehrlichen Bilanz gehöre es zudem, den Ressourcenverbrauch zu berücksichtigen, der für uns im Ausland anfällt, wo viele Produkte und Vorprodukte hergestellt werden:
"Sobald ich den Lebenszyklus einnehme und gucke, was ist zum Beispiel in anderen Ländern an Impact für die Natur aufgelaufen, damit ich diese Anteile einer Ressource in meinem Endprodukt nutzen kann, dann wird die Bilanz immer korreliert Bruttoinlandsprodukt und Materialverbrauch und auch das CO2 sinkt nicht in dem Ausmaß, wie wir es bräuchten. Sprich, wenn wir uns eine Wirtschaft in Zukunft vorstellen, wo 'viel Zeug haben' weiter der Fokus ist von dem was wir als erfolgreiches Wirtschaften bezeichnen, dann wird es so nicht möglich sein."
Zu einer grünen Wirtschaft gehören für Göpel also Verzicht sowie die Versorgung mit regenerativer Energie - und die ist eine riesige Herausforderung. Zwar versorge die Sonne die Erde jeden Tag mit 15.000-mal mehr Energie, als die Weltbevölkerung derzeit kommerziell verbrauche. Trotzdem ist es ein Trugschluss zu glauben, dass es nur der richtigen Technologie bedürfe und schon würden wir im energetischen Schlaraffenland leben. Denn Photovoltaikanlagen verbrauchten selbst erhebliche Energie und Ressourcen - für Errichtung, Wartung oder Austausch, schreibt der Autor Bruno Kern in dem "Märchen vom grünen Wachstum". Nachhaltig sei regenerative Energie aber nur, wenn der Produktionszyklus selbst durch erneuerbare Energie stattfinden würde und nicht wie heute gewöhnlich größtenteils durch fossile Energie.
"Erneuerbare Energien sind selbstverständlich alternativlos. Wir haben keine andere Wahl, als auf sie zu setzen, aber: Erneuerbar bedeutet eben nicht unbegrenzt!"