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Service und politisches Engagement an der Göttinger Uni

In den vergangenen zehn Jahren verwaltete eine bürgerliche Koalition den AStA der Universität Göttingen, bot viel Service an. Das hat sich jetzt wieder geändert, denn seit eineinhalb Jahren regiert ein linkes Bündnis aus Basisgruppen, Jusos und Grüner Hochschulgruppe.

Von Carolin Hoffrogge | 05.11.2012
    Der AStA Göttingen: eine große rote Backsteinvilla aus der Gründerzeit. Die schwere Holztür ist immer offen, das Treppenhaus mit Postern von Ausstellungen, Konzerten und Aufrufen voll gehängt. Morgens um 10 Uhr kommt nur die Reporterin zu Besuch, sonst ist nicht viel los. Im ersten Stock steht eine Tür offen, ein rosa-orange getünchtes Zimmer lädt zum kostenlosen Deutschkurs ein. Hier sitzt die 23-jährige Iranerin Fatima neben zehn anderen Lernwilligen. Als Informatikerin möchte Fatima gerne ihren Master in Göttingen machen, braucht dafür aber besseres Deutsch.

    "Heute habe ich eine neue Lektion gemacht, über Sport. Schreiben sie im Passiv. Deutsch ist eine schwere Sprache."

    Ein Stockwerk über Fatima warten Tobias Fritsche, Pauline Wildenauer und Fabian Enge an einem runden Tisch, in Bechern dampft heißer Kaffee. Seit einem halben Jahr arbeiten die drei für die Jusos, die Basisgruppenliste und die Grüne Hochschulgruppe im AStA-Vorstand. Oftmals zwölf Stunden und mehr pro Tag, sagt Pauline. Sie studiert im siebten Semester Medizin. Die junge Frau mit der modernen Brille engagiert sich aus voller Überzeugung.

    "Das Gebaren des AStAs hat sich total verändert, weil die Uni immer größer geworden ist, immer mehr Studierende nach Göttingen kommen. Die größten Studiengänge sind Jura, Wirtschaftswissenschaften und Medizin. Ich denke, durch die Arbeitsbelastungen, die in den Fächern vorherrscht, hat sich das Klima in der Uni stark verändert. Leider, muss ich sagen. Das war in den 70ern und 80ern noch ganz anders. Wozu damals der AStA noch Stellung bezogen hat, ist heute nicht mehr so leistbar."

    Pauline, Fabian und Tobias versuchen auf der großen politischen Bühne mitzuspielen, sich einzumischen, Stellung zu beziehen. Dafür haben sie sich ein Semester beurlauben lassen. Anders wäre ihr Termindruck auch nicht zu schaffen. Gestern erst waren sie im Präsidium der Universität Göttingen zu Gast, erzählt AStA-Vorsitzender Tobias Fritsche.

    "Wir arbeiten gerade daran, in der Grundordnung der Universität eine Zivilklausel zu verankern. Das heißt dann, dass sich die Uni dazu verpflichten würde, friedlich und zivil zu forschen und nicht beispielsweise für Rüstungsunternehmen. Und wir arbeiten definitiv daran, die Studiengebühren abzuschaffen, im Hinblick auf die Landtagswahlen im Januar. Das waren die großen Bereiche, daneben fällt noch viel Klein-Klein an."

    Aber das Klein-Klein hat es in sich, so haben die drei Aktiven gemeinsam mit anderen ein besonderes Beratungsangebot im Göttinger AStA etabliert.

    "Das hier ist der Flyer für unser "Falsch Verbunden"-Telefon. Das ist ein Beratungstelefon für Verbindungsstudenten. Da können Leute anrufen, die in ein Verbindungshaus hier in Göttingen eingezogen sind, 43 Verbindungen gibt es gerade in Göttingen. Es kann ja passieren, dass durch den sehr streng vorgegebenen Alltag oder die bestimmten Riten, regelmäßig Kneipen stattfinden, in denen sehr viel getrunken wird. "

    Studenten, die im Verbindungshaus leben und damit sehr unglücklich sind, können das "Falsch verbunden Telefon" des AStAs als Möglichkeit nutzen, auszusteigen, sagt Pauline Wildenauer. Sie stört, dass viele Studierende anrufen und sie beschimpfen.

    "Was wir blöde finden, wenn Leute aus dem Off pöbeln. Über ernsthafte Diskussionen, die auch ergebnisoffen ist, würden wir uns sehr freuen. Aber das passiert so gut wie nie."

    Die AStA-Arbeit sei wie das richtige Leben, sagt Fabian Enge als hochschulpolitischer Referent. Sie vermittelt ihm einen unverstellten Blick auf die Realität, so der 25-jährige Bachelor der Wirtschaft-und Sozialgeschichte.

    "Man hat enormen Einblick in den Uni-Alltag, auch, was die Beschäftigungsverhältnisse angeht. In die Entscheidungsstrukturen der Universität. Ich habe hier nicht angefangen mit dem Ziel, ich möchte mich weiterentwickeln, sondern ich wollte anfangen, um den Studierenden zu helfen, was zu bewegen. Aber gleichzeitig merke ich, dass der AStA mich beeinflusst hat, frei aufzutreten, frei zu reden. Daher finde ich es auch schade, dass es den Studierenden genommen wird, sich politisch zu engagieren, diesen Druck."

    Wie sehr die Studierenden unter Druck stehen, erleben Fabian Enge und seine Mitstreiter in den Beratungen, die sie kostenlos im Göttinger AStA anbieten: Der Stundenplan ist voll, der Wohnraum ist knapp, die Mieten sind teuer, studentische Jobs gibt es kaum. So ist ihre Studien-, Finanz- und Rechtsberatung weit im Voraus ausgebucht. Tobias Fritsche ist froh, dass nach einer zehnjährigen Durststrecke im Göttinger AStA jetzt wieder ein anderer Wind weht.

    "Die Vorgänger-Asten, die noch rechts bis unpolitisch waren, die haben sich als reinen Service-AStA verstanden. Das haben wir übernommen, weil wir denken, dass es wichtig ist, für die Studierenden da zu sein. Aber wir wollen auch politisch aktiv sein und die Meinung der Studierenden nach innen und außen vertreten."