Donnerstag, 28. März 2024

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Serie "The Walking Dead"
Moral unter Zombies

Die Kultserie "The Walking Dead" geht in ihre achte Staffel. Das Format ist nicht einfach nur brutale Splatter-Unterhaltung, sondern ein Endzeitszenario, das uns mit ethischen Dilemmata konfrontiert und auch an Universitäten diskutiert wird. Was können wir daraus lernen?

Von Julian Ignatowitsch | 23.10.2017
    Andrew Lincoln und Norman Reedus in der Serie "The Walking Dead"
    Die Erfolgsserie "The Walking Dead" geht in ihre achte Staffel (imago stock&people/Cinema Publishers Collection)
    Denken wir uns doch noch einmal ganz an den Anfang zurück, die erste Staffel von "The Walking Dead":
    (Filmausschnitt) "Sie haben keine Ahnung, was hier los ist?"
    Hilfssheriff Rick Grimes erwacht aus dem Koma.
    (Filmausschnitt) "Ich bin heute aufgewacht, im Krankenhaus."
    Seine Familie ist verschwunden, die Stadt liegt in Trümmern und Horden von gefühlstauben, verwesten Untoten wanken durch die Straßen.
    (Filmausschnitt) "Nicht öffnen, Tote drin!" - "Mehr weiß ich nicht." - "Aber Sie wissen doch von den Toten, oder?! Die Dinger!"
    Das Walking-Dead-Universum: eine Hobbes'sche Welt
    "Wie ist es eigentlich und wie moralisch kann ich sein, in einer Welt, in der es keine Institutionen mehr gibt, die gewährleisten, dass ich nicht ausgenutzt werde, das heißt keine Polizei, keine Justiz, keine Regierung, keine soziale Ordnung mehr."
    Theologe und Serienfan Richard Mathieu erklärt, worin er den besonderen Reiz von "The Walking Dead" sieht. Er hat die Serie vor nicht allzu langer Zeit im Unterricht an der LMU in München unter dem Aspekt der Ethik behandelt.
    "Ich glaube, es wird an einigen Stellen deutlich, dass Moral in so einer Welt ein Luxusgut ist", meint Mathieu.
    (Filmausschnitt) "Ich habe es dir schon mal gesagt: Ich werde dich töten, euch alle!"
    "Und das ist genau dieses Dilemma: Ich habe die Sorge, dass sich die anderen nicht an die Regeln halten und deswegen muss ich ihnen voraus kommen, damit ich nicht das Opfer werde. In der Spieltheorie nennt man das präventive Gegendefektion", erklärt Mathieu.
    Das Walking-Dead-Universum: eine Hobbes'sche Welt, ein brutaler Krieg aller gegen alle, dem auch Protagonist Rick nicht entkommt. "Homo homini lupus" eben. Die untoten Walker sind dabei ganz schnell nur Statisten:
    "Diese Verschiebung, dass die eigentliche Bedrohung nicht die Zombies, sondern diejenigen, die es gerade nicht sind, nämlich die Menschen."
    Chandler Riggs, Jeffrey Dean Morgan, Andrew Lincoln (von links nach rechts) in der 7. Staffel von "The Walking Dead" 
    In der 8. Staffel steht der große Krieg gegen Negan (Jeffrey Dean Morgan, Mitte) bevor (imago stock&people/Cinema Publishers Collection)
    "The Walking Dead" - kein blutrünstiges Endzeitszenario, sondern Anschauungsmaterial über die menschliche Natur und den Sinn von Regeln und Institutionen.
    Und wahrscheinlich trifft die Serie mit ihrem (post-) apokalyptischen Setting auch den Nerv eines krisenbeschwörenden Zeitgeists:
    "Ich will jetzt keine Parallele zur Flüchtlingskrise schlagen. Aber man bekommt natürlich einen Eindruck, was passiert, wenn Staaten scheitern, was ein 'failed state' für Menschen bedeutet: nämlich Chaos und Fressen und Gefressen-Werden."
    Dabei prägt auch ein gewisser Konservatismus gepaart mit Konsumkritik die Serie: Althergebrachte Werte wie Familie und Sicherheit rücken zurück in den Fokus, in erster Linie geben weiße Männer mit schweren Waffen den Ton an.
    (Filmausschnitt) "Aber ich will, dass du eine Sache unbedingt begreifst, nicht jeder bekommt so eine Einladung ins Team von mir."
    Spiel mit der Angst vor dem Umsturz
    Der Zombie im Horrorgenre - Film- und Serienexperte Joachim Körber sieht darin auch eine Angst vor dem Umsturz:
    "In den 30er-Jahren ging die Bedrohung vom Vampir aus, das war die Aristokratie, in den 50er-Jahren vom Werwolf, das ist die Mittelschicht und seit den 60er-/70er-Jahren geht sie vom Zombie aus. Und der Zombie ist 'shambly working class', also das dumpfe Lumpenproletariat."
    Und gleichzeitig eine Hommage an Kultklassiker wie "Night of the Living Dead" von George A. Romero:
    "Der moderne Zombie ist in hohem Maße der, den George A. Romero geprägt hat, nämlich der des blindwütigen Konsumenten, der nur noch ein einziges Ziel kennt", sagt Körber.
    Wenn wir jetzt also wieder wie Zombies vor der Glotze sitzen und uns stundenlangen Serienstoff reinziehen, hat das aber nicht nur Schlechtes, sondern ist auch eine Übung in Mitgefühl, eine Überprüfung unserer Wertvorstellungen. Gänsehaut und moralische Dilemmata inklusive.
    Wer selbst mitentscheiden möchte, der kann das mittlerweile sogar bei Brett- und Videospielen tun. An Computer und Konsole geht "The Walking Dead" bald in die vierte Staffel.
    Abdrücken oder gehen lassen? Recht des Stärkeren oder kategorischer Imperativ? In welcher Welt will ich leben? Das sind hier Fragen, die per Knopfdruck vom Spieler entschieden werden. Wie ein interaktiver Film - und später vergleicht man seine Entscheidungen mit denen von anderen Spielern.
    Ob vor dem Fernseher oder Computer: "The Walking Dead" ist mehr als nur brutale Splatter-Unterhaltung und stumpfer Horror-Exzess. Was würden Sie tun, wenn Sie morgen aufwachen und die Welt plötzlich von menschenfressenden Walkern bevölkert wird?
    "The Walking Dead", Staffel 8 ist gerade gestartet - in Deutschland läuft die Serie ab heute auf Sky FOX.